31. Juli 2023

Vorsicht da unten!

Worauf man als Amateurweltraumeroberer unbedingt achten sollte

Lesezeit: 4 min.

Normalerweise geht es in dieser Kolumne um das, was außerhalb der Erdatmosphäre vor sich geht. Das darf man ja auch erwarten, schließlich ist mein Ressort der Weltraum.

Ab und an jedoch stoße ich auf eine Geschichte, die so erstaunlich ist, dass ich sie einfach weitererzählen muss. Selbst wenn sie auf der Erde spielt.

Mein Vater hat mich auf diese Begebenheit aufmerksam gemacht. Er ist Unfallchirurg und hat sein Berufsleben damit verbracht, Schusswunden, Stichwunden, Autounfälle, Schlangenbisse (er lebt und arbeitet in Südafrika) und ähnliches zu behandeln. Das meiste, was er mir von seiner Arbeit erzählt, ist grauenvoll, aber manchmal hat er auch großartige Sachen auf Lager. Also weniger großartig für den armen Kerl, der dabei die Hauptrolle spielt, aber trotzdem eine tolle Geschichte.

Hier also die Geschichte von dem Mann mit der Rakete im Bauch.

Nur um das gleich klarzustellen: Es handelt sich dabei nicht um einen Patienten meines Vaters. Er hat in einer Fachzeitschrift von diesem irren Vorfall gelesen und mich netterweise darauf aufmerksam gemacht. Wie Sie vielleicht wissen, kann nicht jedermann in den Weltraum reisen, dafür muss man die entsprechende Qualifikation und Ausbildung mitbringen. Aber der Wunsch, irgendwie dorthin zu gelangen, ist groß, und es gibt eine riesige und aktive Community, die sich diesem Ziel verschrieben hat und sich gelegentlich trifft, um gemeinsam Amateurraketen in den Himmel zu schießen – so hoch, wie es gerade noch erlaubt ist, ohne die NASA vorher zu fragen. Sobald die selbstgebastelte Rakete ihren Höhepunkt erreicht hat, öffnet sich ein Fallschirm und sie schwebt langsam wieder zur Erde zurück.

Das Ganze ist gar nicht so einfach zu bewerkstelligen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß: Als Werbeaktion habe ich einmal eines meiner Bücher an einem großen Heliumballon befestigt, es daran in die Atmosphäre aufsteigen lassen und alles mit einer GoPro gefilmt. Das auszutüfteln und durchzuziehen war ein Riesenspaß – aber auch ein ziemliches Stück Arbeit.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie kompliziert es wird, wenn auch noch echter Raketentreibstoff hinzukommt.

Jedenfalls, bei einem Treffen dieser Hobbyingenieure versagte der Fallschirm einer selbstgebauten Rakete und öffnete sich nicht. Wieder herunterkommen musste sie aber trotzdem, also drehte sie sich um 180 Grad und stürzte mehr oder weniger auf die Stelle zu, von der sie abgefeuert wurde. Man sollte meinen, dass das bei Hobbyraketen öfter passiert, aber offenbar ist dem nicht so.

In diesem Fall schlug die Rakete ungebremst in ein kleines auf Klappstühlen sitzendes Zuschauergrüppchen ein.

Sie traf zuerst den Kopf eines Mannes, und allein bei der Vorstellung wird mir ganz anders. Aber auch wenn es sich nicht so anhört – der Mann hatte irres Glück. Die Rakete prallte von seinem Schädel ab, was lediglich eine Schnittwunde und eine leichte Gehirnerschütterung zur Folge hatte. Dummerweise war das nicht alles: Die Rakete hatte immer noch so viel Schwung, dass sie sich direkt in seinen Bauch bohrte.

Krass.

Glücklicherweise war ein Rettungssanitäter vor Ort. Eine eiserne Erste-Hilfe-Regel besagt, dass man niemals und unter keinen Umständen einen in einem Menschen steckenden Gegenstand herausziehen darf, falls man nicht imstande ist, den dadurch verursachten Schaden sofort medizinisch zu behandeln. Aber wie schafft man einen Mann mit einer eineinhalb Meter langen Rakete im Bauch in die Notaufnahme? Dem Rettungssanitäter zufolge ging es dem Betroffenen „nicht besonders“. Das ist nachvollziehbar.

Sie legten den Mann in einen Wohnwagen und warteten auf den Krankenwagen, der ihn zur nächsten, eineinhalb Stunden entfernten Unfallklinik fuhr. „Er war bei Bewusstsein“, so der Sanitäter weiter. „Was mir Hoffnung machte, auch wenn es für ihn weniger schön war.“ In der Notfallmedizin gehört es offenbar zum guten Ton, maßlos zu untertreiben. Ja, mir scheint, Untertreibung ist in dieser Branche eine Schlüsselqualifikation.

Dass der Mann Glück gehabt hat, ist ebenfalls untertrieben. Die Rakete verfehlte alle inneren Organe. Ausnahmslos. Sie durchbohrte nur Fett- und Muskelgewebe. Wie wahrscheinlich das ist? Ungefähr so wahrscheinlich, wie im Lotto zu gewinnen, nachdem man vom Blitz getroffen wurde – zwei Mal hintereinander.

Zu meiner großen Freude kann ich vermelden, dass der Mann wieder vollständig genesen ist (falls die Geschichte so überhaupt stimmt). Tja, auch auf der guten alten Erde kann der Weltraum zu einer tödlichen Gefahr werden.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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