19. Januar 2024

Literarische Größen und apokalyptische Wimmelbilder

Phantastik-Comic-Neuheiten im Januar

Lesezeit: 5 min.

Kafka wird uns von Robert Crumb und David Zane Mairowitz nahegebracht, Richard Corben hat auch in einem Spätwerk seinen Humor bewahrt, und Kapitän Nemo will’s noch einmal wissen.

 

Robert Crumb, David Zane Mairowitz: Kafka

2024 jährt sich der Todestag Kafkas zum 100. Das wird auch nicht an den Comicverlagen spurlos vorbeigehen. Den Anfang macht Reprodukt mit einer günstigen Neuauflage von Robert Crumbs und David Zane Marowitz‘ Comicbiografie. Die erschien erstmals 1993 und darf ihrerseits mittlerweile als klassisch bezeichnet werden; vom heutigen Boom der Sachcomics konnte damals jedenfalls noch keine Rede sein. In manchen Passagen ist es erstaunlich anzusehen, wie harmonisch Crumb seinen präzis-rüden Zeichenstil mit den grafischen Finessen eines George Grosz vereint. So tastet er sich mit großer visueller Sensibilität an Kafka heran, den uns Mairowitz unter drei Gesichtspunkten nahebringt: Kafkas Verhältnis zu seinem Vater, zur Sexualität und eigentlich allem Körperlichen sowie sein Ringen mit seiner jüdischen Identität, dies unter Berücksichtigung des historischen und kulturellen Kontexts, in Prag assimiliert in einem der ältesten Judenviertel Europas aufzuwachsen, von der steten Gefahr des in Terror umschlagenden Antisemitismus der Bevölkerung zur Selbstverdammung gedrängt.

Außerdem sind Crumbs Verdichtungen von Kafkas Werken – darunter „Die Verwandlung“, „Der Bau“, „In der Strafkolonie“, „Der Prozess“ und „Das Schloss“ – kleine Meisterstücke der Erzählökonomie.

Robert Crumb, David Zane Mairowitz: Kafka • Reprodukt, Berlin 2024 • 176 Seiten • Taschenbuch • € 9,90

 

Francois Schuiten, Benoit Peeters: Die Heimkehr des Kapitän Nemo

2019 sollte der „Blake und Mortimer“-Spezialband „Der letzte Pharao“ eigentlich Francois Schuitens Karriereende als Comiczeichner einläuten. Aber ein Nachklapp zum gemeinsam mit Benoit Peeters realisierten „Die Geheimnisvollen Städte“-Zyklus – der weiterhin zum Besten zählt, was der europäische Phantastik-Comic zu bieten hat – musste noch sein und wird nun, wie immer vorbildlich ediert, in Schreiber & Lesers „Städte“-Bibliothek integriert. Darin lassen Schuiten und Peeters Jules Vernes Kapitän Nemo wiederauferstehen und schicken ihn auf eine Sightseeing-Tour zu den zentralen Plätzen und Gebäuden ihrer futuristisch-entrückten Monumentalarchitektur. Das ist zwar allenfalls auf sechs Seiten ein Comic und ansonsten ein Konvolut von ganzseitigen Zeichnungen aus Schuitens Hand, macht aber das Bündnis von Schuitens und Peeters Mythologie mit Vernes fortschrittsoptimistischen Erzählwelten nicht weniger eindrücklich. Übrigens kann man es auch ganz handfest außerhalb des Comic-Kosmos bewundern: Die Pariser Metro-Station Arts et Metiers wurde 1995 nach einem Entwurf Schuitens wie die Nautilus gestaltet – oder wie eine Haltestelle, die den „Geheimnisvollen Städten“ entsprungen sein mag; daüber streiten sich noch heute die Gelehrten.

Francois Schuiten, Benoit Peeters: Die Heimkehr des Kapitän Nemo • Schreiber & Leser, Hamburg 2023 • 96 Seiten • Hardcover • € 26,80

 

Richard Corben: Murky World

In Richard Corbens Welten pulsiert der Eros bzw. das, was man an diesen Orten einer völlig aus den Fugen geratenen Sozietät dafür hält. Nackte Männer, nackte Frauen, alle muskulös, besonders erstere in der Regel strunzdumm und schnell gewaltbereit. Das rief in den 80ern regelmäßig die Zensur auf den Plan, weil man Corbens satirische Zwischentöne ebenso wenig bemerkte wie seinen ironischen Blick auf die mit biblischem Ernst ausgewalzten archaischen Motive des Fantasy-Genres. Wie in seinem 1982er-Werk „Mutantenwelt“ mochte man sich durchaus ein Amerika der Reagonomics, die nicht mal kapieren, dass sie die Postapokalypse ereilt hat, vorstellen. Von dieser Schärfe ist in Corbens Spätwerk, so auch in „Murky World“, das nun erstmals auf Deutsch erscheint, wenig geblieben; auch seine komplexe Airbrush-Ästhetik musste da längst einem pragmatischeren Ansatz weichen. Seinen galligen Blick auf die Motive der Fantasy hatte sich Corben indes bewahrt und breitet in „Murky World“ seine ziellose Quest mit guter Laune aus, auf jeder zweiten Seite sitzt der Schalk im Nacken. Andere seiner zeitgenössischen Kollegen verkaufen ihre Debüts noch heute so selbstverliebt-andächtig, als hätten sie das Feuer entdeckt. Mit „Den“ folgt demnächst bei Splitter ein Klassiker aus Corbens Hochphase.

Richard Corben: Murky World • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 168 Seiten • Hardcover • € 39,80

 

Jean-Yves Mitton: Das Phantom. Band 1

Ich weiß zwar nicht so recht, wie sich der derzeitige kleine Boom der „Phantom“-Comics erklären lässt, aber es macht Laune, mal für ein paar Schritte den Weg einer Helden-Figur abseits von DC und Marvel zu begleiten, die im Gegensatz zu ihren prominenten Kolleg*innen ihre Pulp-Herkunft nie so recht abgelegt hat. Bei Wick Comics erscheinen alte Bastei-Hefte als Nostalgie-Ausgaben, ein Kiosk-Magazin mit alten und neuen Storys wurde von Zauberstern lanciert (und zählt mittlerweile zehn Hefte), und nun startet bei Kult Comics eine Alben-Edition mit den schwarzweißen „Phantom“-Comics von Jean-Yves Mitton aus 1989/1990, ausgestattet mit einem Geleitwort Mittons und einem kundigen Vorwort. Unterhaltung der rustikalen Art, bei der es auch mal reicht, wenn ein Bösewicht von einer Herde Nilpferde zertrampelt wird.

Jean-Yves Mitton: Das Phantom. Band 1 • Kult Comics, Leipzig 2023 • 148 Seiten • Softcover • € 25,00

 

Geof Darrow, Frank Miller: Hard Boiled

Bevor Frank Miller zum reaktionären Spinner konvertierte, hat er bemerkenswerte Werke geschaffen. „Hard Boiled“ – bei Cross Cult im vergrößerten Format als dritte Neuauflage erschienen – von 1992 erzählt von einer technoiden Apokalypse, in der die Menschheit ihren eigenen Ausnahmezustand verschlafen hat. Geof Darrow zeichnet fantastische Wimmelbilder der Gewalt, durch die der Steuereintreiber Nixon torkelt, auf der Suche nach seiner Identität, weil er herausgefunden hat, dass er ein Cyborg ist. Aber statt der Gewalt, die er ausübt, schockiert vielmehr die von ihr verursachte Reaktion, die im Prinzip ausbleibt. Millers Szenario beschreibt einen zukünftigen Moloch der völlig ad absurdum getriebenen Dekadenz, eine semiotisch gänzlich entleerte Welt, in der es gleichzeitig von Zeichen nur so wimmelt. AKW-Buttons, Peace-Logos, Hakenkreuze, Markennamen zieren gleichberechtigt die Kleidung der stoischen Menschen der überfüllten Großstadt, die phlegmatisch, fast bereitwillig als Kanonenfutter herhalten, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig in futuristischen Live-Sex-Shows mit Kettensägen tranchieren. Nichts ist hier mehr von Bedeutung, schon gar nicht ein Menschenleben, und Darrow flankiert diese Leere mit einem Mix der Stile, der die Funktionslosigkeit der Zeichen ins Ästhetische überträgt.

Geof Darrow, Frank Miller: Hard Boiled • Cross Cult, Ludwigsburg 2024 • 128 Seiten • Hardcover • € 30,00

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.