29. November 2023

TV-Tipp: „Schnee“ – Eher laues Mysterydrama …

… mit großartigen Endzeit-Bildern

Lesezeit: 4 min.

Ein Titel wie „Schnee“ mutet zunächst einmal denkbar unoriginell an – es gibt zahlreiche Titel, die mit dem eiskalten Winterweiß deutlich geschickter Neugierde entfacht haben. Zum Beispiel „Schnee in Rio“, „Spuren im Schnee“, „Heißer Schnee“ oder „Blut im Schnee“. Aber bereits nach wenigen Minuten wird klar, wieso die schlichte Wahl nahe liegend war, denn es dürfte zumindest nicht viele TV-Produktionen geben, die dem Naturelement derart eindrucksvoll huldigen wie eben „Schnee“.

Und das ist vor allem Kamerafrau Lea Striker zu verdanken, die nicht nur einen sehr coolen Nachnamen trägt, sondern prächtige, wahrlich majestätische Winterbilder eingefangen hat. Gedreht wurde im Südtiroler Schnalstal und das gerät durch ihre Linse zu einem außerweltlich anmutenden Ort zwischen Himmel und Hölle, einer Endzeit-Idylle. So beeindruckend und wunderschön der vom Sonnenlicht überstrahlte fiktive Berg Muttstein in der Nähe des ebenfalls erfundenen Bergdorfs Rotten in der Serie ist, so löst die pure Erhabenheit des Anblicks allertiefste Ehrfurcht und damit einhergehend die Ahnung einer Macht aus, der der Mensch letztendlich nie gewachsen sein wird.

Und auch abseits des Bergs: Rotten lässt unter der Postkarten-Oberfläche im kalten, fahlen Alltagslicht, im Eisnebel und im Schneegestöber keinen Moment echter Heimeligkeit zu. Strikers Bilder machen in jeder Sekunde unmissverständlich, dass die Menschen in dieser Umgebung Eindringlinge, zwar geduldet, aber keinesfalls willkommen sind. Und das für die Bewohner von Rotten die Zeit der Duldung definitiv in großen Schritten abläuft. Die Bilder werden kongenial von Giorgio Giampàs Soundtrack untermalt, der mit kristallinen, so frostigen wie eingängigen Tönen perfekt mit den Bildern verschmelzt. Die formale Seite ist jedenfalls – trotz kleinere Anschlussfehler, die vor allem das Wetter betreffen – derart gelungen, dass die Enttäuschung abgemildert wird, dass es sich bei „Schnee“ letztendlich um einen auf viereinhalb Stunden ausgewalzten, im Kern eigentlich recht profanen Krimi mit Öko-Botschaft handelt, dem etwas Mystery beigemischt wurde.

Der Plot geht so geht so: Die Wiener Ärztin Lucia (Brigitte Hobmeier), ihr Mann Matthi (Robert Stadlober) und die Kinder Alma und Jonas ziehen nach Rotten. Man erhofft sich aufgrund der guten Luft in dem Alpenort eine Besserung der Asthma-Beschwerden von Alma. Allerdings profitiert nicht nur Alma, Matthis Eltern wohnen dort, betreiben ein Luxus-Hotel und freuen sich, dass der Sohn in die Heimat zurückgekehrt ist, nun ganz in der Nähe wohnt. Doch das Idyll zeigt bereits bei der Anreise Risse: Aufgrund der Klimakrise liegt noch kein Schnee im Tal, in der neuen Unterkunft findet Lucia einen renitenten Schimmelfleck der nicht weggeht, immer mal wieder tauchen urplötzlich Tiere auf und eine geheimnisvolle Umweltaktivistin, die eigentlich Anfang der 1980er-Jahren am Berg Muttstein verschollen gegangen ist, gibt Alma einen Ring. Doch die menschlichen Konflikte nehmen in dieser Serie den größten Raum ein: Matthis Vater will eine neue Gondelbahn zum Berg bauen lassen, um den durch die Corona-Krise arg gebeutelten Tourismus wieder anzukurbeln, was von den meisten Dorfbewohnern unterstützt wird, da die Angst groß ist, dass der Ort sonst untergeht. Lediglich eine Frau ist dagegen. Immerhin würde es sich um einen extremen Eingriff in die Natur handeln, durch die Klimakrise ausgelösten Veränderungen würden ebenso ignoriert werden …

Dass die Heimatfilme der 1950er und 1960er-Jahre lediglich Opium fürs Volk waren, wurde vor allem mit dem Horrorfilm der 1970er erstmalig ein für allemal klar gemacht und danach immer und immer wieder, „Schnee“ findet da leider keine neuen Ansätze: Großstädterin Lucia und ihr Anhang geraten hier – bis auf die erwähnte Ausnahme, die natürlich eine Outsiderin ist, da auf Umweltschutz pochend – auf einen absoluten Hinterwäldler-Arschloch-Verein, der aus Eigennutz nicht nur die Natur, sondern auch Menschenleben opfert. Das wäre für einen schlichten 90-Minuten-Krimi oder – besser – einen Horrorfilm okay gewesen, aber innerhalb einer viereinhalbstündigen Serie, die mit einer Umweltschutz-Attitüde hausieren geht und mit einer entsprechenden Katastrophe endet, erhofft man sich doch etwas mehr. Zum Beispiel, das deutlich aufgezeigt wird, dass eine alternative, grüne, Option bestanden hätte, um finanzielle Lebensgrundlagen zu erhalten, ohne die Natur zu schrotten. Aber leider werden die eigentlich ja nachvollziehbaren Motive der Menschen von Rotten in absolutem Fatalismus getunkt, im letzten Drittel verschiebt sich der Pegel dann Richtung eindeutig „böse“. Die Mystery-Einlagen (Warnungen ausstoßende Dorfbekloppte, Geisterfrauen, mysteriöse Kinderzeichnungen etc.) kennt man alle woanders her und können nicht verschleiern, dass das Narrativ für soviel Laufzeit arg schlicht ist.

„Schnee“ macht jedenfalls den Fehler, den so viele Serien machen: Statt die Möglichkeiten der Serienformats zu nutzen, wird ein Spielfilm auf Serienlänge ausgebreitet, das Ergebnis ist dementsprechend platt. Dennoch: So negativ das jetzt alles klingt: Dank der formalen Vorzüge und einer guten Besetzung (für deutschsprachige Produktionen sollte unbedingt Maria-Hofstätter-Pflicht gelten!) kann man sich das mal antun – zumal in der Mediathek ja die Möglichkeit zum Spulen besteht.

Einen Trailer gibt es hier.

Die ersten drei Episoden von „Schnee“ laufen am Mittwoch, den 29.12.2023 ab 20:15 Uhr, Episoden 4-6 am 01.12.2023 ab 22:00 Uhr in der ARD. Alternativ steht die gesamte Serie in der Mediathek der ARD zum Abruf bereit.

Schnee“ (Österreich, Deutschland 2023) • Regie: Catalina Molina, Esther Rauch • Darsteller: Brigitte Hobmeier, Robert Stadlober, Marie-Luise Stockinger, Maria Hofstätter

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