17. Februar 2024

TV-Tipp: „The Wicker Man“

Nach über 50 Jahren erlebt der „Citizen Kane des Horrorfilms“ seine deutsche Fernsehpremiere

Lesezeit: 3 min.

„Setzen Sie sich doch. Mit gebeugten Knien lassen sich Erschütterungen viel besser verkraften.“ In doppelbödigen Aperçus wie diesem parliert Inselherr Lord Summerisle (Christopher Lee in der Rolle, die er wiederholt als seine beste bezeichnete) mit Sergeant Neil Howie (Edward Woodward), einem strenggläubigen Polizeibeamten vom schottischen Festland, der das Verschwinden eines kleinen Mädchens aufzuklären versucht und sich auf der dank des warmen Golfstroms mit üppiger Vegetation gesegneten Insel zu seiner zunehmenden Irritation und Empörung einer verschrobenen Gemeinde von Heiden gegenübersieht. Keiner der Insulaner, eine Mischung aus „Hinterwäldlern und Flower-Power-Kids“ (Hans Schifferle), scheint etwas von der Vermissten zu wissen oder preisgeben zu wollen. Stattdessen feiert man munter Rituale, Orgien und vorchristliche Götter, bis in Howie der Verdacht wächst, dass eine so blasphemische wie monströse Opferung bevorsteht …

Eben dies war die Grundidee von Drehbuch-As Anthony Shaffer und Regisseur Robin Hardy – ihrer Ansicht nach hatte noch niemand einen amtlichen Horrorfilm gedreht, in dessen Mittelpunkt das Opfer-Motiv stand. Was dann 1973 das Leinwandlicht erblickte, hätten sich allerdings auch weitblickende und geschulte Genre-Aficionados nicht träumen lassen. „The Wicker Man“ ist ein Film, dem es mit bizarrer Mühelosigkeit gelingt, Genre- und Kategoriengrenzen zu sprengen, nicht nur ein Horrorfilm ohne Vergleich, sondern ein (überdies virtuos inszeniertes und perfekt gespieltes) filmisches Kunstwerk außerhalb von Tradition, Erwartungen und allem, was unter generische Muster und Gewohnheiten fällt. Nichts sieht so aus, wie es sich für einen Horrorfilm gehört (meist scheint die Sonne, alle lächeln und lachen, die Handlung bewegt sich überwiegend an entschieden ungruseligen Orten wie Schule, Kneipe, Wiese und Strand entlang), und dennoch liegt stets eine abgründige Bösartigkeit in der gesunden Inselluft. Munter maskiert sich der Horror mal als Mystery, mal als Musical, dann wieder als Erotik (Britt Ekland vollführt als Wirtstochter Willow gegenüber dem unter Qualen widerstehenden Polizisten einen Balztanz, der sich gewaschen hat), im latenten Vibe einer ziemlich fiesen schwarzen Komödie und mit einem kräftigen Schuss genuin britisch assoziierter Kauzigkeit, bis spätestens das unfassbar erdrückend-bittere Ende dem Spaß ein Ende bereitet.

Wie das eingangs zitierte Bonmot andeutet – Lees charmant-dandyhafter, heidnischer Hohepriester stellt bereits eine abartig vergnüglich anzusehende Figur dar, kann einen aber durch nichts darauf vorbereiten, ihn am Schluss mit Langhaarperücke zu sehen –, zeigt sich das Böse vornehmlich in einem fröhlich bejahten Mangel an Übereinkunft darüber, was überhaupt „böse“ sein soll; unmittelbar niedergeschlagen hat sich diese eigenwillige Tonart eigentlich erst 2019 in Ari Asters Film „Midsommar“, den man in vielerlei Hinsicht als eine Art Coverversion von „The Wicker Man“ betrachten kann. Laut Adam Scovell bildet Shaffers und Hardys einsam aufragendes exzentrisches Meisterwerk nicht zuletzt zusammen mit Piers Haggards „In den Krallen des Hexenjägers“ („The Blood on Satan’s Claw“, 1971) und Michael Reeves’ „Der Hexenjäger“ („Witchfinder General“, 1968) die „Unheilige Dreifaltigkeit“ jenes filmischen (und auch literarischen) Subgenres, das sich inzwischen endgültig als Folk Horror etabliert hat.

Inzwischen existieren von „The Wicker Man“ neben der ursprünglichen, mit ca. 84 Minuten stark gekürzten Kinofassung etwa noch der um die 92 Minuten lange Final Cut sowie die bezüglich des schieren Materials üppigste Rekonstruktion, der 99 Minuten laufende Director’s Cut. Etliche Sequenzen (wie ein dem Vernehmen nach hinreißender Monolog Lord Summerisles über Sinn, Zweck und Anmutung von Äpfeln) sind für immer verschollen. Die komplizierte bis katastrophale Produktions- und Verleihgeschichte des Films zeigt sich auch darin, dass erst 2021 eine deutsche Synchronisation erstellt wurde, auf der Grundlage des Final Cut – und es dann noch ein paar weitere Jahre dauerte, bis diese eingedeutschte Version dem hiesigen TV-Publikum zugänglich gemacht wurde. Jetzt steht dieser Festtag direkt vor der Tür. Opfern wir doch anlässlich dessen zumindest ein schönes Fass Ale.

Tele 5 zeigt „The Wicker Man“ am Sonntag, den 18. Februar, um 22.40 Uhr. Eine Wiederholung gibt es in der Nacht von Montag auf Dienstag um 00.15 Uhr (also kalendarisch am 20. Februar).

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