7. Oktober 2017

„Blade Runner“ – neu besichtigt

Die Entstehungsgeschichte von Ridley Scotts Klassiker in erweiterter Neuauflage

Lesezeit: 4 min.

Dass „Blade Runner“ nicht nur als Beitrag zur Science-Fiction bedeutend ist, sondern generell zu den Klassikern der Filmkunstgeschichte gezählt wird, hat sich herumgesprochen. Dies war nicht immer so, da der Start des späteren Kultfilms 1982 ausgesprochen schleppend verlief und weder Publikum noch Kritik mit ihm etwas anzufangen wussten. Der Journalist Paul M. Sammon gehört zu jenen, die „Blade Runner“ von Anfang an begeistern konnte. Er war nicht nur bei den Dreharbeiten dabei, sondern hat in zahlreichen Gesprächen – unter anderem mit Ridley Scott, Harrison Ford, Sean Young und Rutger Hauer – die Entstehung des Streifens rekonstruiert, dessen Geschichte auch mit dem „Final Cut“ von 2007 keineswegs zu Ende ist: 35 Jahre nach der Erstaufführung bringt Denis Villeneuve die Fortsetzung „Blade Runner 2049“ in die Kinos.

„Blade Runner“ mutet noch immer wie ein Glücksfall an: Ob Entwürfe (Syd Mead) oder Soundtrack (Vangelis), ob Kamera (Jordan Cronenweth) oder Effekte (Douglas Trumbulls Firma EEG) – alle lieferten Meisterleistungen ab. Der Clou bestand natürlich darin, als Vorlage den Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ von Philip K. Dick (im Shop) zu wählen und diesen so umzugestalten, dass er sowohl ein visionäres Filmerlebnis ermöglicht als auch die Themen des Autors einbindet, deren Relevanz sich unterdessen sogar noch gesteigert hat. Zudem gelang Regisseur Ridley Scott das Kunststück, direkt nach „Alien“ (1979) ein weiteres zeitloses Stück Kino auf den Weg zu bringen, welches das Genre tief prägen sollte – ohne „Blade Runner“ wären weder die „Neuromancer“-Trilogie von William Gibson (1984–1988, im Shop) noch die „Matrix“-Filme der Wachowskis (1999–2003) denkbar.

Paul M. Sammon stellt in seinem Buch „Future Noir. The Making of Blade Runner“ die gesamte Entstehungsgeschichte des Films dar. Er beginnt bei Dick und seinem Roman, gibt einen Überblick zu den Drehbuchfassungen sowie deren Autoren und kommt – nachdem „cast and crew“ zusammengestellt waren – zur Produktion, die er als Mitarbeiter des Magazins Cinefantastique hautnah miterlebte. Die Außenkulisse, in der die beeindruckenden Straßenszenen des Films spielen, wurde rasch „Ridleyville“ getauft und gehört zu den größten der Kinogeschichte. Scotts Detailversessenheit war so groß, dass selbst Parkgebühren ersonnen und eigene Zeitschriften wie Moni, Krotch oder Zord (Umschlagpreis: $ 30) für einen Kiosk entworfen wurden; eine Auswahl findet sich im Buch abgebildet. Sammon beschreibt ausführlich den Dreh, geht auf Requisiten wie den berühmten „Spinner“ (das fliegende Polizeiauto) ein und kommt schließlich auf die zahlreichen Konflikte zu sprechen, die die Produktion überschatteten. Harrison Ford: „‚Blade Runner‘ was a tough, tough shoot. For everyone. A total bitch, really.“ Ärger mit der Produktionsfirma, unzufriedene Darsteller, schließlich ein „T-Shirt-Krieg“ über eine unglückliche Bemerkung Scotts – es grenzt an ein Wunder, dass der Film fertiggestellt werden konnte. Was nicht ohne Einschnitte abging: Der Kinofassung wurde – nach problematischen Testvorführungen – ein Erzählerkommentar und ein angeklatschtes Happy End verpasst, dessen Landschaftsbilder aus Überresten der „Shining“-Dreharbeiten (1980) von Stanley Kubrick stammten. Der schickte alles an Hubschrauberaufnahmen, was er hatte, nämlich gut 10 Kilometer Film. Ein gestresster Mitarbeiter sagte: „We had all his outtakes. They were endless.“ Zudem war in so gut wie jeder Einstellung Jack Nicholsons kleiner VW Käfer zu sehen.

Die weitere Entwicklung ist bekannt: Der Film floppte zunächst, verkaufte sich dann aber auf VHS und Laserdisc kontinuierlich gut. Als zufällig eine der frühen Testfassungen, der sogenannte „Workprint“, gefunden und in zwei Kinos vorgeführt wurde, reichten die Besucherschlangen um den Block. Der improvisierte „Director’s Cut“ von 1992 ging mehr in Scotts Richtung, doch erst der „Final Cut“ (2007) ist das Ergebnis, auf das alle zu Recht stolz sein können. Auch, wenn nicht jeder der legendären Produktionsfehler (Anzahl der Replikanten!) korrigiert werden konnte.

Sammon hat sein faktenpralles, aber unterhaltsames und auch auf Englisch gut lesbares Buch bereits 1997 veröffentlicht und zehn Jahre später erweitert vorgelegt. Nun erscheint es zum dritten Mal – deutlich abgespeckt in Preis wie Ausstattung, aber ergänzt um neue Einblicke (auch zu „Blade Runner 2049“) sowie um Interviews mit Sean Young und Rutger Hauer. Die Darstellerin der Rachael erzählt von ihren Unsicherheiten am Set („Because I wasn’t confident that I could be a good actress“) und dem schwierigen Umgang mit Harrison Ford, dessen Abneigung ihr gegenüber sie permanent spürte. Scott hingegen war ihre Stimme zu hoch, weshalb er ein besonderes Mittel anwandte: „He was constantly taking me off and feeding me cigarettes, so it would lower my voice.“ Bei ihrer Darstellung hat sie sich an Joan Crawford und Bette Davis orientiert. Rutger Hauer betont die Freiheit, die er zur Ausgestaltung seiner Figur erhalten hat; dies führte unter anderem zu dem legendären „Tears in Rain“-Monolog, der komplett von ihm stammt. Er ärgert sich allerdings über den Tod von J.F. Sebastian, der nicht im Drehbuch gestanden habe, sondern kurzfristig (und wohl nicht zuletzt aus Sparsamkeitsgründen) angesetzt worden war: „I really hated to see that go.“

„Future Noir“ ist und bleibt die wichtigste Informationsquelle über „Blade Runner“ und wird in seiner Vollständigkeit der Bedeutung des Films mehr als gerecht. Man hätte sich ein etwas adäquateres Erscheinungsbild gewünscht; so tut das billige Papier den Abbildungen nicht gut, und Farbdruck sollte eigentlich selbstverständlich sein. Doch solange eine entsprechend verbesserte vierte Auflage nicht in Sicht ist (2027?), bleibt der Band unentbehrlich – und dürfte wie seine Vorgänger rasch zum Sammlerstück werden.

Paul M. Sammon: „Future Noir. The Making of Blade Runner. Revised & Updated Edition” • Dey Street Books • 624 Seiten • € 14,53 • Sprache: Englisch

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