22. Januar 2024

„The Kitchen“: Reich gegen Arm

Absolut gut gemeintes, aber kraftloses Sci-Fi-Sozialdrama

Lesezeit: 3 min.

Beim von Netflix eingekauften „The Kitchen“ handelt es sich um ein britisches Sci-Fi-Sozialdrama, das vor allem England im Blick hat, aber auch in einem Deutschland, in dem seit Monaten Politiker (vor allem aus vermeintlich „christlichen“ Parteien) geifernd darüber debattieren, wie man Menschen, die bereits im Staub liegen, so weit wie nur irgend möglich in den Erdboden rammen kann, einen Nerv treffen dürfte. Die Regisseure Daniel Kaluuya (vor allem als Hauptdarsteller aus Jordan Peeles „Get Out“ bekannt) und Kibwe Tavares wandern auf der Zeitachse nur ein paar Jahre weiter und führen vor, wie das weitergehen könnte. So kommen hier gesichtslose Polizeieinheiten zum Einsatz, die es der Unterschicht im Auftrag der Oberschicht mit Elektroschockern, Knüppeln und Würgegriffen mal so richtig zeigt. Es gibt Szenen zu sehen, die mit Sicherheit die feuchten Träume diverser Talkshow-Kläffer abbilden.

Erzählt wird von einem London der Zukunft, in dem die Schere zwischen Art und Reich so weit auseinander gegangen ist, wie noch nie. Der Wohlfahrtsstaat wurde abgeschafft, die Immobilienpreise sind die in die Höhe geschossen, wer kein Geld hat, wird weggeschmissen, wie der wortkarge, grüblerische Izi erläutert. Wobei der Wegwurf hier ökologisch romantisiert daherkommt. Izi arbeitet nämlich im Bestattungsunternehmen „Life After Life“, das finanziell schwach gepolsterten Familien anbietet, die Überreste der Verblichenen nach ihrer Einäscherung als Erde für Setzlinge zu verwenden und ihnen damit eine Gedenkpflanze zu setzen. Aber natürlich ist das Augenwischerei: Dem niederen Pöbel ist noch nicht mal im Tod nur die geringste Würde vergönnt.

„Life After Life“ befindet sich im Stadtviertel The Kitchen, dessen Bewohner sich weigern den Ort zu verlassen, obwohl die Stadtverwaltung den Druck stetig erhöht und nach und nach Wasser und Storm abstellt. Nur Izi möchte weg, hat für einen Umzug in eine bessere Gegend gespart und ist kurz vor seinem Ziel. Eines Tages bemerkt er aber, dass bei einem der Gottesdienste in der Gedenkzone von „Life After Life“ eine Frau bestattet wird, die er von früher kannte und lernt dort deren 12-jährigen Sohn Benji kennen – ein Moment, der sein Leben verändern wird …

Doch der eigentliche Protagonist ist die titelgebende Kitchen. Kaluuya und Tavares sind mit ganzem Herzen bei denen ganz unten und präsentieren diesen multikulturellen Schmelztiegel (obwohl die Schwarzen anscheinend deutlich in der Mehrheit sind, wird immer wieder deutlich gemacht, dass keine simple Schwarz-vs-Weiß-Rechnung aufgemacht werden soll) in tollen Bildern als lebendigen, pulsierenden, farbenfrohen Körper mit großem Gemeinschaftssinn, der im steilen Kontrast zur keimfreien, kalten, aus Glas und Stahl bestehenden Außenwelt steht. Überhaupt: Das Worldbuilding ist gut gelungen: Erklärt wird nichts, man wird in diesen mit Liebe entworfenen Mikrokosmos reingeworfen und äußerst erkundungsfreudig und sehr schwelgerisch durch diese wuselnde Welt mit all ihren Besonderheiten (wie dem Aussuchen der richtigen Frisur via Hologramm oder den Rollerblade-Tanzparties im Keller) geführt. Der Gedanke, dass das alles nicht mehr sein soll, lässt einen schauern und so entfaltet ein brutaler Angriff des Räumungstrupps dann auch eine entsprechende Wirkung.

Leider nutzen die beiden Regisseure das Potential ihres tolles Settings aber nur bedingt und wechseln zu oft von einer mit spürbarer Wut aufgeladenen politischen Allegorie zu einem bleiernen Drama, das sich um Izi, gespielt von Rapper Kano, und Benji, gespielt von Newcomer Jedaiah Bannerman, dreht. Beide Darsteller geben sich absolut keine Blöße, müssen aber zehntausendfach gesehene Standardfiguren spielen, die ein ebenso oft gesehenes Standardverhältnis durcharbeiten müssen, das in einer banalen „Ich bin dein Vater“-Offenbarung mündet und den Film am Ende wie einen majestätischen, fauchenden Tiger wirken lässt, der durch einen Zusammenprall mit einer Betonwand alle Reißzähne verloren hat. Schon noch kuschelig, aber einfach nicht mehr so wirklich beeindruckend.

The Kitchen“ • Großbritannien, USA 2023 • Regie: Daniel Kaluuya, Kibwe Tavares • Darsteller: Kano, Hope Ikpoku Jnr, Lola-Rose Maxwell, Dani Moseley, Henry Lawfull, Harvey Quinn • Netflix

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