30. März 2023

„The Ordinaries“: Achtung Blendgranate

Außen hui und innen doof

Lesezeit: 3 min.

Wie sehr Til Schweiger, Matthias Schweighöfer und Bora Dagtekin die deutsche Kinolandschaft jahrelange in ihrem Würgegriff gehalten haben, merkt man daran, dass gerade reihenweise Lobeshymnen auf „The Ordinaries“ eintrudeln und ja, in den ersten Minuten denkt man tatsächlich: Huch – ein deutscher Film mit Ideen!

Die als „Science-Fiction-Satire“ vermarktete Abschlussarbeit von Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Sophie Linnenbaum an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf spielt in einer wortwörtlichen Filmwelt. Die ist aufgeteilt in Haupt- und Nebenfiguren. Figuren mit Filmfehlern, Jump-Cuts, Fehlbesetzungen und andere, so genannte Outtakes, werden ausgrenzt. Die 16-jährige Protagonistin Paula (Fine Sendel) hat an der Schule für Hauptfiguren die Chance von einer Nebenfigur zur Hauptfigur befördert zu werden, endlich ein Leben mit einer eigenen Story, spannenden Szenen und viel Musik zu führen. So wie ihr Vater, der eine heldenhafte Hauptfigur war, allerdings bei einem historischen Massaker der Outtakes ums Leben kam, und ganz anders als ihre Mutter, eine Nebenfigur, deren Inventar an Dialogen und Emotionen stark begrenzt ist. Eine Hürde besteht für Paula und ihren stets traurigen Teddybär-Augen allerdings noch: Die Klassenbeste muss in ihrer Abschlussprüfung beweisen, dass sie zur Hauptfigur taugt. Doch das Mädchen schafft es nicht, eine eindringliche Filmmusik aus ihren Gefühlen heraus zu erzeugen – ohne die Musik wird es aber nichts mit ihrem Aufstieg. Die beste Freundin Hannah (Sira-Anna Faal) bringt Paula auf die Idee zur Inspiration mal im Archiv des Instituts für Hauptfiguren nach Flashbacks ihres Vaters zu suchen – doch im Institut sind keine Erinnerungen archiviert. Paula macht sich auf die Suche nach der Wahrheit über ihren Erzeuger und dieser Weg führt sie tief ins Gebiet der Outtakes …

Die Welt, die Linnenbaum und ihre Drehbuchkollege Michael Fetter Nathansky auffächern, macht zunächst Spaß: „The Ordinaries“ erfreut mit einer Ästhetik die zwischen Rainer Werner Fassbinders „Welt am Draht“ (1973), Peter Jacksons Hobbit-Höhlen und Doris-Day-Kitsch pendelt, einer guten Besetzung und schön schrägen Ideen wie einem personifiziertem Jumpcut, der mit Geräuschen dealt. Statt sich aber dieser Welt mit Haut und Haaren zu verschreiben, totale Verrücktheit zu wagen, wird mit zunehmender Laufzeit deutlich, dass doch wieder nur vom so beliebten Familienkleinklein erzählt wird, das man seit einigen Jahren praktisch überall – besonders bei den unzähligen Comicverfilmungen, an die sich Linnenbaum mit dem Titel „The Ordinaries“ natürlich anlehnt – serviert kriegt, hier aber zum „metaphorischen und politischen Plädoyer für eine bessere Zukunft, frei von Ausgrenzung und Diskriminierung“ (Zitat Presseheft) aufgeblasen wird, denn es handelt sich ja um eine Abschlussarbeit.

Leider beschränkt sich das mit 120 Minuten viel zu lange Plädoyer auf die banale Aussage, dass soziale Ausgrenzung nicht nett ist und rückt mit einer „alle können es schaffen, wenn sie nur wollen“-Message zudem gefährlich nahe an den neoliberalen Will-Smith-Kackhaufen „Das Streben nach Glück“ (2006). Nicht besser wird die Anspruchshaltung dadurch, dass der Story – trotz pflichtgemäß diverser Besetzung – jegliche Sensibilität für das eigene Sujet fehlt, kein Bewusstsein für Ausgrenzungsmechanismen vorhanden ist. Das manifestiert sich vor allem in der Figur von Hausmädchen Hilde, gespielt von einem Mann in Frauenkleidung, der als „Fehlbesetzung“ bezeichnet wird, was aber keiner Allegorie dient, sondern einfach als ein wie aus einer Peter-Alexander-Klamotte importierter Gag im Raum steht. Bevor man die Welt verbessern will, sollte man sie vielleicht erstmal etwas genauer kennen lernen.

„The Ordinaries“ läuft ab dem 30.03.2023 im Kino.

The Ordinaries“ (Deutschland 2022) • Regie: Sophie Linnenbaum • Darsteller: Fine Sendel, Jule Böwe, Henning Peker, Sira-Anna Faal, Noa Tinwa, Denise MBaye

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