21. März 2024

„Dream Scenario“: Horror-Sci-Fi-Tragikomödie mit smarten Pupswitzen

Nicolas Cage als Freddy Krueger der Evolutionsbiologie

Lesezeit: 5 min.

Träume waren vor allem in den Horrorfilmen der 1980er-Jahre ein beliebtes Thema, man denke nur an die äußerst populäre „Nightmare on Elm Street“-Kinofilmreihe um den pizzagesichtigen Kindermörder Freddy Krueger, der die Träume seiner Opfer infiltriert und diese mit seinem Klingenhandschuh tötet, was deren Ableben im realen Leben bedeutet. Auch Paul Matthews (Nicolas Cage) taucht in den Träumen junger Menschen auf und begeht dort brutale Morde, aber seine Opfer leben in der Realität weiter und der Klingenhandschuh kommt nur bei einem demütigenden Fotoshooting im maroden Keller einer französischen Buchhandlung zum Einsatz.

Dream Scenario“ von Regisseur und Drehbuchautor Kristoffer Borgli wartet zwar mit Horrorelementen auf, aber eigentlich wird auf tragikomödiantische Weise vom Aufstieg und Fall eines einfachen, unscheinbaren, biederen, böse gesagt eigentlich ziemlich langweiligen Mannes erzählt, der in seiner kleinen Welt gefangen ist, neben dem Leben herläuft, sich in sich selbst verloren hat.

Paul Matthews ist Uni-Professor mit kreisrunder Halbglanze, Wohlstandbäuchlein, Schlabberklamotten und Schwerpunkt Evolutionsbiologie. Die Begeisterung seiner Studenten hält sich in Grenzen, seine Ehe verläuft mehr routiniert als leidenschaftlich und die Kinder finden ihren Dad uncool. Matthews schlürft sich so durchs Leben, hängt seinem großen Traum von einem Buch über die Intelligenz der Ameisen nach, hat aber noch keine einzige Zeile in den Monitor gehämmert. Doch plötzlich passiert was Seltsames. Der Professor taucht in den Träumen von unzähligen Menschen auf, die ihn gar nicht kennen, verhält sich da aber ebenso teilnahmslos wie im realen Leben und steht passiv in den jeweiligen Traumszenarien – die optisch clevererweise nicht von den Szenen in der Realität abgegrenzt sind, was einen Raum für verspielte Irritationsmomente eröffnet – herum oder läuft durch diese hindurch. Was teilweise einen äußerst bizarr-komischen Effekt hat, etwa dann, wenn einer seiner Studenten in seinem Traum von einem Dämonen angegriffen wird, sich Paul aber lieber Baumpilze anguckt, statt zu helfen.

Das Phänomen macht ihn – obwohl er weniger dazu beigetragen hat, als jede Instagram-Prominenz – über Nacht zum Star, was der Dozent mit eher gedämpfter Begeisterung zur Kenntnis nimmt, denn eine PR-Agentur wittert natürlich enormes kommerzielles Potential. Doch Paul will seinen neuen Fame lieber nutzen, um endlich ein Buchprojekt umzusetzen und so wird die Zusammenarbeit mit der Getränkemarke Sprite, die er in den Träumen anspreisen soll, abgesagt. Als der Paul der Träume allerdings plötzlich gewalttätig wird, bröckelt der schnell erworbene Ruhm ebenso so schnell wieder weg …

„Dream Scenario“ porträtiert wenig verschlüsselt das Social-Media-Zeitalter und widmet sich in der zweiten Hälfte ebenso soziokulturellen Erscheinungen wie der Cancel Culture, verkneift es sich aber dankenswerterweise einen Standpunkt zu beziehen und im plumpe Schwarz-Weiß-Muster zu fallen, sondern fächert eher eine Art Versuchsanordnung auf, die einen beobachtende, aber nicht distanzierte Haltung zu ihrem Protagonisten einnimmt.

Matthews wird emphatisch genug porträtiert, um Anteilnahme an der Figur zu wecken, er ist anderseits aber niemand, dem man unbedingt die Daumen drückt. Der Professor ist ein Mensch, der in seiner Haut gefangen ist, bezeichnenderweise zieht er oft selbst in Innenräumen seine dicke Daunenjacke nicht aus, die wie ein Schutzraum anmutet. Er will Anerkennung, ist aber seltsam teilnahmslos, wirkt – wie eben in den Träumen – abgekoppelt von der Welt um ihn herum und ergreift dementsprechend keine Initiative. Er wäre gerne Buchautor, aber er schreibt nichts. Er regt sich zwar darüber auf, aber er bringt es nicht fertig, eine ehemalige Kollegin damit zu konfrontieren, dass sie sein Lebensthema Ameisenintelligenz vor langer Zeit aufgegriffen und in einem Beitrag zu einem renommierten wissenschaftlichen Magazin verarbeitet hat. Er schlägt eine finanziell sicherlich sehr einträgliche Zusammenarbeit aus, sondern will zur großen Irritation der Agentur lieber endlich sein Buch schreiben. Er wirkt hilflos als seine Familie und er von einem psychisch gestörten Angreifer attackiert wird und er schafft es nicht von seinen Liebsten Schaden abzuwenden, als sich das Blatt gegen ihn wendet – ihm scheint auch gar nicht so recht bewusst zu sein, was er an seiner Familie überhaupt hat. Er handelt nicht proaktiv und versucht mit einer Entschuldigung die Wellen ein wenig zu glätten, wie seine Frau vorschlägt, sondern postet erst spät, angetrieben von zorniger Verzweiflung, ein jämmerliches, selbstmitleidiges, peinliches Video, in dem er fragt, ob er selbst nicht das größte Opfer sei, was eine Scheidung zur Folge hat. Und bei einem Schulauftritt seiner Tochter bleibt er nicht, wie gewünscht, fern, was das Beste für seine Tochter gewesen wäre, sondern pocht wütend auf sein Recht und löst versehentlich ein Desaster aus, das die Leute in ihrer Ansicht bestätigt, dass der Paul aus ihren Träumen nicht weit entfernt ist vom Paul aus dem realen Leben.

Selbst eine klassische alte-Männer-Wunschsituation geht schief: Bei einem Treffen mit Molly, einer halb so alten, äußerst attraktiven Mitarbeiterin der Agentur, die Sexträume vom Professor hat und die im echten Leben nachstellen will, schwimmt er zwischen zwei Polen. Er will nicht so recht gehen, da er verheiratet ist, irgendwie genießt er die Aufmerksamkeit der schönen, blutjungen Frau ja schon, den ersten Schritt muss aber sie machen – worauf sich ihre Träume mit zwei lauten Fürzen und einem vorzeitigen Samenerguss auflösen und Paul tief beschämt die Flucht ergreift. Eine grandiose Szene, die es tatsächlich schafft brachialsten Vulgärhumor und tiefste Tragik unter einem Hut zu bringen.

„Dream Scenario“ funktioniert als Charakterporträt gut, allerdings geht Borglis Film im letzten Drittel allmählich die Luft aus. Die Figur ist auserzählt und das reinrumpelnde Science-Fiction-Element (nach einem zeitlichen Sprung sind nun Traumreisen möglich, was wiederum Konzerne nutzen um den Menschen die Werbebotschaften direkt in die Köpfe zu pflanzen) ist zwar ganz amüsant und angesichts jüngster Entwicklungen (Stichwort: Neuralink) weitaus weniger unrealistisch als man gerne hätte, wirkt aber wie von einem anderen Film drangetackert. Das bittersüße Ende versöhnt dann durchaus wieder.

Der für sein hyperexaltiertes Schauspiel berüchtigte Nicolas Cage hat viel Lob für sein dieses Mal sehr zurückhaltendes Spiel eingeheimst – der „alte Cage“ blitzt nur punktuell auf (in den Horrorträumen) – und das zu Recht. Er ist das Herz von „Dream Scenario“. Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob ein unbekannter Akteur nicht die bessere Wahl gewesen wäre, denn überlebensgroße Superstars bringen gerade bei solchen Rollen immer ein Problem mit. So gut das auch gespielt sein mag: Letztendlich sieht man ja doch „nur“ Nicolas Cage, der einen „Normalo“ mimt, aber nie den Normalo.

Alles in allem: Kein Film, der in Träume eindringen wird, aber: Smartere (und fremdschämigere) Pupswitze gibt’s selten – sollte man gesehen haben!

Dream Scenario • USA 2023 • Regise: Kristoffer Borgli • Darsteller: Nicolas Cage, Julianne Nicholson, Michael Cera, Tim Meadows, Dylan Gelula, Dylan Baker • ab 21. März im Kino

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