19. September 2023 2 Likes

Im Gespräch mit Grace Curtis

Der Autorin von „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ – worin die Erde nach dem Klimawandel zum postapokalyptischen Wilden Westen wird

Lesezeit: 9 min.

Die Engländerin Grace Curtis arbeitet in der Videogame-Industrie bei der Firma Future Friends, die sich um die Promo für Independent-Games kümmert. Außerdem schreibt sie für Magazine wie „Eurogamer“ und „Edge“.

In ihrem Romandebüt „Frontier“, das unter dem Titel Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ (im Shop) soeben bei Heyne auf Deutsch erschienen ist, wurde die Erde von der Klimakatastrophe in eine geradezu postapokalyptische Welt verwandelt. Die meisten Menschen leben inzwischen im All – für die, die noch immer auf dem einstmals blauen Planeten ausharren und einem konservativen Glauben folgen, ist die Zukunft der neue Wilde Westen. Außerdem hassen oder begehren sie alles, was von den Sternen kommt.

In diesem neuen alten Grenzland stürzt das Raumschiff der mysteriösen Protagonistin von Grace Curtis’ Roman ab, die anfangs keinen Namen hat und in dieser queeren SF-Liebesgeschichte zwischen Space-Western und Postapokalypse jemanden inmitten von Gewalt, Staub, Fanatismus und Chaos sucht.

Im Interview spricht die in Bristol lebende Autorin über ihre Einflüsse aus Game und Literatur, futuristische und klassische Western, die Herausforderung Klimawandel und ihre Romane.

 


Grace Curtis. Foto © Nicky Ebbage

Hallo Grace. Erzählst du uns für den Anfang etwas darüber, wie du zum Schreiben von Science-Fiction gekommen bist?

Ich bin quasi zufällig in die Science-Fiction gefallen. Die Vorstellung, dass die Menschheit den Planeten Erde verlässt, ist zu einem Standardthema in Sci-Fi-Geschichten geworden, und das hat mich immer mit dieser quälenden Neugierde zurückgelassen, was mit den Menschen passiert, die zurückbleiben. Diese Frage führte mich zu einer Reihe anderer Themen, die mir am Herzen liegen – vor allem der Klimawandel und unsere Beziehung zum Planeten. Ehe ich mich versah, war ich am Schreiben einer eigenen Science-Fiction-Geschichte.

Hast du literarische Einflüsse oder Favoriten, was das Genre anbelangt?

Die „Chaos Walking“-Trilogie von Patrick Ness (im Shop) hat meine Vorstellung davon erweitert, was Sci-Fi leisten kann. Ich bin auch ein großer Fan von Arthur C. Clarke (im Shop), vor allem von seinen Kurzgeschichten. Mann, die hauen richtig rein. Und natürlich Ursula K. Le Guin. Ich bin auch mit Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ (im Shop) aufgewachsen, was sich ein bisschen im Humor meiner eigenen Werke niederschlägt (hoffe ich).

Du arbeitest im Bereich Videospiele und Videogame-Journalismus. Wie beeinflusst das deine Fiction?

Einige Rezensenten haben es bereits aufgegriffen, aber „Fallout: New Vegas“ hatte einen großen Einfluss auf „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“. Das Game hat ein von Cowboys geprägtes Setting, das zugleich irgendwie düster und gut gelaunt daherkommt, und das ist in etwa das, was ich in meinem Roman angestrebt habe.

Generell denke ich, dass das narrative Design von Games den Schreibenden aus anderen Bereichen viel beibringen kann. Ich liebe die Idee, eine Welt durch Erkundung und Beobachtung kennenzulernen, indem man ihre Geschichte und Historie in Gesprächen sowie in kleinen Einblicken in das Leben der Menschen ausbaut. Dadurch fühlt sich die Umgebung lebendig an und nicht wie etwas, das nur auf dem Papier existiert.

Auch finde ich, dass Videogame-Writer (zumindest die guten) keine Angst davor haben, zu albern zu sein. Spiele wie „Undertale“ beweisen, dass man sehr albern sein und trotzdem auf einer emotionalen Ebene Treffer landen kann. Als Autorin zu reifen bedeutete für mich, meine Vorstellung abzulegen, dass „seriös“ gleichbedeutend mit „gut“ ist, und mich darauf einzulassen, Dinge zu tun, einfach nur weil sie mir Spaß machen, wenn ich sie schreibe.

Firefly, Star Wars, Marshall Bravestarr, Cowboy Bebop – was ist dein liebster Space-Western, und wieso hast du dich beim Schreiben selbst für das Genre entschieden?

Du hast meinen Favoriten bereits genannt! „Cowboy Bebop“ ist mein absoluter All-Time-Lieblings-Space-Western. Es ist wunderschön und witzig und so, so traurig. Und der Soundtrack, verdammt. Das ist meine oberste Empfehlung für Leute, für die das Genre noch Neuland ist.

Western berühren ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Entfremdung, das sehr gut zu der Geschichte passt, die ich über eine Außenseiterin erzählen wollte, die versucht, in einer isolierten Gemeinschaft zu überleben. Außerdem … macht es Spaß.

„Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ behandelt eine Menge schwieriger Themen, aber ich wollte, dass es in erster Linie ein spannender Roman ist. Der Aufhänger „Cowboys mit Laserpistolen“ zieht viele Leute an, die von einer „öko-feministischen Lesben-Parabel“ abgeschreckt werden könnten.


Die britische Ausgabe

Das Buch ist auf einer geradezu postapokalyptischen Erde angesiedelt, die vom Klimawandel verändert wurde. Ist Climate Fiction heute die wichtigste Art von SF, egal, was für ein Subgenre man schreibt? Das größte Thema unserer Zeit?

Ich möchte kein Genre als „wichtiger“ über den Rest erheben. Aus politischer Sicht würde ich sagen, dass es eines der, wenn nicht das dringendste Problem ist, dem wir uns gegenüber sehen. Es ist eine riesige Aufgabe, die Menschen dazu zu bringen, es als ein unausweichliches Problem zu akzeptieren, und ich hoffe, dass die Belletristik einen Teil dazu beitragen kann.

Ich würde „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ als Klimamärchen bezeichnen. Es stellt eine recht simple Version einer Zukunft nach der Klimakrise dar und spielt auch mit dem Gedanken, dass ein Großteil der Menschheit in der Lage sein wird, den Planeten zu evakuieren, was völlig absurd ist. Außerdem wird der chaotische Prozess übergangen, wie es zu all dem kam.

Der Klimawandel ist ein Verbrechen, das von den Reichen an den Armen begangen wird. Er ist ein kapitalistisches Problem. Ein Produkt des Rassismus. Ich vermute, dass das der Grund dafür ist, warum sich die Menschen überhaupt zu postapokalyptischen Erzählungen hingezogen fühlen – sie halten sich nicht so sehr mit den schmutzigen Details auf.

Wenn ihr eine fundiertere Sicht auf das Kommende wollt, empfehle ich die Romane „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson (im Shop) und „Die Parabel vom Sämann“ von Octavia E. Butler (im Shop). Besonders in Letzterem wird deutlich, dass Klimazerstörung und Faschismus Hand in Hand gehen.

Magst du eigentlich auch Western oder Neo-Western abseits der Science-Fiction? Ich binge z. B. gerade wie süchtig „Yellowstone“ …

Viele großartige Geschichten haben ein Western-Flair, denn der Western bezieht sich auf einige ältere Tropen (die meisten davon sind aus dem japanischen Kino geklaut). Der umherziehende Krieger, die Kleinstadt unter Belagerung, der Held mit den tausend Gesichtern – all diese Ideen sind so alt wie das Geschichtenerzählen selbst.

Die „Mad Max“-Reihe ist fantastisch darin, Western-Feeling in ein postapokalyptisches Setting zu bringen. „Fury Road“ ist bis dato der beste Teil innerhalb der Serie, obwohl ich auch eine Schwäche für „Donnerkuppel“ habe. Und niemand schrieb Neo-Western wie Cormac McCarthy. „No Country For Old Men“ ist ein Buch, das bis heute mietfrei in meinem Kopf lebt. Es ist absolut eindringlich und verfolgt einen. Und natürlich muss man den Klassikern ihre Ehre erweisen. Ich habe „Für eine Handvoll Dollar“ als Kind im Fernsehen gesehen (wahrscheinlich war ich zu jung, haha), und es gibt nur wenige Filme, die in Sachen purer schweißtropfender Atmosphäre an diesen herankommen.

In deinem Roman geht es auch um Konservatismus und Religion, und nach der Lektüre würde ich sagen, du bist von beidem nicht begeistert, oder?

Um Konservatismus ja, um Religion nicht so sehr. Es ist auch mehr eine Kritik des Dogmas. Ich hoffe, die Leute legen das Buch nicht weg, weil sie denken, dass ich gegen Religion bin. Es gibt Elemente von Schönheit und Wahrheit im erfundenen Glauben von „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“, und man kann sehen, wie dieser Glaube Menschen helfen kann, in einer so schwierigen Zeit zu überleben.

Religion ist ein Ausdruck unserer Menschlichkeit, mit all dem Guten und Schlechten, das damit einhergeht. Die Vorstellung, dass die Abschaffung der Religion dazu führen würde, dass alle Menschen anfangen, rational zu handeln, ist lächerlich. Es geht viel mehr darum, wie man seinen Glauben ausleben will. Füttert man den konservativen Instinkt, sich gegen Veränderungen zu wehren, oder arbeitet man daran, die Zukunft zu verbessern? Bestraft man Menschen, die nicht an Jesus glauben, oder lebt man sein Leben nach den tatsächlichen Werten von Jesus? Das muss jeder Einzelne für sich selbst entscheiden.

Die Hauptfigur deines Romans hat lange keinen Namen, stattdessen nennst du sie „die Fremde“ oder „die Kurierin“. Hattest du beim Schreiben trotzdem immer schon ihren richtigen Namen im Kopf?

Nein! Witzigerweise war der Name der Hauptfigur eines der letzten Dinge, die ich herausfand. Was seltsam ist, denn jetzt kann ich mir nicht vorstellen, dass sie irgendwie anders heißen könnte. Aber ich hatte das Spiel mit den Namensänderungen von Anfang an im Kopf – Fremde, Kurier, blinde Passagierin usw. Es hat viel Spaß gemacht, sich neue Rollen auszudenken, in die sie schlüpfen konnte.

Abgesehen davon, dass es sich um eine Hommage an den Western handelt, habe ich Pseudonyme verwendet, weil ich wollte, dass sich die Lesenden ihren Charakter Stück für Stück zusammensetzen, anstatt von Anfang an alles zu wissen. Es ist schwierig, eine Geschichte zu schreiben, die sich auf diese Weise entwickelt. Wenn man es zu früh herausfindet, ist es langweilig, aber wenn man zu lange wartet, wird man von dieser rätselhaften Protagonistin frustriert. Meine Agentin Zoë hat mir sehr dabei geholfen, die richtige Balance zwischen Geheimnis und Schadenpotential zu finden.

Das Rauschiff, das vom Himmel fiel“ präsentiert letztlich einen Road-Trip – was war auf Reisen denn dein merkwürdigstes oder denkwürdigstes Erlebnis?

Ich verbrachte einen Großteil dieses Sommers damit, in Island herumzufahren, das für einige wirklich tolle Road-Trips gemacht ist, obwohl keiner davon besonders merkwürdig war. Einmal fuhren wir allerdings durch das Gebiet einer massiven vulkanischen Eruption, was auf gewisse Weise unglaublich und unheimlich zugleich war.

Ich würde sagen, das seltsamste, was mir je passiert ist, war, dass ich auf einem Flug nach Tokio erblindet bin. Wie sich herausstellte, vertragen sich niedriger Blutdruck und große Höhen nicht so gut – wer hätte das gedacht? Ich verlor für ein paar Minuten mein Augenlicht, bevor ich ohnmächtig wurde, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden des Ganges und ein französischer Arzt hielt mich an den Knöcheln hoch. Das ist anscheinend die Behandlung. Man hält die Knöchel hoch und wartet, bis das Blut ins Gehirn der Patientin oder des Patienten zurück tropft. Es war höllisch peinlich, aber im Nachhinein definitiv lustig.

Dein nächster Roman „Floating Hotel“ wird im Weltraum spielen. Wie unterscheidet sich diese „neue Grenze“ im Sequel von der auf der weit entfernten, postapokalyptischen Erde im ersten Buch?

Es gibt definitiv mehr technische Zwickmühlen. Die Raumfahrt in „Floating Hotel“ ist nicht allzu akkurat, aber ich wollte, dass sie zumindest eine konstante innere Logik hat, die die Lesenden nachvollziehen können. Außerdem musste ich diesen ganzen anderen Schauplatz, der in „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ meist nur angedeutet wird, mit Leben füllen: ein riesiges militarisiertes Weltraumimperium. Isaac Asimovs (im Shop) Schatten hing eine ganze Weile über meiner Tastatur, aber ich hoffe, dass ich dem Konzept meinen eigenen Stempel aufdrücken konnte.

„Floating Hotel“ ist hauptsächlich ein Roman mit nur einem Schauplatz, weshalb die größte Herausforderung meiner Ansicht nach im Grunde logistischer Natur war. Ich musste herausfinden, wo sich alle aufhielten und was sie gerade taten, was viel lästiger war als beim Schreiben von „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“, wo die Protagonistin einfach in jedem Kapitel an einem neuen Ort auftaucht.

Möchtest du deinen deutschen Leserinnen und Lesern noch etwas sagen?

Ich denke, einfach nur – danke, dass ich bei euch sein darf! Es ist das erste Mal, dass ich irgendwo übersetzt werde. Das ist alles ziemlich aufregend. Ich hoffe, ihr da drüben liebt mein Buch so sehr wie ich euer Bier (lächelt).

Grace Curtis: Das Raumschiff, das vom Himmel fiel • Roman • Aus dem Englischen von Maike Hallmann • Heyne, München 2023 • 336 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 16,00 • im Shop

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