18. August 2023 2 Likes

„Arcadia“ – Wieviel bist Du wert?

Eine belgisch-holländische Science-Fiction-Serie beschreibt fast realistische Szenarien

Lesezeit: 3 min.

Klar, der Titel „Arcadia“ ist ironisch, zum Glück: Eine Serie über das utopische Idyll Arkadien, wo Menschen im Einklang mit der Natur leben wäre wohl auch ziemlich langweilig. Und das ist diese belgisch-holländische Serie ganz gewiss nicht, auch wenn sie bekannte Tropen der dystopischen Science-Fiction variiert, aber zu etwas Eigenem, sehr Europäischem, aber durchaus Überzeugendem kommt.

Das Konzept ist einfach: In nicht zu ferner Zukunft sind die Ressourcen knapp. Um sie gerecht zu verteilen wurde ein Score eingeführt, eine Bewertung der Bürger: Wer sich gesetzestreu verhält, sich gesund ernährt, seine Vorgesetzten achtet, dessen Score steigt über die magische Grenze von 8.0. Und dann hat man Zugang zu Kultur und Partys (aber nicht zu viel Champagner trinken, das ist schlecht für den Score!) bekommt im Krankenhaus ein MRT und muss nicht einen körperlich anstrengenden Beruf ausüben.

Der von den Belgiern Philippe De Schepper und Bas Adriaensen ausgedachte und vom Niederländer Tim Oliehoek inszenierte Achtteiler erzählt von den vier (nicht drei) Schwestern Luz, Milly, Alex und Hann, die zur Oberschicht gehören. Die fragile Luz allerdings nur, weil ihr Vater Pieter, der den Staat und sein Kontrollsystem einst mitgründete, den Score der Familie manipuliert. Was natürlich rauskommt, Pieter zum Leben im Exil verdammt und die Schwestern zu durchschnittlichen Bürgern macht.

Gleichzeitig sucht ein Regulator genannter Polizist nach Dissidenten, die offenbar in der Lage sind, den in der Hand implantierten Chip, der nicht nur für den Score, sondern auch für grundsätzliche Kontrolle zuständig ist, zu manipulieren. Und draußen, jenseits der Grenzen der hermetisch abgesicherten Innenwelt, brodelt ohnehin die Rebellion.

Für sich und die Seinen das Beste wollen: Eine verständliche Haltung, die vor allem dann zum Problem wird, wenn man die Regeln zu umgehen versucht, weil man Geld hat und glaubt, das einem ein Vorteil zusteht. Für seine Kinder Scores zu manipulieren lässt an die Schauspielerin Felicty Huffmann denken, die ihrer Tochter zum Zugang auf eine besonders gute Universität verhelfen wollte und deren Test-Zahlen fälschen ließ.

Ganz zu schweigen von China, wo seit einigen Jahren mit einem Sozialkredit-System experimentiert wird (bislang offenbar „nur“ zu Testzwecken), was gefügigen Bürgern leichteren Zugang zu Flugtickets, Krediten oder auch Ausland-Visa ermöglicht.

Allzu ferne Zukunft beschreibt „Arcadia“ also nicht, weswegen der Look der europäischen Co-Produktion besonders passend wirkt. Auf „typische“ futuristische Einsprengsel wurde weitestgehend verzichtet, die gezeigte Welt wirkt kaum anders als unsere, ein wenig glas- und betonlastiger vielleicht. Dazu passend wurde in eindrucksvollen Bauten brutalistischer Architektur gedreht, in Belgien und Frankreich, aber auch in Wolfsburg, wo die von der irakischen Architektin Zaha Hadid entworfene VW-Experimentierlandschaft phæno Drehort war. Wie wenig an diesen Gebäuden verändert werden musste, um sie als Architektur einer dystopischen Zukunft verwenden zu können, passt zum beängstigend realistischen Szenerio im Kern von „Arcadia“. Die Möglichkeiten der Überwachungen nehmen ständig zu und man wäre naiv zu glauben, dass nicht bald auch Krankenkassen oder Arbeitgeber den Zugang zu Informationen über ihre Kunden oder Angestellten zur Bewertung nutzen würden. Die Zukunft von „Arcadia“ könnte schon viel früher Gegenwart werden, als man es ahnen – und sich wünschen – würde.

Arcadia • Belgien/ Holland 2023 • ab 18. August bei ARD One und in der Mediathek, 8 Folgen

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