20. September 2022

„Beim Teutates!“ von Lewis Trondheim

(K)ein neuer Asterix: Herrn Hases Meta-Abenteuer bei den Galliern

Lesezeit: 4 min.

Diesen Oktober kommt leider kein neues Comic-Abenteuer mit Asterix, Obelix und den übrigen Galliern heraus. Das nächste Album von Didier Conrad und Jean-Yves Ferri, die 2013 die Nachfolge von René Goscinny und Albert Uderzo angetreten haben, steht wohl erst 2023 an, wenn auf Netflix auch eine neue Animationsserie starten soll (und nachdem die Gallier im letzten Band in der Weltgeschichte unterwegs waren, müsste es dann wieder ein Abenteuer im Dorf und Umgebung sein). Und trotzdem ist dieser Tage – ganz ohne Mundart – gerade ein auf vielerlei Weise überraschender, brandneuer Asterix-Comic erschienen. Na ja. Mehr oder weniger. Nur, dass er von Autor und Zeichner Lewis Trondheim stammt, zu einer anderen Reihe aus dessen eigenem Schaffen gehört und ein ungeheuer freches Meta-Abenteuer von Trondheims Figur Herrn Hase darstellt. Ein Comic, dessen blanke Existenz und Legalität man sich vor ein paar Jahren nicht mal hätte vorstellen können …

Seit 1991 gehört Herr Hase, ein anthropomorphisierter Antiheld mit langen Ohren und turbulentem Leben, zu Trondheims extrem vielseitigem Schaffen. Jedes Einzelabenteuer von Herrn Hase ist anders, wobei es in all den Jahren und Alben voller Satire und Humor quer durch die Genres ging, Zeitreise in die Postapokalypse inklusive. 2018 überwand der sympathische Hase, der eigentlich gar keine Aufregung haben will, sogar seinen Serientod von 2003. Nun schickt Trondheim seine Kultfigur nach Gallien, wo der anpassungsfähige Hase ein krasses Meta-Abenteuer mit Obelix, Idefix und Co. erlebt. Und das alles eher im Trondheim- denn im Uderzo-Style.

Zu Beginn von „Die neuen Abenteuer von Herrn Hase: BeimTeutates! erwacht Hase in einem urigen Wald – und ist angezogen wie Asterix, weshalb er von einem Scherz ausgeht. Selbst als Obelix ihn findet, mit ins weltberühmte gallische Dorf nimmt und dort alle so tun, als wäre Herr Hase wirklich der kleine große Krieger der gallischen Enklave in der römischen Besatzungszone an der Küste. Aber es ist kein ausgeklügelter Streich. Eine Maschine, mit der man in Bücher reisen kann, hat unseren Hasen in die Comic-Welt von Asterix und Obelix gebracht (Quanten, und so). Und jetzt soll er als Aushilfs-Asterix dafür sorgen, dass der Zaubertrank des Miraculix nicht in falsche Hände gerät. Außerdem muss der Besucher damit klarkommen, dass die Römer nicht bloß lustig aus den Sandalen fliegen, wenn man sie verkloppt, sondern dass Blut spritzt, Knochen brechen und Köpfe rollen, sowie es kein typischer Asterix-Comic mehr ist …

Lewis Trondheim, Jahrgang 1964, gehört zu den großen Neuerern des französischen, des gesamten europäischen Comics. Auch er brach schon in den frühen 1990ern mit der klassischen Linie und der traditionellen Erzählweise der alten Meister. Man kennt ihn für die „Abenteuer von Herrn Hase“, „Mehltau“, „Die Fliege“, „Ralph Azham“ und das parodistische Fantastik-Gemeinschaftswerk „Donjon“ mit Joann Sfar und anderen, dem sie vor Kurzem die Frühzeit und die Science-Fiction-Zukunft erschlossen haben. Dazu kommen autobiografische Bildergeschichten wie „Approximate Continuum Comics“ und „Außer Dienst“, in denen Monsieur Trondheim sich gern als Vogel darstellt. Die vom Franzosen verfasste Science-Fiction-Serie „Infinity 8“ ist leider noch eine Lücke bei uns, trotz Export ins Englische.

Mit dem Import von Herrn Hase in den Sehnsuchts-Kurort an der Küste Galliens und im Herzen von Comic-Europa – dieser Asterix-Hommage der etwas anderen Art, diesem Pastiche, dieser Parodie, ja, diesem Crossover! – hat garantiert kein Fan der Gallier, des Hasen und des Comics gerechnet. Und bis vor ein paar Jahren hätte man diese freche Trondheim-Exkursion ins Hoheitsgebiet der Klassiker von Goscinny und Uderzo alleine aus rechtlichen, markenschutztechnischen Gründen nie für möglich gehalten.

Sicher, schon in den 1960ern veröffentlichte Rolf Kauka erste Asterix-Übersetzungen als krasse „Eindeutschungen“ – die Helden hießen Siggi und Babarras und waren Germanen. Nachdem Goscinny und Uderzo dem juristisch einen Riegel vorgeschoben hatten, brachte Kauka seine eigenen historischen Heroen Fritze Blitz und Dunnerkiel ins Spiel. 1986 inszenierten J. M. DeMatteis und Keith Giffen das US-Heft „Action Comics“ 579, worin Superman und sein junger Freund Jimmy Olsen bei unschwer zu identifizierenden Galliern landeten. Verleger Hans Gamber wurde für die Parodie „Die hysterischen Abenteuer von Isterix“ von 1989 derweil bis in die Obdachlosigkeit verklagt. 1997 und 2007 erschienen mit „Uderzo – von seinen Freunden gezeichnet“ sowie „Asterix und seine Freunde – Hommage an Albert Uderzo“ dagegen zwei offizielle Tribut-Anthologien. Und die Fortsetzung der Asterix-Saga durch ein neues Kreativteam sowie der allgemeine Hang zu eigensinnigen Hommage-Alben mit Heldenlegenden wie Lucky Luke, Spirou, Corto Maltese oder Marsupilami haben die Grenzen anscheinend weiter aufgeweicht.


Trondheim. Selbstportrait.

Also darf sich Superstar Lewis Trondheim nun inoffiziell, aber mit offiziellem Segen im Kosmos der wohl erfolgreichsten und gemeinhin akzeptiertesten aller Comic-Ikonen austoben – und Gallien mit seinem fiesen, brutalen, rabiaten und blutigen Humor erobern. Für strenge Asterix-Puristen mag das, Hommage-Boom hin oder her, vielleicht too much sein. Alle anderen haben tierisch viel Spaß mit dem ungewöhnlichsten und frechsten Asterix-Comic ihrer Sammlung. „Mit aufrichtiger Bewunderung für René Goscinny und Albert Uderzo“, schreibt Trondheim in seiner Widmung, und: „Allen, die die Abenteuer von Asterix weiterführen, ob jetzt oder in der Zukunft, gilt meine Sympathie und mein Mitgefühl.“

Abb. © L’Association. All Rights Reserved / dt. Ausgabe Reprodukt

Lewis Trondheim: Die neuen Abenteuer von Herrn Hase Bd. 6: Beim Teutates! • Reprodukt, Berlin 2022 • 48 Seiten • Softcover-Album im Asterix-Look: 13,00 €

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