17. Juli 2023

Im Gespräch mit T. S. Orgel („Der Skandal“)

Die Brüder und Bestsellerautoren über ihren neuen Biothriller, Fleischersatz und Umweltaktivismus

Lesezeit: 15 min.

Im neuen Roman Der Skandal“ (im Shop) von T. S. Orgel, also den Brüdern Tom und Stephan Orgel („Orks vs. Zwerge“, „Behemoth“, „Terra“), boomt das klimafreundliche Laborfleisch der milliardenschweren Firma Light Foods, für das kein Tier mehr leiden oder gar sterben muss – ihr In-vitro-Rindfleisch wird sogar bis nach Indien verkauft. Entsprechend großspurig lebt und tritt CEO Dan Light auf, pure Überheblichkeit, totale Überholspur. Anna hat mit ihm nie etwas zu tun – bis ihr Bruder Peter, ein risikofreudiger Umweltaktivist, brisante Daten von Light Foods abgreift und prompt von einem Auto ins Koma befördert wird. Daraufhin wollen Peters aktivistische Mitstreitende, dass die dem Feind noch unbekannte Anna für sie einen ökoterroristischen Anschlag auf eine Produktionsstätte von Light Foods durchführt, um so die Aufmerksamkeit des Gesundheitsamts auf das scheinheilig-grüne Unternehmen zu lenken. Dessen Boss Dan Light indes hat auch so schon genug Ärger, da eine neue Art von BSE über die Welt hinwegfegt – und angeblich auf sein Laborfleisch zurückzuführen sein soll. Schließlich kollidieren die Pfade von Anna und Dan, als ihre kollidierenden Leben von derselben Intrige bedroht werden.

Im Interview sprechen die Bestsellerautoren Tom und Stephan Orgel (im Shop) über Laborfleisch, die Recherche für ihren topaktuellen SF-Biothriller, Rinderwahn, die letzte Generation und das, was bei den Orgels auf den Teller kommt, oder auch nicht.

 

Hallo Tom. Hallo Stephan. Was gab es bei euch heute zu essen?

Tom: Reis mit süß-saurem Gemüse. Ohne Fleisch oder Fleischersatz. Es ist zu warm, um irgendwas zu braten (und dass das Zeug scharf war, war im Nachhinein betrachtet auch keine so gute Idee …).

Stephan: Porridge. Ich liebe Porridge. Die Haferkörner in der Handmühle geschrotet, damit die Schale nicht verloren geht, und über Nacht eingeweicht. Das gibt nämlich ein nussigeres Aroma. Zusammen mit Chia-Samen, Mohn, Sonnenblumenkernen und etwas Zucker in der guten Rohmilch eingekocht. Und damit das Ganze nicht so furchtbar gesund klingt, als Topping einen Schluck Eierlikör. Habe ich schon erwähnt, dass ich Porridge liebe?

Nun, da das geklärt ist … Erzählt ihr uns, wie euch die Idee dazu kam, einen Biothriller zu schreiben? Und wie genau dann daraus das Konzept für „Der Skandal“ wurde? Die Entwicklung müsste auch noch während der Corona-Hochphase gewesen sein, oder?

Stephan: Die Idee dazu hatten wir schon vor Corona und wir hatten uns wirklich lange darauf gefreut, diesen Roman zu schreiben. Und dann kam Corona und die Wirklichkeit wurde plötzlich wesentlich aufreibender und gruseliger als es sich so ein Autorengehirn jemals ausdenken könnte. Als wir unsere Idee endlich umsetzen konnten, hatten wir plötzlich große Mühe, konsequent weiterzuschreiben. Da war das zwischenzeitliche Schreiben an der „Schattensammlerin“ beinahe wie eine kleine Flucht in vergangene Zeiten und Sagenwelten. Aber zur Idee: Dazu kann der Tom mehr erzählen, da das Ausprobieren diverser Fleischersatzprodukte ja so ein bisschen sein Steckenpferd geworden ist. Oder kam das erst durch das Schreiben, Tom?

Tom: Genau genommen hat das Ausprobieren gar nicht so sehr mit der Idee zu tun. Grundsätzlich war der Grundstein die Faszination für diese neue – wie nennt man das? Pioniertechnik? Es ist ein weitgehend völlig neues Feld in der Lebensmitteltechnologie, dessen Grenzen noch gar nicht abzusehen sind und aus dem fast täglich neue, faszinierende Meldungen kommen, seien es Steaks aus dem 3D-Drucker, in Singapur zugelassene cultured Chicken-Nuggets, in Japan erhältlicher Lachs aus dem Labor oder ein metergroßer Fleischball aus gezüchtetem Mammut-Hack.

Das – und die Frage, wie viele Leute aus vielfältigen Gründen (ethischen, qualitativen, preislichen und Umweltschutzgründen) wohl tatsächlich auf Cultured Meat umsteigen würden, wie sich das auf die gesamte Fleischindustrie auswirken würde – und welche Gefahren möglicherweise daraus erwachsen könnten.

Und drittens war es einfach das Weiterverfolgen von damals lässig dahingeworfenen Ideen aus unseren beiden Science Fiction-Romanen: Lebensmitteldrucker, die künstliche Fleischmahlzeiten einfach so ausgespuckt haben (wer erinnert sich noch an die Ente?). Die Frage blieb: woher kommt dieses Zeug eigentlich und was für Firmen machen das?

Inwieweit haben eure Erinnerungen an die BSE-Hysterie der 1990er den Roman all die Jahre später nun noch befeuert?

Tom: Relativ wenig, um ehrlich zu sein. Aber Prionen sind und bleiben eine ziemlich gruselige Angelegenheit, sogar im Vergleich mit anderen tödlichen Erkrankungen, vor allem aber eine, die sich recht gut für längere Zeit unbemerkt ausbreiten kann – und die im Zusammenhang mit der von uns erwähnten Technologie auch in der Realität schon fast unweigerlich erwähnt werden musste. Es scheint eine tiefsitzende Angst gerade unter Skeptikern und Gegnern von Gen-editiertem oder generell im Labor gezüchtetem Fleisch zu sein. Es bot sich also an, das zu nutzen.

Stephan: Diese Angst sitzt ja nicht nur in Skeptikern und Gegnern tief. Es ist halt einfach eine der fürchterlichsten Vorstellungen, dass sich das eigene Gehirn langsam und unaufhaltsam in einen Schwamm verwandelt.

Apropos. Der Titel eures Romans ist ziemlich plakativ. Wir leben in einer Welt der Katastrophen, Skandale und Fake News, die exzessiv in allen Medien behandelt werden. Wird euch das manchmal zu viel? Sprich: Müsst ihr obsessiv jede Schreckensmeldung und jeden Shitstorm verfolgen online, oder klinkt ihr euch auch mal aus Selbstschutz aus, und wenn ja, wie?

Stephan: Ich habe ja mal Medienwirtschaft studiert und dabei in erster Linie mitgenommen, dass es keine objektiven Nachrichten gibt, und man wirklich alles, was jemals veröffentlicht wird, mit Vorsicht genießen sollte. Deshalb warte ich auch ganz gerne mal ab, ehe ich mir zum Thema des Tages eine Meinung bilde. Und manchmal lasse ich es auch gleich ganz sein. Es gibt nämlich durchaus Themen, zu denen man keine Stellung beziehen muss, auch wenn das Umfeld glaubt, dass es nur ja oder nein und schwarz oder weiß gibt. Dafür ist die Welt viel zu komplex. Wie hatte Dieter Nuhr mal so schön gesagt? „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“ – oder in meinem Fall: Einfach mal das Handy für ein Wochenende ausschalten, den Rucksack packen und einen langen Ausflug machen. Wenn man danach gut erholt zurückkehrt, stellt man in den meisten Fällen fest, dass die Welt immer noch steht. Und falls nicht, hatte man wenigstens noch eine schöne Zeit.

Tom: Ich gebe offen zu, dass ich von vielen Themen gar nicht genug weiß, um objektiv mitzureden zu können – oder auch nur zu beurteilen, wer jetzt in welchem Maße recht hat. Selbst wenn es gelegentlich Spaß macht, sich in eine hitzige Diskussion einzuklinken. Aber ehrlicherweise ist es oft wirklich die einzig sinnvolle Lösung, eine Weile abzuwarten. Die meisten Shitstürme erweisen sich glücklicherweise ja doch eher als lediglich feuchte Winde. Ab und an ist es wichtig, Stellung zu beziehen, ja. Aber oft genug ist die Zeit besser genutzt, wenn man sich mit echten Menschen umgibt – oder noch eine Stunde schreibt. Damit erreichen wir am Ende mehr als mit Internet-Diskussionen.

Weil du gerade die Zeit ansprichst: Ist ein Wissenschafts-Thriller noch aufwendiger zu recherchieren als ein Buch über das Arbeiten und Leben im Weltraum, oder ein historischer Roman über Goethes Zeiten?

Tom: Nein, nicht wirklich. Anders, aber im Grunde ist ein Thriller zu wissenschaftlichen Themen eine Science Fiction im Wortsinn: ein fiktionaler Roman rund um ein Science-Thema. Also recherchiert man bergeweise Artikel, stolpert dabei über immer noch seltsamere Sachen und wird alle paar Wochen von einer realen Nachricht überholt, durch die man wieder etwas im Text ändern muss (und hofft, dass das Ganze nicht zu überholt ist, wenn es erscheint). Ein Unterschied vielleicht: man muss die Waage finden zwischen Extrapolation und realem Stand der Technik und Wissenschaft. Das ist in der weiter in die Zukunft reichenden SF etwas luxuriöser.

Stephan: Je weiter ein Roman in der Zukunft spielt, umso weniger muss man sich Gedanken darüber machen, ob eine bestimmte Technik auch wirklich so funktioniert. Lichtschwerter, Warp-Antriebe oder Teleporter sind quasi wie die Magie in mittelalterlichen Fantasy-Settings. Eine gewisse Logik sollte dahinterstecken, aber um Details braucht man sich keine Sorgen zu machen. Alles was in der Vergangenheit oder Gegenwart spielt, muss man dagegen schon deutlich ordentlicher recherchieren, weil einem Fehler seltener verziehen werden. Aber wie der Tom schon gesagt hat: Ob man über die Anordnung der Knopfleisten an königlich-preußischen Uniformen recherchiert oder sich in die Bovine spongiforme Enzephalopathie einliest, macht keinen großen Unterschied. Es ist eben nur… anders.

Tom: Tatsächlich wäre es nett gewesen, sich bei der Recherche auch mal eine tatsächliche Probe im Labor erschaffenen Fleisches zu gönnen – aber dafür hätten wir leider nach Singapur oder Israel fliegen müssen. Das war leider, leider schon zeitlich nicht drin. (zwinkert grinsend)

Was war die coolste oder krasseste Sache, die ihr beim Recherchieren über die gegenwärtige Lebensmittel-Industrie erfahren habt?

Stephan: Das für mich Erstaunlichste ist, wie weit die Forschung in Bezug auf die Herstellung künstlichen Fleisches bereits ist, und die Erkenntnis, dass wir es hier nicht nur mit einer Entwicklung im Bereich der Lebensmittelproduktion zu tun haben, sondern gleichzeitig auch mit einem Quantensprung in der Medizin. Wenn man die Sache nämlich konsequent weiterdenkt, werden wir in wenigen Jahren in der Lage sein, ganze Gliedmaßen und Organe künstlich nachzuzüchten. Wir sind dann nicht mehr von unsicheren Organspenden abhängig, sondern können sie einfach und schnell im Labor herstellen. Es klingt makaber, aber der Burger von heute ist vielleicht der Vorläufer unserer Ersatzniere von morgen.

Tom: Und das beruht wohl auf Gegenseitigkeit: die Suche nach der „Klon-Niere“ und speziell gezüchteten Haut- und Muskeltransplantaten von gestern ist der Burger und das 3D-Drucker-Steak von heute. Das hat die Forschung an in künstlichen Umgebungen geschaffenen Lebensmitteln enorm vorangetrieben – unter Umständen ein wichtiger Baustein in der Nahrungsmittelversorgung von morgen, ganz zu schweigen von einer potenziellen Versorgung von Menschen im All (einem grundlegenden Problem zukünftiger Raumfahrt).

Und was war die gruseligste Recherche-Erkenntnis aus der Ecke Lebensmittel, Zukunft des Essens und Kapitalismus? Gab es etwas, von dem ihr dachtet, wenn wir das ins Buch nehmen, dann glaubt uns das niemand?

Tom: Gruselig im eigentlichen Sinne waren für mich vor allem die reinen Zahlen der Fleischindustrie, der Haltungs- und Schlachtzahlen. Eine dreiviertel Milliarde geschlachteter Tiere pro Jahr allein in Deutschland. Und da sind Milchvieh und Legehennen noch gar nicht mitgerechnet. Und dazu kommen Zahlen wie der durchschnittliche deutsche pro-Kopf-Verzehr von rund 55 kg Fleisch im Jahr. Das allein ist beeindruckend, aber noch nichts im Vergleich zu aufstrebenden Industrienationen, in denen Fleischverzehr noch mehr Statussymbol ist als bei uns. Allein der Gedanke von „Schweinemast-Hochhäusern“ von bis zu 26 Stockwerken in China sprengt fast die Vorstellungskraft. Da sind skurrile Randnotizen wie die Firma, die Wurst aus im Labor gezüchteten Zellen von Prominenten herstellen will, fast schon nebensächlich.

Im neuen Klima-Roman „Blue Skies“ von T. C. Boyle ist das Essen von Insekten, z. B. Grillen und Mehlwürmern, ein Pfad in eine bewusstere Zukunft. Lieber Krabbeltiere oder Laborfleisch? Und habt ihr’s schon versucht?

Stephan: In Asien ist das Essen von Insekten und anderen Krabbeltieren ja ohnehin weit verbreitet und überhaupt kein Tabu (was mich an diese Schüsseln damals an kambodschanischen Bushaltestellen erinnerte, in denen halb verdurstete Vogelspinnen herumkrabbelten, die man als Lebendsnack erwerben konnte – war aber offenbar nur etwas für die Landbevölkerung, denn die Stadtbewohner fanden das auch irgendwie eklig). Heuschrecken habe ich jedenfalls schon probiert. Geschmacklich merkt man da nicht viel, als Proteinbasis sind die aber schon richtig brauchbar. Problematisch sehe ich allerdings, dass viele Menschen allergisch auf Insekten reagieren. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das sogar 10 bis 20 Prozent betreffen soll. Bei diesem hohen Prozentsatz stellt das ein echtes Problem dar – und natürlich sind Insekten auch immer noch Lebewesen. Wer sich in erster Linie aus ethischen Gründen vegetarisch ernährt (und das tun ja sehr viele Vegetarier), wird sich also nicht davon überzeugen lassen.

Tom: Grundsätzlich gilt ja: Wer Shrimps und Krabbenbrötchen mag, sollte eigentlich keine Bedenken gegen andere Gliederfüßer haben. Ich habe äthiopisch zubereitete Heuschrecken gegessen – das war erstaunlich schmackhaft, allerdings so nussig, dass man es vermutlich durch geröstete Nüsse hätte ersetzen können. Die Abneigung ist wohl weit eher eine psychologische. Aber ja, es löst das grundlegende ethische Problem ohnehin nicht.

Tom, von dir weiß ich, dass vegetarische Ernährung in deiner Familie eine Rolle spielt, ihr immer mal Veggie-Produkte als Fleischersatz ausprobiert, hin und wieder derselbe Kram, der bei mir in die Pfanne kommt, was immer witzig ist. Wie läuft das mit deinen Kids, wohin geht da generell die Tendenz in der jüngsten Generation, und wie ist das mit Familie, Freunden, Bekannten, Spielbesuch aus anderen Familien, wenn vegetarisch gekocht wird?

Tom: Mal pragmatisch gesehen – eine vegetarische Ernährung sollte eigentlich nichts Ungewöhnliches oder Bemerkenswertes sein. Eine so fleischhaltige Ernährung wie heute gab es in den letzten paar tausend Jahren für die Masse der Bevölkerung ohnehin nicht – und zwar bis Anfang der 50er Jahre nicht. Erst danach verwandelte sich der „Sonntags-Braten“, der ohnehin schon ein Statussymbol war, in ein tägliches „Muss“.
Dabei gibt es einfach Unmengen auch traditioneller Gerichte, die ohne Fleisch auskommen, ohne dass sie jemand als „Veggie“ betrachten würde. Und die gibt es eben oft genug. Niemand vermisst in einer Gemüsepfanne oder einem Großteil klassischer Eintöpfe Fleisch. Und selbst bei vielen „Fleischgerichten“ vermisst man das Fleisch nicht mal. Es interessiert die Kinder genauso wenig wie Besuchskinder, wenn die Würstchen im Hot Dog nicht aus Fleisch sind. Schmeckt man doch unter all den Soßen, Zwiebeln und Gurken ohnehin nicht. Und das ist zumindest bei Kindern das Hauptargument: Schmeckt – oder schmeckt nicht. Egal, woraus die Bolognese am Ende ist.Ansonsten ist Stephan, glaube ich, der bessere Ansprechpartner für gehobenes Essen. Ich muss meist das machen, was eben den Kindern schmeckt. Und bin schon dank diverser Lebensmittelallergien von Besuchskindern ganz gut in Sachen wie Eierkuchen ohne Eier.

Stephan: Hihi, „Gehobenes Essen“ klingt arg übertrieben. Aber ich reise ziemlich viel in der Weltgeschichte herum und weiß, was qualitativ und geschmacklich möglich ist. Das hat mich ein bisschen versaut, weil ich ein durchschnittliches Wirtshausschnitzel heute nicht mehr genießen kann. Vegetarier bin ich deswegen nicht geworden, aber vor gar nicht allzu langer Zeit hat mich mal jemand einen Flexitarier genannt, ohne dass ich bis dahin wusste, was das ist. Aber das kommt sehr gut hin. Ehe ich mir ein billiges Fleisch in die Pfanne haue, das ich am Ende ohnehin nicht mehr herausschmecke, arbeite ich lieber mit Gewürzen. Gerade die indische Küche ist in der Hinsicht so vielfältig, dass man da absolut nichts vermisst.

Ernährt ihr euch seit eurer Arbeit am Roman noch bewusster, kauft ihr noch kritischer ein? Denken wir zu wenig über die Kosten von Produkten und gerade Nahrung nach, die wir als Kaufende gar nicht zahlen, die aber von anderen Menschen und sowieso der Umwelt getragen werden müssen?

Stephan: Die Arbeit am Roman hat meine Ernährungsgewohnheiten nicht mehr wirklich beeinflusst. Wir bemühen uns ohnehin schon lange, bevorzugt regional, saisonal und bio einzukaufen. Obst und Gemüse kaufen wir unverpackt in passenden Mengen jeden Samstag auf unserem Lieblingsmarktstand ein und bedienen uns da auch gern und oft an der Zweite-Wahl-Kiste. Das ist nämlich das Schlimme: Diese Zweite-Wahl-Produkte sind meistens noch richtig lecker, aber nur weil sie nicht mehr ganz so gut aussehen, greifen selbst die Biokunden da nicht gern zu. Das ist vielleicht aber auch so etwas typisch Deutsches: Obst und Gemüse muss perfekt aussehen und vor allem groß sein. Geschmack ist da eher nebensächlich. Deshalb importieren Franzosen, Holländer oder Spanier nach Deutschland ja auch nur ihre schlechteren Produkte. Die selbst legen nämlich deutlich mehr Wert auf gute Qualität.

Tom: Der Qualitätsgedanke ist – wir sind bei einem Opa aufgewachsen, der Metzger war – ohnehin schon immer da gewesen. Billiges Supermarktfleisch ist selbst jenseits aller ethischen Gedanken ein Graus: da wird speziell bei uns viel zu oft billigster Abfall verkauft, den man im Ausland niemandem anbieten könnte. Bevor man das kauft, kann man eben auch gleich darauf verzichten. Konsequent gedacht ist dann ein regionaler und saisonaler Ankauf in jeder Hinsicht sinnvoll: im Winter Schlangengurken aus Spanien zu importieren ist nicht nur unverschämt teuer, sondern eben auch gleichzeitig eine fatale Entscheidung. Die spanischen Folienzeltwüsten kosten das von Dürren geplagte Spanien schier unglaubliche Mengen Wasser und verschmutzen das halbe Land mit Plastikmüll. Auch an dieser Stelle ist ein Umdenken erforderlich. Man sollte sich einen Sinn für Qualität und die Folgen des eigenen Verbrauchs nicht als ‚Verzicht‘ negativ einreden lassen. Was ist denn daran schlecht, auf geschmacklose und minderwertige Lebensmittel zu verzichten?

Was Elon Musk wohl so isst? Ist es eigentlich schwer, spaßig, therapeutisch, was auch immer, in Zeiten von Musk, Zuckerberg und Co. einen überheblichen superreichen CEO als eine der Hauptfiguren zu schreiben? Wie viel Klischee ist hier zu viel und doch real?

Tom: Nach dem, was man so im letzten Jahr gesehen hat: Zuviel Klischee geht eigentlich nicht, oder? Okay, man muss sich damit zurückhalten, manche Dinge einzusetzen, obwohl irgendein Musk, Zuckerberg, Ma oder Shkreli genau das gerade eben erst in der Realität übertroffen haben – einfach, weil es im Roman niemand für realistisch hält. Insofern macht es tatsächlich einen gewissen Spaß, so jemanden durch eine Story zu quälen, die sie eben nicht im Griff haben, und dabei großzügig Seitenhiebe zu verteilen.

Im Roman gehen die Umwelt-Aktivistinnen und -Aktivisten recht rabiat vor. Wie seht ihr die Aktionen der Letzten Generation? Ist das der richtige Weg, gibt es überhaupt noch Alternativen? Ist aber für eine Antwort womöglich ein zu komplexes Thema …

Stephan: Ich weiß nicht so recht, was ich von diesen Aktionen der Letzten Generation halten soll. Das liegt aber auch daran, dass ich mit dem Begriff nicht so wirklich etwas anfangen kann. „Klimaschutz“ ist für mich eine recht inhaltsleere Floskel, die meiner Meinung nach von viel zu vielen Stellen nur dafür missbraucht wird, irgendwo Geld zu verdienen aber am Ende nichts zu verändern. Leider springen nun mal gerade die ganzen großen Konzerne auf diesen Zug auf und heften sich den Klimaschutz an die Brust, wie andere einen Orden. Ich finde, wir sollten uns wieder zurück auf eine praktischere Ebene begeben und den echten Umweltschutz fördern: Konkrete Probleme benennen und dafür dann konkrete Lösungen finden. Sei es politischer oder technischer Natur. Vor allem hat das aber auch den Vorteil, dass speziell junge Menschen, die sich dem großen, unheimlichen Begriff der Klimakatastrophe bislang hilflos ausgeliefert sehen, im aktiven Umweltschutz einen Halt finden können: Wer selbst anfängt, Biotope anzulegen, Insektenhäuser zu bauen, Müll zu sammeln oder Bäume zu pflanzen, der tut nicht nur etwas für die Umwelt, sondern bewirkt ganz nebenbei auch eine schrittweise Bewusstseinsveränderung seines Umfelds. Sich auf die Straße zu kleben, verärgert meiner Meinung nach nur die Leute. Aber ja: Das ist wirklich ein sehr komplexes Thema. Man könnte da sicherlich ewig drüber diskutieren…

Tom: Ich habe Verständnis für die Gedanken, die hinter diesen Aktionen stehen. Protest gegen viel zu unbewegliche (und letztendlich Lobby- und profitorientierte) Politik ist (wie jeder Protest) heute anscheinend nur dann medialer Aufmerksamkeit wert, wenn er unbequem ist und weh tut. Beispiel: Über die monatelang laufenden, berechtigten Streiks des Pflegepersonals wurde quasi nicht berichtet, einfach weil die Pflege trotzdem versucht hat, den Patienten nicht weh zu tun. Insofern ist es wohl auch ein Ausdruck von Verzweiflung und Hilflosigkeit angesichts realer Notlagen, und damit verständlich.
Über die Umsetzung des Protests im Einzelnen kann man streiten – zivilen Ungehorsam als medienwirksames Druckmittel zu verwenden, um die Einhaltung von staatlichen Verpflichtungen einzufordern, ist ein altbewährtes politisches Instrument.
Unsere Aktivisten im „Skandal“ gehen hier ja doch wesentlich weiter – deutlich über den Ungehorsam hinaus – und loten dadurch auch gewisse Aspekte der Gefahr von Manipulation von Widerstandsbewegungen aus.

Stichwort Verpflichtungen. Kann euch nach über einem Dutzend gemeinsam geschriebener Bücher eigentlich noch etwas bei der brüderlichen Zusammenarbeit überraschen, erfreuen, verblüffen …?

Tom: Interessante Frage – ich glaube, dadurch, dass wir nicht immer dasselbe Schema in unseren Büchern verwenden wollen, müssen wir uns sowieso in jedem Buch neu zusammenraufen. Mal haben wir weitgehend getrennte Erzählstränge (wie in „Orks vs. Zwerge“) und jeder kann schreiben, wie er lustig ist, dann wieder haben wir einen einzelnen, wie in der „Schattensammlerin“. Plötzlich muss man sich wieder auf die Schreibeigenheiten des andere einlassen – die sich über die Jahre verändern. Zeitlich, strukturell, sprachlich – wir entwickeln uns beide. Und nicht unbedingt immer aufeinander zu. Aber tatsächlich hält es das auch spannend – und damit produktiv.

Stephan: Wäre ja auch langweilig, wenn wir gleich denken und schreiben würden. Die Unterschiede machen ja auch einen Teil des Reizes beim Schreiben aus. Dass man da auch mal aneckt oder unterschiedliche Ansichten dabei herauskommen, ist normal. Und eventuell macht es das ja auch ChatGPT schwerer, uns in Zukunft erfolgreich zu kopieren (lacht)

Vor ein paar Tagen habt ihr auf Social Media verkündet, dass euer nächstes Schreibprojekt für Heyne wieder Fantasy sein wird. Könnt ihr schon die grobe Richtung verraten? Sind jetzt mal wieder ein paar Orks dran?

Stephan: Ich fürchte, mit Orks können wir in unserem nächsten Roman nicht wirklich dienen (was aber nicht heißt, dass wir nicht grundsätzlich irgendwann wieder zu unseren Wurzeln zurückkehren). Ich weiß nicht, wieviel wir jetzt schon sagen dürfen, aber ich denke, indirekt werden die Gebrüder Grimm eine Rolle spielen. Wir werfen also einen kleinen Blick in die Welt hinter den Spiegeln und lassen uns überraschen, wer dort so alles unseren Blick erwidert.

Tom: Das wird so ein Kaninchenbau-Ding, das vieles aufgreift, was über die Jahre so an Ideen liegengeblieben ist, ohne aber in eine der bisherigen Welten zurückzukehren. Was aber nicht heißt, dass wir überhaupt nicht aus unseren alten Fantasy-Ideen schöpfen werden. Das war jetzt schön um den heißen Brei herumgeredet, oder?

Das passt doch – mit heißem Brei sind wir dann ja wieder beim Porridge und am Anfang, und generell dem Essen. Danke euch beiden für das Gespräch!

Autorenfoto ganz oben © Birgit Mühleder

T.S. Orgel: Der Skandal • Roman • Heyne, München 2023 • 448 Seiten • Erhältlich als Paperback, eBook und Hörbuch Download • Preis des Paperbacks: € 16,00 • im Shop

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