17. November 2023

Irdisches Staunen

Von einem Ausflug in eine andere Welt – nur zehn Minuten von uns entfernt

Lesezeit: 4 min.

Wie immer weiß ich es sehr zu schätzen, dass Sie sich in dieser illustren Kolumne über Neuheiten aus der Weltraumforschung informieren wollen. Aber heute soll es nicht um den Weltraum gehen, sondern um ein anderes Thema, das mich schon immer fasziniert hat: den Ozean.

Nach wie vor staune ich über die Tatsache, dass wir mehr über das Weltall jenseits unseres Planeten wissen als über die tiefsten Tiefen der irdischen Ozeane. Sicher, wir waren im Marianengraben und haben auch große Teile des Meeresbodens kartografiert, aber von dem, was da unten wirklich vor sich geht, haben wir so gut wie keine Ahnung.

Dass es sich dabei um ein riesiges Gebiet handelt, ist offensichtlich. Das Problem ist, dass es unter Wasser liegt. Auch das ist offensichtlich, doch was bedeutet es genau? Wenn Sie ein Teleskop in den Weltraum richten, dann ist (zumindest theoretisch) nichts zwischen Ihnen und dem Stern, den Sie betrachten. Wenn Sie jedoch etwas auf dem Grund des Ozeans betrachten wollen, versperrt Ihnen eine gigantische Menge Flüssigkeit die Sicht. Große Wassermengen blockieren Licht und andere Strahlen, also kommt man mit einem Teleskop oder Kartierungssoftware nicht weit. Natürlich ist es möglich, Fotos vom Meeresboden zu machen. Komplizierter wird es allerdings, wenn man ein größeres Gebiet erfassen will. Aufgrund des Wasserdrucks kann man nicht einfach Sonden hinunterlassen (kann man schon, aber das kostet ganz schnell sehr viel mehr, als irgendjemand in diesen Zeiten auszugeben bereit ist).

Dieses Problem habe ich vor Kurzem mit eigenen Augen gesehen. Ich war mit einem Forschungsschiff in der Antarktis. Ich werde nicht ins Detail gehen, sonst gerate ich ganz bestimmt ins Schwärmen darüber, wie toll es dort ist. Nur so viel sei gesagt: Unter anderem unternahmen wir einen Tauchgang in einem Unterwasserfahrzeug.

Auf dem Schiff waren zwei Tauchboote der niederländischen Firma U-Boat Worx im Wert von jeweils fünf Millionen Dollar, und jetzt bin ich mir absolut sicher, dass Tauchbootpilot der coolste Job in der Geschichte der Menschheit ist. Die Dinger sind unglaublich: Man sitzt in einer Glaskugel, die so gebaut ist, dass man sie unter Wasser nicht sehen kann. Man vergisst, dass es die Kugel überhaupt gibt. In jedem dieser Fahrzeuge haben drei Leute Platz. Der Pilot sitzt in der Mitte, und in unserem Fall war das auch derjenige, der das Fahrzeug gebaut hat. Wir waren also in besten Händen.

Das Tauchboot ist für Tiefen bis zu dreihundert Meter ausgelegt, aber das Meer war an dieser Stelle sowieso nur hundertdreißig Meter tief. Bis zum Grund dauerte es zehn Minuten – und ich übertreibe nicht, wenn ich dies als eine der außergewöhnlichsten Erfahrungen meines Lebens bezeichne.

Da unten ist es dunkel: Ungefähr auf der Hälfte der Strecke verschwindet das letzte Sonnenlicht. Dann ändern sich die Farben, und alles nimmt eine unwirklich grüne Färbung an. Und der Meeresboden selbst …

Große Tiere waren nicht zu sehen (Robben und Wale können die elektromagnetischen Schwingungen eines Tauchboots nicht ausstehen) und auch nur wenige Fische, dafür aber jede Menge pflanzliches Leben. Die Vielfalt und schiere Anzahl der Kreaturen, die den Boden des kältesten Meeres der Welt bewohnen, ist unglaublich. Ich habe die ganzen dreißig Minuten, die wir dort unten waren, vor Staunen den Mund nicht zubekommen. Wir waren nicht die Ersten, die diesen Teil des Meeresgrundes zu Gesicht bekamen – vor uns waren insgesamt zwölf Passagiere dort. Zu einer so kleinen Gruppe von Leuten zu gehören, die etwas gesehen hat, was sonst noch keines Menschen Auge erblickt hat, ist schon ein irres Gefühl.

Mein Erlebnis mit, sagen wir, der Erfahrung der Astronauten zu vergleichen, die den Mond betreten haben, wäre wohl etwas zu hoch gegriffen. Zum einen war es eher ungefährlich, zum anderen wurden – außer dazusitzen und große Augen zu machen – keine besonderen Fähigkeiten von mir verlangt. Aber mein Abenteuer ließ mich darüber nachdenken, wie viel Zeit wir mit der Suche nach intelligentem Leben jenseits unseres Planeten verbringen, wenn es doch hier noch so viel zu entdecken gibt.

Als ich ein paar Wochen später wieder in meinem klimatisch angenehmeren Zuhause war, las ich in einem Artikel, dass in und um superheiße Vulkanschlote herum auf dem Grund des Ozeans lebende Bakterien entdeckt wurden. Deshalb vermutet man, dass es auch anderswo in unserem Sonnensystem, wo ähnliche Bedingungen herrschen, Leben geben könnte.

Aber wie sollen wir das überprüfen? Es ist schon schwierig genug, den Grund unserer eigenen Ozeane zu erforschen. Das auf einem anderen Planeten zu tun ist noch viel, viel komplizierter. Aber wenn ich daran denke, was ich am Grund des Weddellmeers gesehen habe, kann ich es kaum erwarten, dass wir damit anfangen.

 

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

 

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