7. Oktober 2020

„13 Sentinels: Aegis Rim“: Malerische Zeitreisen

Das komplexe Adventure zählt zurecht zu den Geheimtipps des Jahres

Lesezeit: 5 min.

Eigentlich beschleicht einen erfahrenen Tester von Videospielen fast zwangsläufig eine gewisse Skepsis, wenn er weiß, dass ein Titel satte sechs Jahre in der Entwicklung war, obwohl es sich nicht um einen immens aufwändigen Blockbuster handelt. Im Fall von 13 Sentinels: Aegis Rim (aktuell zum Vollpreis nur auf PS4 verfügbar) muss man jedoch unbedingt hinzufügen, dass wir es hier mit dem neuesten Produkt des japanischen Studios Vanillaware zu tun haben, das in der Vergangenheit speziell auf diversen Playstation-Generationen schon mit Action-RPGs wie Odin Sphere oder Dragons Crown aufwarten und sich so eine gewisse Reputation unter Kennern erwerben konnte.

Wer den Machern mit Hauptsitz in Osako nun also nicht aufgrund des langen Prozesses per se unterstellt, sich womöglich kreativ verzettelt und sich dann noch mit der Lokalisation für den Westen zu lange Zeit gelassen zu haben, wird mit einem Spielerlebnis belohnt, wie man es trotz des bisherigen Schaffens von Vanillaware in dieser starken Form kaum erwarten durfte. 13 Sentinels: Aegis Rim ist ein Adventure zwischen Sci-Fi und Mystery geworden, das auch ohne großes Budget im Genre heraussticht und welches das leider oft etwas ausgelutschte Zeitreisemotiv spielmechanisch wie erzählerisch so ernst nimmt, dass man sich tatsächlich im besten Sinne von der Geschichte vollständig gepackt fühlt.

Die Macher warten dazu mit einem speziellen Kniff auf: Der Plot entfaltet sich nämlich nicht auf einer Zeit- oder Handlungsebene, sondern anhand von 13 Figuren, die alle jeweils ihren eigenen Erzählstrang durchleben und wir (bis auf das ausgiebige Tutorial) immer wieder zwischen den relativ kleinteiligen Abschnitten via Menü springen. Kein Strang fällt dabei aber trivial aus, denn nur im Zusammenspiel aller Perspektiven konstruiert sich das große Ganze der Story mit all ihren Verästelungen. Als wäre das nicht genug, wählen wir meist bzw. unter bestimmten Erfolgsgesichtspunkten selbst, mit welchem Charakter es weitergeht und erhalten so die Option, beispielsweise länger an einer Figur dranzubleiben (was am einfachsten ist) oder tatsächlich stets mit einer anderen fortzufahren.

Zuviel von der Story zu verraten, wäre gerade in diesem Fall ein echtes Sakrileg, da sich die Autoren wahrlich Mühe gegeben haben, ihren Charakteren Charme, Witz und noch viele weitere Attribute auf den Leib zu schneidern und den Plot dazu mit vielen Referenzen auf Sci-Fi-Klassiker wie Terminator oder Krieg der Welten zu bereichern. Daher nur so viel zum Handlungsgerüst: Die Menschheit wird überall auf der Welt von einer Übermacht attackiert und es droht die Apokalypse. Nur einige riesige Mechs sind offenbar in der Lage, sich den Invasoren entgegen zu stellen (die namensgebenden 13 Sentinels), wobei diese wiederum von unseren spielbaren Helden, einer Truppe Teenager, gesteuert werden. Ganz so simpel, wie dieser Ansatz ohne weitere Erläuterung klingt, ist es aber nicht.

Denn wie bereits angedeutet, springt die Handlung zwischen verschiedenen Zeitebenen über mehrere Jahrhunderte (etwa vom Zweiten Weltkrieg bis ins 22. Jahrhundert) und eröffnet erst nach und nach, warum es zum Angriff kam und wie unsere jugendliche Truppe in das Ganze hineingerät. Der Reiz besteht darin, die zunächst verwirrenden Puzzleteile zusammenzufügen, wobei die jeweiligen Sequenzen allerdings so ansprechend und letztlich zugänglich gestaltet sind, dass die narrative Schnitzeljagd nie in Arbeit ausartet. Ganz im Gegenteil, hier wird malerische Erzählkunst made in Japan zelebriert – und das sogar ohne überpeinliche Sexualisierung, die leider bis heute viele Spiele aus Fernost unerträglich werden lässt.

Besonders die mittlerweile neben Japanisch auch in Englisch vorliegenden, hervorragend geskripteten Dialoge (inklusive deutscher Texte) bilden das Herzstück der Handlung, die dazu in einem traumhaft schönen 2D-Stil inszeniert wird. Sowohl Charaktere wie Umgebungen sind liebevoll wie markant umgesetzt und gerade die Farbwahl könnte expressiver kaum sein. Jedes Zeitalter pflegt seine eigenen Nuancen und Effekte und so fällt es manchmal regelrecht schwer, sich gleich für das nächste Kapitel zu entscheiden. Die Dialoge lassen sich dabei dezent via Stichwörter beeinflussen, die von uns ausgewählt und mit denen auch Items oder Hinweise zum Gegenstand einer Unterhaltung werden können. Zu viel weitere Entscheidungsfreiheit würde aber wohl speziell in diesem Fall dem Storytelling entgegenstehen, obgleich das Stichwortsystem leider manchmal etwas nerven kann, da sich Dialoge wiederholen können.

Doch Vanillaware hat nicht nur Story und Atmosphäre im Gepäck, sondern bietet uns ebenso Gefechte. Die finden jedoch, anders als bei früheren Titeln der Japaner, nicht mit handfester Action statt, sondern in strategischen Duellen auf isometrischen Stadtschlachtfeldern, in die man hineinzoomen kann. Unsere Mechs unterscheiden sich dabei in Kategorien wie Haltbarkeit oder Bewaffnung und können im Verlauf der gut 30-35 Stunden Spielzeit via Creditsystem aufgerüstet werden. Mit mehreren wählbaren Einheiten gleichzeitig geht es gegen die Angreifer, wobei wir stets aufgrund eines mitlaufenden Active-Time-Battle-Systems abwarten müssen, wann unser nächster Mech nach einer bestimmten Zeit wieder eine Aktion wie Angriff, Verteidigung, Reparieren oder Fortbewegung ausführen darf.

Das spielt sich zu Beginn alles ziemlich einfach, nimmt jedoch zunehmend an Fahrt auf und verlangt von uns bald präzise Entscheidungen, wann wir uns etwa wie positionieren und welche Upgrades wohl am besten für unsere Einheiten wären. Wer sich gut schlägt, kann zusätzliche Bonusziele meistern und so den Creditstand weiter nach oben treiben und sich im sehr üppigen Modifizierungsmenü austoben. Der im Vergleich zum Storypart sehr andersartige, wenn auch nicht ganz so hochwertige Grafikstil der Gefechte unterstreicht immerhin gekonnt die Abwechslung, die mit der Aufteilung in Adventure und Strategie innerhalb von 13 Sentinels: Aegis Rim auch abseits der Handlungsstränge geboten wird.

So bleibt unter dem Strich ein sich grandios entfaltendes Storyerlebnis in wunderschönen Bildern, das zur Auflockerung einen ansprechenden, wenn auch im Vergleich zur Handlung deutlich abfallenden Action-Strategie-Part mitführt. Die verzweigte Handlung etwa durch gewonnene Schlachten weiterzutreiben oder die Dialoge mithilfe des Stichwortsystems zumindest ansatzweise in bestimmte Richtungen zu lenken, motiviert auch dank des frustfreien Schwierigkeitsgrades ungemein. Zu guter Letzt verdient sich auch die stets stimmig der Situation angepasste Soundkulisse ein Lob, die über den gesamten Spannungsbogen kaum abfällt und oft sogar als aktiver Teil des Storytellings fungiert.

Fazit

Wunderschön inszeniertes, charmant erzähltes Adventure zwischen Sci-Fi, Zeitreise und Mystery, das zusätzlich zur epischen Handlung sehr solide Strategiekämpfe mit Mechs zu bieten hat.

13 Sentinels: Aegis Rim • Vanillaware • Sci-Fi-Mystery-Adventure/Strategie • PS4

Abb. © Atlus

 

 

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