8. Januar 2024

„Toshio Shibata: Japan“ – Die Schönheit des Asphalts

Eine Monographie über den berühmten japanischen Photographen

Lesezeit: 3 min.

Ein Staudamm, der wie ein Monolith in einem Fluss prangt. Eine grellrote Brücke, ein gleißend grün erleuchteter Tunnel, und immer wieder Hangsicherungen unterschiedlichster Couleur, von mit schweren Säcken befestigten Netzen, bis hin zu geometrisch, fast organisch anmutenden Betonkonstruktionen, die die Fragilität der japanischen Natur andeuten.

Aber ist es überhaupt die Natur, die der japanische Fotograf Toshio Shibata hier zeigt? Bäume, Flüsse oder Hänge sind zwar auch zu sehen, aber im klassischen Sinn „natürlich“ mutet kaum eine der Fotografien an, die in der nun bei Prestel erschienenen Monographie Toshio Shibata: Japan“ (im Shop) abgebildet sind. Seit fünf Jahrzehnten reißt der 1949 in Tokio geborene Shibata nun schon durch seine vielfältige Heimat, hat anfangs ausschließlich in schwarz-weiß fotografiert, seit 2003 nur noch in Farbe. Die typischen touristischen Highlights wird man auf seinen Bildern vergebens suchen, weder den Mt. Fuji, noch den Ise Schrein, weder die schönsten Buchten, noch die schönsten Wälder.

Shibatas Blick auf die Natur ist anders als die anderer Landschaftsfotografen, von denen es in Japan ohnehin nicht allzu viele gibt. Meist konzentrieren sich japanische Fotografen auf die Städte, auf die technologische, architektonische Entwicklung, die Japan nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der führenden Industrienationen gemacht hat.

Dabei hat sich der zwar lang gestreckte Inselstaat, der dennoch verhältnismäßig wenig Nutzfläche besitzt, radikal gewandelt. Kaum unberührte Natur gibt es noch, aber was heißt das überhaupt: unberührt? Das Verhältnis der Japaner zu „orignalen“ Bauten ist ohnehin ein ganz anderes als im Westen im Allgemeinen vorherrscht. Wird hier der Erhalt des Originals meist großgeschrieben, intensiv restauriert und der Eindruck erweckt, das ein Gebäude „alt“ ist, geht es in Japan mehr um die Aura.

Die Holzkonstruktion des berühmten Ise Schrein etwa, einer der heiligsten Orte des Shintoismus, wird alle 20 Jahre abgerissen und neu aufgebaut. Ob man den Schrein nun also für weniger als 20 Jahre alt hält oder für etwa 2000 Jahre liegt im Auge des Betrachters, im Auge der Weltanschauung.

Nun haben die schnöden Betonkonstruktionen, die Shibata interessieren, natürlich nicht den spirituellen Wert eines Schreins, wie sie sich in die Landschaft fügen – zumindest durch die Kamera Shibatas betrachtet – lässt sie jedoch wie eine organische Weiterführung der Natur wirken.

Was dem japanischen Verhältnis und dem Umgang mit der Natur entspricht, das im Gegensatz zum Westen nicht einen Gegensatz zwischen Mensch und Natur in den Mittelpunkt des Denkens stellt, sondern den Versuch, ganzheitlich zu denken. Man kennt das aus vielen Filmen, etwa den Werken von Hayao Miyazaki, in dem ganz selbstverständlich Bäume oder Steine beseelt sind, ebenso wie Tiere und Menschen. In diesem Sinne geht es bei der Gestaltung der Natur dann auch darum, einen möglichst natürlich wirkenden Ort zu schaffen, in dem sich Gebäude etwa in anliegenden Seen spiegeln, sich immer wieder erhabene Blicke auftun, die aber alles andere als natürlich sind.

Immer wieder merkt man Shibatas Fotografien an, dass er zu Beginn seines künstlerischen Weges gemalt hat. Wie Stillleben wirken die Aufnahmen oft, von einem weichen Nebelschleier überzogen, und später, wenn Shibata zur Farbe gewechselt ist, oft wie abstrakte Kompositionen. Für den westlichen Blick mag dieser Fokus auf Orte, an denen der Mensch in die Natur eingedrungen ist, in denen er scheinbar die unberührte Natur zerstört hat, seltsam anmuten. Doch gerade dieses Hinterfragen von Sehgewohnheiten macht Toshio Shibatas Kunst und sein spezieller Blick auf die Natur seiner Heimat so anregend.

Hier gibt es eine Leseprobe.

Toshio Shibata: Japan • englischer Text • Prestel, München 2023 • 200 Seiten • Hardcover • € 50,00 • im Shop

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