7. Januar 2023

Shaltorpedos aus synthetischem Plastik

Es rumst, zischt und splittert: John W. Campbells Space-Opera-Klassiker Der unglaubliche Planet in Neuausgabe

Lesezeit: 5 min.

„Die Nova lag zum Abflug bereit. Sie war als Superkreuzer konstruiert, eine dreihundertfünfzig Meter lange tödliche Kampfmaschine. Ihre glatten silbrigen Resistriumwände glitzerten im Sonnenlicht.“ Wer Der unglaubliche Planet von John W. Campbell (im Shop) in die Hand nimmt, wird mit jenen Basisthemen der Science-Fiction konfrontiert, die seit den 1930er Jahren das Genre prägen: Abenteurer, Raumschlachten, berstende Sonnen. Es rumst, zischt und splittert. Gerade in den frühen Texten kommen die kosmische Gigantomanie, die Allmachtsphantasien und die technische Versessenheit jener Jahre besonders klar ins Bild, was bedeutet, dass bei heutiger Lektüre ein gewisses Verständnis walten muss – E.E. „Doc“ Smith ist nicht Ian M. Banks (im Shop), und nicht jede Space Opera erweist sich als so gut gealtert wie der Foundation-Zyklus von Isaac Asimov (im Shop). Wie ist unter diesen Umständen der Roman Der unglaubliche Planet (1949) einzuschätzen, den Heyne nun in durchgesehener Übersetzung vorgelegt hat?

Zunächst: John W. Campbell Jr. (1910–1971) gehört trotz seines wichtigen Kurzromans Who goes there? (1937; verfilmt u.a. 1982 als The Thing von John Carpenter) nicht zu den Spitzenautoren der Science-Fiction, sondern zu deren Gründervätern. Als Herausgeber des einflussreichen Magazins Astounding hat er in den Jahren 1938 bis 1960 maßgeblich dazu beigetragen, die Linien des zuvor primär von Hugo Gernsback (1884–1967) definierten Genres zu verschieben. Zwar teilte Campbell durchaus dessen Überzeugung, „dass es in der Science-Fiction in erster Linie um science gehen sollte“ (Sascha Mamczak), doch er legte auch auf eine stimmige Erzählweise Wert und sorgte dafür, dass sich die Literatur inhaltlich wie stilistisch verbesserte. In seiner Rolle als Herausgeber förderte er maßgeblich Autoren wie Arthur C. Clarke (im Shop), Robert A. Heinlein (im Shop) und A. E. van Vogt (im Shop), die allesamt dem „Goldenen Zeitalter“ zuzurechnen sind; außerdem ist Campbells Name eng mit jenen naturwissenschaftlich orientierten Werken verknüpft, die nunmehr als „Hard-SF“ vermarktet werden. Stephen Baxter (im Shop), James Corey (im Shop) und Andy Weir (im Shop) wären Beispiele hierfür, aber auch das ursprüngliche Konzept von Star Trek (im Shop) ist diesem Ansatz verpflichtet.

Dies bedeutet allerdings, dass von den späteren Entwicklungen des Genres, für deren Beginn beispielhaft Alfred Besters Roman The Demolished Man (1951; dt. Demolition) steht, noch nicht die Rede sein kann. Zwar hat Campbell Astounding 1960 in Analog umbenannt und dort etwa Frank Herberts Dune (im Shop) vorabgedruckt, aber das macht ihn keineswegs zu einem Exponenten der Genreerneuerung während der Swinging Sixties. Zudem sagt eine Herausgebertätigkeit nichts über eigene literarische Fähigkeiten aus. Tatsächlich erweist sich Campbell in Der unglaubliche Planet als nachrangiger Autor, der seinen Stoff nur mühsam bewältigt bekommt. Das beginnt schon bei der Struktur, denn das aus drei Erzählungen bestehende Buch ist die direkte Fortsetzung von The Mightiest Machine (1947; dt. Das unglaubliche System), in dem es die drei Wissenschaftlern Russ Spencer, Don Carlisle und den von einer Jupiterkolonie stammenden und daher „übermenschlich“ starken Aarn Munro in einen unbekannten Teil der Galaxis verschlägt, von dem aus sie zur Erde zurückwollen. An Bord ihres Raumschiffs, dass dank seiner riesigen „Aggie-Spulen“ Überlichtgeschwindigkeit erreichen kann, entdecken sie im ersten Teil von The Incredible Planet den titelgebenden „unglaublichen“ Planeten, unter dessen erkalteter Oberfläche ein uraltes Volk lebt, das ihre Hilfe benötigt. Im zweiten Teil Suche zwischen den Sternen werden die Raumfahrer mit einem außerirdischen Krieg konfrontiert, der sich unter einer kurz vor der Explosion stehenden Sonne abspielt; auch hier können sie dank ihrer hochstehenden Wissenschaft eingreifen. Dass dabei ihr Raumschiff zu Bruch geht, ist kein Hindernis, schließlich kann man ja ein neues bauen. Zur Erde heimgekehrt, wird das Trio im dritten Teil Das unendliche Atom noch in eine Invasionsgeschichte durch Centauren verwickelt. Es handelt sich also um eine episodenhafte Handlung, bei der von einem übergreifenden Handlungsbogen keine Rede sein kann. (Tatsächlich waren die drei Geschichten in den 1930er Jahren vom damaligen Astounding-Herausgeber F. Orlin Tremaine abgelehnt worden und konnten erst 1949 in Buchform erscheinen.)

Natürlich fällt es leicht, den insgesamt „historisch“ wirkenden Roman zu kritisieren. Schlicht konzipiert, holprig geschrieben und bar jeder erzählerischen Raffinesse, geht es in Der unglaubliche Planet primär darum, die gesichtslosen Figuren von einer brenzligen Situation in die nächste zu schieben, damit sie seitenlang über „Transponstrahlen“, „gravitometrische Schalungen“ und „Shaltorpedos aus synthetischem Plastik“ fachsimpeln können. Psychologische Gesichtspunkte spielen hier ebenso wenig eine Rolle wie eine plausible Handlungsführung. Aber eben: Um diese Dinge geht es letztlich nicht. Der unglaubliche Planet ist ein Artefakt aus jenen Tagen, als das Weltall mit Enthusiasmus, Technik und naturwissenschaftlicher Bildung zwar nicht problemlos, aber zwangsläufig zu erobern war. Die Lässigkeit, mit der hier Lichtjahre überbrückt und ganze Planeten aus der Bahn geschoben werden, ist zwar naiv, doch immerhin tröstlich; man sollte zudem im Auge behalten, dass es sich letztlich um ein Jugendbuch handelt. Und: Die Raumschlachten in Star Wars haben zwar nicht bei Campbell begonnen, finden in ihm aber allemal einen Vorläufer. Wer wissen will, wie es mit dem – das Genre keineswegs nur positiv prägenden – Siegeszug der Space Opera angefangen hat, dürfte mit Der unglaubliche Planet kaum schlechter bedient sein als mit Captain Future von Edmond Hamilton. Zudem verfügt Campbells kosmische Gigantomanie durchaus über ihren ganz eigenen Reiz. Gewiss, an die Perspektive eines Olaf Stapledon – etwa in Last and First Men (1930; dt. Die ersten und die letzten Menschen) – reicht er nicht heran. Seine Versessenheit auf „große“ Szenarien und übermenschliche, letztlich aber zu bändigende Naturgewalten führt bisweilen jedoch zu Darstellungen von eisiger Schönheit. Hier zeigt sich der Rang des Buchs, das sich seinen Klassikerstatus trotz aller Einwände verdient hat: „Pluto, der Herr der Äußeren Dunkelheit, der immer kalt war, glühte auf der einen Seite mit einer feindlichen, unerträglichen Flamme violetten Lichts. Er besaß eine große, sich dehnende Atmosphäre von weißglühendem Gas, eine Flamme, die an den Rändern langsam blau brannte und um die äußeren Ränder des gefrorenen Planeten kroch …“

John W. Campbell: Der unglaubliche Planet • Roman • Aus dem Amerikanischen von Otto Schrag • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 608 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis des Taschenbuchs: € 12,00 • im Shop

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