10. März 2024

Im Gespräch mit Thomas D. Lee („Die alte Garde“)

Der britische Autor über seinen SF-Roman, der Artus-Mythen und Klima-Katastrophe vereint

Lesezeit: 11 min.

In seinem Romandebüt Die alte Garde“ (im Shop) bringt der Engländer Thomas D. Lee Science-Fiction, Fantasy und die britischen Mythen auf geradezu furiose Weise zusammen. Denn in der nahen Zukunft seines SF-Buches ist halb London geflutet, und die Klimakatastrophe spitzt sich sogar noch weiter zu. Viele englische Städte sind militarisierte Zonen, überall gibt es riesige Lager für Geflüchtete. Zudem tobt in Britannien ein Konflikt zwischen einer Schattenregierung aus Energie-Milliardären und anderen Mächtigen, ausländischen Söldnern, Öko-Terroristinnen, Rassisten sowie Separatisten aus Schottland und Wales.

Also erwachen Kay und Lancelot, zwei der legendären Ritter von König Artus bzw. König Arthur, dank Merlins Zauber mal wieder in der Erde unter ihren magischen Bäumen und graben sich an die Oberfläche. Artus’ schwarzer Adoptivbruder Kay hat das schon vierzig Mal hinter sich gebracht, in diversen Kriegen gekämpft. Aber was soll der wohlmeinende Ritter mit Kettenhemd, Schwert und Dreadlocks, der einen besonderen Draht zu Waldgott Herne und Flussherrin Nimue hat, gegen den Klimakollaps ausrichten? Und was wird der schwule Lebemann Lancelot tun, der notorisch auf der falschen Seite steht? Gut, dass Kay die junge Aktivistin Mariam trifft, die unbedingt etwas verändern will, auch wenn sie beim Sprengen einer Fracking-Anlage aus Versehen einen Drachen in die britischen Gefilde jenseits von Avalon ruft …

Thomas D. Lee studierte kreatives Schreiben an der University of Manchester und sitzt gerade an seiner Doktorarbeit über queere Neuinterpretationen der Artus-Sage. Im Interview spricht er über die alten britischen Mythen, T. H. White und einen schwulen Lancelot, das Problem mit dem gemeinsamen Nenner im Kampf gegen die Klimakrise, und natürlich über seinen frechen, unterhaltsamen und klugen Roman „Die alte Garde“, der mit dem Peters Fraser + Dunlop Prize for Best Fiction für neue LGBTQIA+ Writers ausgezeichnet wurde.

 


Thomas D. Lee. Foto © Stephanie Key

Hallo Tom. Wo liegen deine Anfänge, wenn es um Science-Fiction und Fantasy geht?

Hallo zusammen! Zunächst einmal vielen Dank für die Einladung zu unserem Plausch auf DieZukunft.de. Es ist mir ein Vergnügen, und ich freue mich sehr, die Chance zu bekommen, mich mit meinen deutschen Leser*innen auszutauschen.

Ich glaube, meine Liebe zu witziger Science-Fiction begann, als mein Vater mich in ganz jungen Jahren dazu brachte, die originale BBC-Radiofassung von „Per Anhalter durch die Galaxis“ (im Shop) zu hören. Ich erinnere mich, wie ich bei meinem Großvater im Garten hinter dem Haus lag, die Kassetten auf meinem Walkman hörte und lachte, während ich in den Himmel starrte.

Das Schreiben habe ich mir allerdings erst mit zwölf oder dreizehn Jahren angewöhnt, und zwar mit Fanfiction zu Star Trek (im Shop). Ich war ein großer Trekkie und schloss mich einigen Communitys für textbasierte Online-Rollenspiele an, in denen ich meine Schreibfähigkeiten entwickeln konnte. Als ich dann ein paar Jahre älter war, entdeckte ich die Werke von Terry Pratchett (im Shop) und von Neil Gaiman (im Shop), lieh mir ihre Bücher in der Schulbibliothek aus und verschlang sie mit Heißhunger. Ich verdanke Terry Pratchett so viel, und ich werde es immer bedauern, dass ich nie die Gelegenheit hatte, ihn vor seinem Tod zu treffen.

Das geht mir genauso. Bleiben wir bei deinen Einflüssen. Wie wurden die Artussage und britische Mythen eine Konstante in deinem Leben, und dann auch dein Lebensunterhalt?

Ich habe vor kurzem ein paar alte Skizzen von König Artus gefunden, die ich wohl als Teenager gezeichnet habe, und auf denen er wie Obi-Wan Kenobi in einem goldenen Kettenhemd aussieht. Also muss ich schon in jungen Jahren über Artus nachgedacht haben. Ich bin in Shropshire aufgewachsen, einer Grafschaft im englisch-walisischen Grenzland, von dem niemand in Deutschland je etwas gehört hat, die aber voller Folklore und reich an mythischem Potenzial ist. Beim Spazierengehen pflegte ich mir immer vorzustellen, wie Drachen über die Hügel fliegen, und so war es vorherbestimmt, dass ich irgendwann Fantasy-Autor wurde.

Daraus wurde aber erst etwas, als ich einen MA in Kreativem Schreiben machte und meine Mentorin Beth Underdown mich unter ihre Fittiche nahm. Ich habe die komplette COVID-19-Pandemie damit verbracht, „Die alte Garde“ zu schreiben, und Beth half mir, meinen großartigen Agenten Harry Illingworth zu finden. Ich glaube, dass Glück und Entschlossenheit viel wichtiger sind als rohes Talent, wenn es darum geht, veröffentlicht zu werden und einen anständigen Lebensunterhalt mit dem zu verdienen, was man schreibt. Aber ich gebe allen aufstrebenden Autor*innen den Rat, sich eine Mentor*innenfigur zu suchen, von der man lernen kann.

Apropos Mentor. Wann hast du zum ersten Mal T. H. Whites „Der König auf Camelot“ gelesen, und wann erstmals die klassische Disney-Filmadaption „Die Hexe und der Zauberer“ gesehen? Ich meine, in deinem Roman ist Merlin ebenfalls als Zeitreisender mit Hawaii-Hemd und Sandalen unterwegs…

Ich habe die Bücher vor Kurzem zum allerersten Mal gelesen! Was mich zu einem schlechten Artusforscher macht. Als Kind sah ich den Disney-Film, der offenkundig von Whites Version der Legende inspiriert ist … ich habe ihn gerade erst erneut geschaut und realisiert, dass Merlin tatsächlich Chuck Taylors im Film trägt, keine Sandalen! Also habe ich den Teil nicht richtig hinbekommen. Aber ja, Whites Werk habe ich nicht gelesen, bevor ich nun mit meiner Doktorarbeit über queere Neuinterpretationen der Artus-Sage begann.

Seine Biografie von Sylvia Townsend Warner ist absolut faszinierend. White war schwul und sah Lancelot als schwule Figur, doch er schrieb in der homophoben Atmosphäre der 1930er und hatte Angst, dass seine Karriere darunter leiden würde, sollte er versuchen, ein Buch zu veröffentlichen, in dem Lancelot explizit schwul war. Ich bin froh, dass ich Lancelot in meiner Version der Geschichte als schwul darstellen kann, in einem etwas erleuchteteren (aber immer noch nicht perfekten) Hier und Jetzt.

Lass uns über „Die alte Garde“ sprechen. Wie bist du auf die Idee gekommen, Climate Fiction, dystopische Near-Future-SF und Artus-Fantasy in einem Roman zu vermischen?

Nun, ich hatte die Idee zu „Die alte Garde“ 2016 – dem Jahr, in dem mein Land beschloss, sich selbst in den Fuß zu schießen und die Europäische Union zu verlassen, und dem Jahr, in dem Amerika beschloss, sich selbst in den Fuß zu schießen und einen rassistischen orangefarbenen Sexualstraftäter ins Oval Office zu wählen. Und da kam mir der Gedanke: „Jetzt ist es wirklich an der Zeit, dass König Artus zurückkommt und das alles in Ordnung bringt“. Er erfüllt die Prophezeiung und kehrt in Englands Stunde der Not von Avalon zurück.

Und dann wurde mir ziemlich schnell klar, dass er die Dinge wahrscheinlich eher verschlimmern als verbessern würde. Er wäre ein Kriegsherr aus dem sechsten Jahrhundert mit sehr altmodischen Ideen dazu, wie man das Land verbessern könnte, und er würde Probleme wie den Klimakollaps nicht verstehen. Das schien mir sofort eine sehr witzige Grundlage für einen Roman zu sein. Also begann ich, einem Roman zu schreiben, der von einigen meiner Autorenfreund*innen scherzhaft als „Brexit Knights“ (Red.: „Die Ritter des Brexits“) bezeichnet wurde.

Aber erst ab 2018, als ich mich Extinction Rebellion anschloss, konzentrierte sich die Geschichte stark auf den Klimawandel und den Versuch, den Planeten vor der ökologischen Zerstörung zu retten. Und mir wurde klar, dass der Roman vom Kampf um die Seele Großbritanniens handelt, und dass es darin um die Frage geht, wofür dieses Land eigentlich steht – wenn es überhaupt für etwas steht.

Ich mag diese Insel und die meisten Menschen, die darauf leben, aber ich hasse die Art und Weise, wie sie regiert wird, ich hasse die Art und Weise, wie wir unsere imperiale Vergangenheit verherrlichen, anstatt auf eine progressive Zukunft hinzuarbeiten. Deshalb wollte ich einen Roman schreiben, der sich mit dieser imperialen Vergangenheit auseinandersetzt und sich der fortschrittlichen Zukunft zuwendet, die wir erreichen können, wenn wir uns darauf konzentrieren.

Hast du wegen der vielen Artus-Stoffe da draußen besonderen Druck verspürt beim Verfassen deiner eigenen Variante?

Nein, ich hatte beim Schreiben einfach nur meinen Spaß. Ich fühle mich den alten Geschichten und vielen anderen Artus-Neuerzählungen, die vor meiner entstanden sind, in gewisser Weise verpflichtet. Aber Artus war immer ein schlechter König, selbst in den ursprünglichen Legenden. Er machte es wie König Herodes und tötete jedes Kind in den Gefilden, dessen Name mit M beginnt, nur aufgrund einer Prophezeiung über Mordred. Das steht so in den alten Geschichten, das habe ich mir nicht ausgedacht. Es hat einen Grund, warum Guinevere Lancelot bevorzugt, und ich vermute, dass die Ritter sich so gerne freiwillig für die Gralssuche meldeten, weil sie dadurch eine Zeit lang von Artus fortkamen.

Dein Roman ist sehr smart und weise, und dennoch ungeheuer witzig und sogar rotzig. Wie schwierig ist es, beim Schreiben Comedy-Elemente mit dem gar nicht lustigen Klimawandel, Rassismus und anderen Problemen zu kombinieren?

Vielen Dank, das ist sehr nett. Ich denke, alle, die mich gut genug kennen, werden wissen, dass ich auf dem Papier viel weiser wirke als im wirklichen Leben. Es macht mir Spaß, die Leser*innen zum Lachen zu bringen, das ist meine Hauptmotivation, wenn ich mich vor meinen Laptop setze, um eine neue Szene zu schreiben. Wenn mir jemand sagt, dass mein Buch gut war, klopfe ich mir selbst auf die Schulter, aber wenn man mir sagt, dass es lustig war, bin ich absolut begeistert.

Aber ich denke, Humor funktioniert noch besser, wenn er mit ernsten Momenten kontrastiert. Und wenn in einem meiner Werke Weisheit oder Tiefsinnigkeit zu finden ist, dann funktioniert all das besser, weil es mit Momenten der Komik kontrastiert. Meine Mentorin Beth sagt mir, dass meine Schreibe ‚lustig ist, aber einen ernsten Rucksack trägt‘, und das ist das Gleichgewicht, das ich immer zu erreichen versuche.

Würdest du sagen, dass dein Buch ein völlig anderer Ansatz dafür ist, den Leuten zu zeigen, dass wir Kapitalismus und Tribalismus besiegen müssen, ehe wir die letzte Chance zur Rettung unseres Planeten nutzen können?

Ich würde nicht sagen, dass ich etwas besonders Bahnbrechendes tue, aber es gibt eine Menge guter Climate-Fiction-Bücher, die sich mit unserem globalen Zustand der ökologischen Gefahr befassen. Alle sollten „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson (im Shop) lesen. Ein Großteil der Cli-Fi beschäftigt sich mit dem Problem der Uneinigkeit innerhalb des Klimakampfes, und „Die alte Garde“ tut das gleiche. Die meisten Witze im mittleren Drittel des Romans haben mit den verschiedenen parodistischen Rebellengruppen zu tun, die sich weigern, zusammenzuarbeiten, obwohl sie alle dasselbe wollen.

Ich denke, das ist etwas, das wir als Spezies überwinden müssen, wenn wir unsere Lebensweise bewahren wollen: Diesen wenig hilfreichen Instinkt, Gründe für Unstimmigkeiten zu finden, anstatt die Gemeinsamkeiten, die gemeinsame Basis. Aber es wird immer Menschen geben, mit denen man keine gemeinsame Basis finden kann, und mit denen man keine Kompromisse eingehen sollte, weil uns das als ein Akt der Kapitulation und Beschwichtigung erschiene. Also bekämpfen wir einander weiter, und die Konzerne machen weiter Geld, und die Armen werden immer ärmer, und die Welt wird immer heißer.

Der Planet wird sich auch in zweihundert Jahren noch drehen, doch er wird ein deutlich weniger menschenfreundlicher Ort zum Leben sein, wenn wir uns nicht zusammenreißen und etwas dagegen tun.

Denkst du, die heutige Gesellschaft ist überhaupt dazu in der Lage, den Karren noch mal aus dem Dreck zu ziehen? Was können wir Nicht-Ritter und Nicht-Zauberinnen tun, um die Erde zu retten?

Das zu beantworten ist ein bisschen unangenehm, weil ich nicht glaube, dass Schriftsteller*innen eine besondere Verpflichtung haben, Lösungen für diese Art von Problemen zu liefern. Satire soll einen Spiegel vorhalten, sie soll keine konkreten Lösungen anbieten. Und Bücher sind aus Bäumen gemacht, also werden sie definitiv nicht die Klimakrise lösen!

Ich glaube, die meisten Menschen, die mein Buch lesen, sind mit mir bereits in vielem einer Meinung, also predige ich in dieser Hinsicht sozusagen zum Chor (ihr könnt meine Ein-Sterne-Rezensionen auf Goodreads lesen, wenn ihr euch über ein paar sonnenverbrannte Klimaleugner mit ihren Aluhüten amüsieren wollt, die Schaum vor dem Mund haben, wenn sie von woker Wissenschaft sprechen – was immer das auch heißen mag).

Einer der Punkte, auf die ich in dem Roman hinauswollte, ist der, dass niemand kommt, um uns zu retten, und dass wir alle aufstehen und versuchen müssen, etwas zu ändern, indem wir Druck auf die Unternehmen ausüben und uns weigern, uns am Ökozid zu beteiligen. Es ist beruhigend, an Mythen zu glauben, wie die, dass Artus zurückkehrt, um die Gefilde vor der Gefahr zu retten, denn das würde uns von der Verantwortung entbinden. Nach dem Motto: Gott sei Dank, ich muss nichts tun!


Die US-Ausgabe des Romans

Auch hier in Deutschland gibt es hitzige Debatten um Klimaaktivismus, Rassismus und das Gendern, was im Deutschen auch noch etwas anders ist als im Englischen. Hätte dich das Wissen um den Gegenwind bei solchen Themen davon abhalten können, einen woken Klimawandel-Roman mit einem schwarzen Kay aus Artus’ Gefolge zu schreiben?

Das ist wie mit den gerade erwähnten Ein-Stern-Bewertungen bei Goodreads. Ich habe keine Angst vor heftigen Gegenreaktionen, aber das liegt nicht daran, dass ich besonders mutig bin. Ich habe einfach das Glück, dass ich relativ unauffällig bin, und ziemlich gut isoliert von der kleinen Anzahl an Leuten im Internet, die eine eigenartig heftige Meinung zu meiner Arbeit haben. Ich kann in Manchester spazieren gehen und an öffentlichen Podiumsdiskussionen teilnehmen, ohne mir Sorgen zu machen, dass etwas Unangenehmes passieren könnte.

Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, diese Leute anzupissen, weil ich der Ansicht bin, dass Fanatiker meinen Respekt nicht verdienen. Und ich denke, dass es für alle, die meinen Roman gelesen haben, ziemlich offensichtlich ist, wie ich zu den meisten dieser Themen stehe. Was die versehentliche Beleidigung von Menschen angeht, die keine Eiferer sind, so habe ich großartige Lektor*innen, und wir haben uns vor der Veröffentlichung des Roman an einige fantastische Sensitivity Reader gewandt, um sicherzugehen, dass ich nicht in irgendein Fettnäpfchen trete.

Und Deutsch ist eine sehr elegante Sprache, und ich wünschte, ich könnte es besser sprechen, als ich es tue. Ich kam nicht viel weiter als „Ein Bananen-Weizen, bitte!“ (Red.: auch im Original auf Deutsch).

Möchtest du deinen so elegant Deutsch sprechenden Leser*innen zum Schluss noch etwas sagen? Vielleicht über deinen nächsten Roman?

Ich möchte nur sagen, dass ich allen dankbar bin, die losziehen und eine Ausgabe von „Die alte Garde“ kaufen, oder schon losgezogen sind und bereits gekauft haben. Ich hoffe, dass ihr es richtig genießen werdet. Was mein nächstes Buch angeht, müsst ihr euch gedulden und abwarten. Doch ich bin noch nicht mit Artus und seinen Rittern fertig …

Ah, sehr schön! Danke für diese kleine Tafelrunde.

Thomas D. Lee: Die alte GardeRoman • Aus dem Englischen von Bernhard Kempen • Heyne, München 2024 • 624 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 18,00 • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.

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