8. Februar 2021 1 Likes

Die Unverständlichkeit des Fremden

Spannend und unkonventionell: In „Die dunklen Lichtjahre“ von Brian W. Aldiss misslingt der Kontakt mit Außerirdischen

Lesezeit: 5 min.

Ist es möglich, dass ein Fremdkontakt misslingt, weil die Intelligenz des Gegenübers strittig bleibt? Und welche Konsequenzen hat es, wenn die andere Spezies wie eine Mischung aus Nashorn und Flusspferd aussieht, sich im Schlamm suhlt und offenbar weder Schmerz noch Furcht empfindet? Autorenlegende Brian W. Aldiss hat 1964 aus diesem Stoff eine ebenso packende wie makabre Dystopie entwickelt, die dem Menschen einen dunklen Spiegel vorhält – und damit von überraschender Zeitlosigkeit ist.

Zugegeben: Sie sind weder besonders hübsch noch besonders einnehmend. Die extrem langlebigen Utods haben nicht nur sechs Beine, sondern auch acht Körperöffnungen, aus denen sie immer wieder „zeremoniellen Dreck“ absondern; außerdem wechseln sie phasenweise ihr Geschlecht. Und doch gehören sie nicht zu den regulären Bewohnern jenes Planeten, auf dem sie eine schießwütige irdische Mission antrifft und bis auf wenige Gefangene kurzentschlossen abschlachtet. Denn kurz darauf wird ihr Raumschiff gefunden, eine Art hölzerner Samenkapsel, die sich allen Zweifeln zum Trotz als weltraumtauglich erweist, obwohl sie „bis zum Rand mit Scheiße gefüllt“ ist. Der Wissenschaftler Bruce Ainson wertet dies als klares Signal dafür, dass die Fremdwesen eine genaue Untersuchung wert sind. Zwar ist es noch zu keiner Kommunikation gekommen, doch der Mensch würde bisweilen „ein zu großes Vertrauen in seinen Intellekt setzen“, meint er. Zurück in London, bekommt Ainson mit dieser Haltung jedoch rasch Probleme. Selbst Mihaly Pasztor, der Direktor des Exozoos, stellt fest: „Nach unserer Auffassung ist der Maßstab für Zivilisation die Entfernung, die ein Mensch zwischen sich und seine Exkremente legt.“ Gemäß dieser Vorgabe sind die Utods kaum mehr als hirnlose Kreaturen, mit denen man bedenkenlos machen kann, was man will. Schlimmer noch: Die wenigen Exemplare, die das Massaker überlebt haben und nun in London untersucht werden, zeigen nicht das allergeringste Interesse an den Menschen und verweigern jeden Kontakt. Und so gewinnen allmählich jene Kräfte die Oberhand, die in den Utods nicht mehr als Großwild sehen – mit gravierenden Konsequenzen.

Der Brite Brian W. Aldiss (1925–2017) – einer der wichtigsten und vielseitigsten Science-Fiction-Autoren überhaupt – hatte in seiner langen literarischen Karriere früh Erfolg: Bereits 1958 als bester Nachwuchsautor mit dem Hugo ausgezeichnet, erhielt er diesen Preis 1962 für sein Meisterwerk The Long Afternoon of Earth (Der lange Nachmittag der Erde;  die Neuübersetzung erscheint heute bei Heyne, im Shop). Zwei Jahre später leitete The Dark Light Years (Die dunklen Lichtjahre, im Shop) eine Reihe von Anti-Utopien in seinem Werk ein, darunter Greybeard (1964; dt. Graubart, im Shop) und Earthworks (1965; dt. Tod im Staub, im Shop). Anschließend veröffentlichte Aldiss einige experimentelle Arbeiten im Umfeld des britischen Magazins New Worlds. Seine nachfolgenden Bücher waren wieder bodenständiger, ragen aber immer noch weit über den Durchschnitt hinaus. Frankenstein Unbound (1973; dt. Der entfesselte Frankenstein, im Shop) und Moreau’s Other Island (1980; dt. Dr. Moreaus neue Insel, im Shop) sind Hommagen an Mary Shelley und H.G. Wells, während die ebenso umfang- wie erfolgreiche Helliconia-Trilogie (1982–1985; im Shop) als gewaltige Abenteuersaga noch einmal die Möglichkeiten traditioneller SF auf den Punkt bringt. Parallel hierzu hat Aldiss rund 300 SF-Kurzgeschichten veröffentlicht; zu den wichtigsten Sammlungen gehören Space, Time and Nathaniel (1957, dt. Raum, Zeit und Nathaniel) und Starswarm (1964; dt. Der Sternenschwarm, im Shop). Zudem wurden zahlreiche Anthologien von ihm herausgegeben. Der Brite hat sich auch immer wieder theoretisch mit dem Genre auseinandergesetzt. Seine 1973 erstveröffentlichte und 1986 unter dem Titel Trillion Year Spree (dt. Der Milliarden-Jahre-Traum) überarbeitete Geschichte der Science-Fiction ist noch heute lesenswert.

Die dunklem Lichtjahre beschäftigt sich grundsätzlich mit einem Erstkontakt, bügelt das Thema aber völlig gegen den Strich: Jede Kommunikation bleibt aus, eine Verständigung findet nicht statt. Der Mensch erscheint „nicht erwachsen“ genug, um eine Zivilisation begreifen zu können, die über kein Alphabet verfügt und metallische Werkstoffe wie Stahl als ungeeignet für die Raumfahrt betrachtet. Neben ihrer unverständlichen Sprache ist es vor allem das Fehlen von Angst und Schmerz, das die Figuren im Buch dazu bringt, den Utods jede Intelligenz abzusprechen: Ihre Raumfahrt wird einfach als Ergebnis eines „instinktiven Verhaltens“ gewertet. Was bleibt, ist die Gewalt – zum einen durch medizinische Versuche, zum anderen durch militärische Interaktion. Was in beiden Fällen nicht den geringsten Ertrag erwirtschaftet.

Auch sonst zeichnet Aldiss kein freundliches Bild. Die Erde ist überbevölkert, die Städte ersticken im Dreck und die Frage, ob herkömmlicher oder künstlicher Nahrung der Vorzug zu geben sei, spaltet die Generationen. Hier lassen sich problemlos aktuelle Konflikte wiedererkennen. Längst von der Realität eingeholt wurde auch das absurde militärische Kräftemessen zwischen England und Brasilien, das Aldiss im Hintergrund stattfinden lässt und als dessen reales Äquivalent die Auseinandersetzung mit Argentinien um die Falklandinseln 1982 angesehen werden kann. Letztlich aber handelt Die dunklen Lichtjahre nicht vom Krieg. Zwar lässt sich das Buch auf die zeitgenössische Folie des Vietnamkonflikts projizieren, doch erfasst man damit – anders als bei The Word for World is Forest (1972; dt. Das Wort für Welt ist Wald) von Ursula K. Le Guin oder The Forever War (1975; dt. Der ewige Krieg, im Shop) von Joe Haldeman – allenfalls die halbe Wahrheit. Thema von Aldiss ist die Fremdheit des Gegenübers, die sich mittels Kommunikation nicht auflösen lässt und in einer grundsätzlichen Verachtung mündet. Dies geschieht durchaus gegenseitig – auch die Utods können mit den Menschen nichts anfangen und wehren deren Versuche, mit ihnen in Kontakt zu treten, ab. Doch die Außerirdischen reagieren zumindest nicht mit grenzenloser Aggressivität.

Wenig sympathisch erscheint auch das Figureninventar. Aldiss stellt keinen unrealistischen Helden in den Mittelpunkt, sondern arbeitet mit einem facettenreichen Ensemble, das Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit und ihrem Unvermögen zeigt. Fehler wie Falscheinschätzungen sind an der Tagesordnung und werden im Verlauf der Handlung keineswegs korrigiert. So gelangt etwa Bruce Ainson zu wichtigen Erkenntnissen, wird aber genau wegen seines Beharrens auf der Intelligenz der Utods von der Forschung ausgeschlossen; sein weiterer Einfluss auf das Romangeschehen ist zwar nicht unerheblich, aber zufälliger Natur. Als Mensch stellt er ohnehin eine ziemlich arrogante Erscheinung dar. Diese Ambivalenz zeigt sich auch bei anderen Figuren und trägt entscheidend zum Realismus des Buchs bei, das mehrere sich widersprechende Meinungen nebeneinander gelten lässt.

Letztlich aber – und das soll hier nicht vergessen werden – ist Die dunklen Lichtjahre vor allem eins: Ebenso spannende wie intelligente Unterhaltung mit Hintersinn und trockenem Witz. Wer sich mit Brian W. Aldiss bislang nicht beschäftigt hat, findet in diesem Buch eine ideale Einstiegslektüre. Und kann – vielleicht – auch ein wenig darüber staunen, was in den 1960er Jahren unter dem Etikett „Science-Fiction“ alles möglich war.

 

Brian W. Aldiss: Die dunklen Lichtjahre • Roman • Aus dem Amerikanischen von Hans Maeter • Heyne, München 2020 • 164 S. • E-Book • € 8,99 • im Shop

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