24. Februar 2024

„Touring After the Apocalypse“ von Sakae Saito

Manga-Postapokalypse mal anders: Mit dem Motorrad durchs entvölkerte Japan

Lesezeit: 3 min.

Postapokalypse kann nur finster und brutal, muss düster und schonungslos, also „The Walking Dead“ oder „The Last of Us“? Kampf um die einzige verbliebene Zuflucht, die letzte Cola-Dose oder Packung Ramen, die verblassende Hoffnung und Zukunft der gesamten Menschheit?

Der frisch erschienene Auftaktband der Manga-Serie „Touring After the Apocalypse“ von Autor und Zeichner Sakae Saito beweist das Gegenteil. Denn in seiner Bilderfortsetzungsgeschichte hat es zwar das Worst-Case-Szenario gegeben und ist die moderne menschliche Zivilisation untergegangen – von marodierenden Kannibalen-Rudeln, allgegenwärtigen Zombie-Horden oder gnadenlosen Räuber-Banden jedoch keine Spur. Die Städte Japans liegen in Trümmern, die Menschen sind von der Erdoberfläche verschwunden, die Natur holt sich die Welt nach und nach zurück, aber das ist auf gewisse Weise schon eine wirklich hübsche Kulisse für eine Sightseeing-Tour durch Japan, oder? Auf diesem touristischen Trip folgen wir der jungen Yoko, die zum ersten Mal ihren Bunker verlassen hat und immer wieder von der früheren Welt träumt, und ihrer Freundin Airi, einem Cyborg-Mädchen mit erstaunlichen Fähigkeiten, wenn es um andere KI geht.

Auf einem umgebauten Yamaha-Motorrad, das nun von einer Batterie angetrieben wird und via Solarfolie aufgeladen werden kann, reisen die beiden durch das durchgeschüttelte, leere Japan. Dabei folgen sie dem Online-Reisetagebuch von Yokos Schwester, die noch vor der Apokalypse von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gezogen ist und alles über die Social-Media-App Touringram dokumentiert hat. Auch Yoko und Airi bestaunen also den eindrucksvollen Fuji von Hakone aus, fahren über die Yokohama Bay Bridge und besuchen das riesige Messegelände Tokyo Big Sight. Anderen Menschen begegnen Yoko und Airi zumindest im ersten Band der Serie keinen, dafür einem KI-gesteuerten Panzer mit folgenschwerer Fehlfunktion, einem in einen Roboterkörper verpflanzten Familienvater und einigen Meerestieren mit Riesenwuchs. Und klar, auf der ständigen Suche nach übriggebliebenen Vorräten stolpert man in einem verbarrikadierten Wohnhaus vielleicht schon mal über eine Leiche, oder fährt fast in ein Loch, das mitten auf der Fahrbahn einer Brücke klafft. Na ja, zur Not kann man ja immer noch die Angelrute ins Wasser halten, man muss sich nur vor Orcas oder Haien in acht nehmen. Ansonsten ist alles ein großer, ziemlich ausgelassener, abenteuerlicher Spaß …

So tickt „Touring After the Apocalypse“, auf Japanisch vor den Sammelbänden zunächst im monatlichen Magazin „Dengeki Maoh“ serialisiert, tatsächlich Kapitel für Kapitel, Station für Station: Die Gefahren und Konsequenzen halten sich in Grenzen, das Abenteuer und die Atmosphäre funktionieren dennoch. Natürlich werden der Weltuntergang und die Postapokalypse damit verklärt, wird das anfangs noch menschenleere Japan nach dem großen Knall zu einem Fantasie-Sehnsuchtsort und Traum-Abenteuerspielplatz ohne Verkehrsregeln, Staus, Ticketpreise, Menschenandrang. Realistisch ist das nicht (sind Zombies allerdings auch nicht).

Doch es macht eben auch großen Spaß, mit Yoko und Airi auf Sightseeing-Tour zu gehen, reale Orte zu besuchen – die „Reisegeschichte“ ist übrigens durchaus eine bekannte Erzählform in Manga, die durch das Smartphone mit dem gesprungenen Display, die Reiseblaupause der Schwester und die Postapokalypse einen ganz interessanten Dreh kriegt. Dazu kommen äußerst gelungene Graustufen-Zeichnungen von Sakae, der besonders in der Darstellung von Landschaften, Städten und Tieren auf Realismus und Details setzt, und bei seinen beiden Protagonistinnen eine charmante, manga-typische Optik mit Raum für Slapstick und andere Übertreibungen pflegt, ohne den Bogen zu überspannen.

Wir müssen in den nächsten Bänden dringend etwas mehr über Yoko und Airi erfahren, und wahrscheinlich hätten ein paar Infos schon jetzt, schon früher kommen sollen. Außerdem kann man darauf spekulieren, dass sie doch noch anderen Überlebenden begegnen werden. Bis dahin bietet dieser launige, leichtherzige Auftakt der etwas anderen Manga-Motorradtour durch die japanische Postapokalypse luftigen Feelgood-Lesespaß, und zwischen all den rauen, düsteren, knallharten Genre-Stoffen eine angenehme Abwechslung – unterhaltsames, kurzweiliges Kontrastprogramm nach dem Ende der Welt.

Zu sehr sollten wir uns allerdings trotzdem nicht nach Apokalypse und Postapokalypse sehnen …

Saito Sakae: Touring After The Apocalypse Bd. 1 • Carlsen Manga, Hamburg 2024 • 192 Seiten • Paperback: 8 Euro

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.

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