8. April 2016 1 Likes

Tauchen Sie ab in Moskaus Untergrund!

Eine exklusive erste Leseprobe von Dmitry Glukhovskys „Metro 2035“

Lesezeit: 7 min.

Dmitry Glukhovsky ist ein Name, den man inzwischen auch jenseits der Science-Fiction kennt. Mit seinen beiden Romanen „Metro 2033“ (im Shop) und „Metro 2034“ (im Shop) erschrieb er sich ein Millionenpublikum und wurde weit über die Grenzen Russlands hinaus bekannt. Mit dem letzten Band seiner Metro-Trilogie hat sich Glukhovsky allerdings Zeit gelassen. Sieben Jahre mussten die Fans ausharren, doch nun ist es soweit: Am 11.4.2016 erscheint „Metro 2035“ (im Shop) endlich auf Deutsch (wir berichteten). Kaum hat man die erste Seite aufgeschlagen, ist man sofort wieder mitten drin in den Abenteuern, die der junge Artjom in den Metro-Stationen Moskaus erlebt – Glukhovsky at his best!

Allen, die schon sehnsüchtig die Tage bis zum Erscheinungstermin herunterzähen, können wir als kleines Schmankerl schon mal eine erste Leseprobe zur Verfügung stellen. Viel Spaß beim Lesen!

 

                                                             1                                                                

  Hier Moskau

 

Es geht nicht, Artjom.«

»Mach auf! Mach auf, sag ich.«

»Anweisung vom Stationschef. Ich darf niemanden rauslassen.«

»Was soll das heißen, niemanden? Willst du mich verarschen?«

»Das ist mein Befehl! Zum Schutz der Station … vor der Strahlung … das Tor geschlossen halten. So lautet mein Befehl, kapiert?«

»Kommt das von Suchoj? Hat dir mein Stiefvater den Befehl gegeben? Mach schon auf.«

»Wegen dir krieg ich noch eins auf die Mütze, Artjom …«

»Na gut, wenn du nicht willst, mach ich’s eben selbst.«

»Hallo … San-sejitsch … Ja, vom Posten … Artjom ist hier … Ihr Artjom. Was soll ich mit ihm machen? Ja. Wir warten.«

»Bravo, Nikizka, jetzt hast du mich verpfiffen. Dafür ziehst du jetzt aber Leine! Ich mache auf. Egal was, ich gehe da raus!«

Doch in diesem Augenblick sprangen noch zwei aus der Wächterkabine heraus, zwängten sich zwischen Artjom und die Tür und schoben ihn mitleidig zurück. Auch wenn keiner der Wachleute ernsthaft handgreiflich wurde, war Artjom – ohnehin schon müde, die Augen schwarz umrandet, den Aufstieg vom Vortag noch in den Knochen – ihnen nicht gewachsen. Neugierige hatten sich dazugestohlen: dreckverschmierte Knirpse mit Haaren, durchsichtig wie Glas, aufgedunsene Hausfrauen, die Hände blau und stählern vom endlosen Waschen im eiskalten Wasser, müde Viehzüchter aus dem rechten Tunnel, die einfach nur dumpf gaffen wollten. Sie flüsterten untereinander, sahen Artjom an und zugleich durch ihn hindurch. Auf ihren Gesichtern lag – weiß der Teufel was.

»Er hört einfach nicht auf damit. Wozu will er da rauf?«

»Genau. Und jedes Mal geht dabei die Tür auf. Und dann kommt das alles hier rein, von da oben! Sturkopf, verdammter …«

»Hör mal, lass das … So kannst du nicht über ihn sprechen. Immerhin hat er uns … gerettet. Uns alle. Auch deine Kinder da.«

»Ja, stimmt schon. Aber was jetzt? Wofür hat er sie denn gerettet? Fängt sich da draußen jede Menge Röntgen ein … und wir kriegen auch gleich noch was ab.«

»Und vor allem: Was zum Henker will er dort? Wenn es wenigstens einen Grund gäbe!«

In diesem Augenblick tauchte unter all diesen Gesichtern das wichtigste auf: ein ungepflegter Schnauzer, die spärlichen grauen Haare quer über die Glatze gelegt. Das Gesicht nur mit geraden Linien gezeichnet, nirgends eine einzige Rundung. Und auch alles andere an ihm: steif und zäh wie Hartgummi, als hätte man diesen Mann bei lebendigem Leib gedörrt. Genauso war seine Stimme.

»Geht nach Hause, alle. Habt ihr gehört?«

»Das ist Suchoj. Suchoj ist gekommen. Soll er seinen Jungen mitnehmen.«

»Onkel Sascha …«

»Schon wieder du, Artjom? Wir hatten doch darüber gesprochen …«

»Mach auf, Onkel Sascha.«

»Geht nach Hause, ich sag’s nicht noch mal! Hier gibt es nichts zu gaffen! Und du – komm mit.«

Aber Artjom setzte sich auf den Boden, den glattpolierten, kalten Granit. Lehnte sich gegen die Wand.

»Es reicht jetzt«, sagte Suchoj lautlos, nur mit den Lippen. »Die Leute tuscheln sowieso schon.«

»Es muss sein. Ich muss hoch.«

»Da ist nichts! Nichts! Nichts gibt es da zu suchen!«

»Onkel Sascha, ich hab dir doch gesagt …«

»Nikita! Was stehst du da rum? Los, schaff die Bürger hier weg!«

»Jawohl, San-sejitsch!« Nikita fuhr hoch und begann hastig die Menge wegzuschaufeln. »Also, wer braucht noch eine Extraeinladung? Los, Marsch, Marsch …«

»Das ist doch alles dummes Zeug. Hör zu …« Suchoj stieß die in ihm angestaute Luft aus, wurde auf einmal weich und faltig – und ließ sich neben Artjom auf dem Boden nieder. »Du bringst dich noch um damit. Glaubst du, der Anzug schützt dich vor der Strahlung? Der ist doch wie ein Sieb! Da könntest du genauso gut ein Baumwollhemd tragen!«

»Na und?«

»Nicht mal die Stalker gehen so oft nach oben wie du … Hast du überhaupt mal deine Dosis gemessen? Was willst du eigentlich: leben oder krepieren?«

»Ich weiß, dass ich es gehört habe.«

»Und ich weiß, dass du es dir eingebildet hast. Es gibt niemanden, der Signale schicken könnte. Niemanden, Artjom! Wie oft soll ich es dir noch sagen? Niemand ist mehr da. Außer Moskau. Außer uns hier.«

»Das glaube ich nicht.«

»Denkst du vielleicht, mich kümmert, was du glaubst? Wenn dir die Haare ausfallen, das kümmert mich! Wenn du Blut pisst! Willst du, dass dir der Schwanz eintrocknet?!«

Artjom zuckte mit den Schultern. Schwieg, wog ab.

Suchoj wartete.

»Ich habe es gehört. Damals, auf dem Turm. In Ulmans Funkgerät.«

»Aber außer dir hat niemand etwas gehört. Die ganze Zeit über, egal wie oft sie danach gehorcht haben. Der Äther ist leer. Also was jetzt?«

»Jetzt gehe ich nach oben. Weiter nichts.«

Artjom stand auf, streckte den Rücken.

»Ich will Enkel haben«, sagte Suchoj von unten zu ihm.

»Damit sie hier leben? Im Untergrund?«

»In der Metro«, korrigierte Suchoj.

»In der Metro«, lenkte Artjom ein.

»Und sie sollen ganz normal leben. Erst mal überhaupt auf die Welt kommen, natürlich. Aber so …«

»Sag ihnen, sie sollen aufmachen, Onkel Sascha.«

Suchoj blickte zu Boden. Auf den schwarz glänzenden Granit. Offenbar war da irgendwas zu sehen.

»Hast du gehört, was die Leute sagen? Dass du übergeschnappt bist. Damals, auf dem Turm.«

Artjom verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.

Er holte tief Luft.

»Weißt du, was nötig gewesen wäre, damit du Enkel bekommst, Onkel Sascha? Du hättest eigene Kinder kriegen sollen. Die könntest du dann herumkommandieren. Und deine Enkel wären dann wenigstens dir ähnlich – und nicht weiß der Teufel wem.«

Suchojs Brauen zogen sich zusammen. Eine Sekunde tickte vorüber.

»Nikita, lass ihn raus. Soll er doch krepieren. Scheiß drauf.«

Nikita gehorchte schweigend. Artjom nickte zufrieden.

»Ich bin bald zurück«, sagte er zu Suchoj aus der Schleuse.

Dieser stemmte sich an der Wand hoch, drehte Artjom den gebeugten Rücken zu und schlurfte, den Granit polierend, fort.

Die Schleusentür knallte zu, die Riegel fielen ins Schloss. Eine grellweiße Lampe an der Decke flammte auf – fünfundzwanzig Jahre Garantie – und spiegelte sich wie die schwache Wintersonne in den verschmierten Fliesen. Die gesamte Schleusenzone war, bis auf eine stählerne Wand, damit getäfelt. Ein verschlissener Plastikstuhl, um sich auszuruhen oder die Stiefel zu binden, an einem Haken ein deprimiert wirkender Strahlenschutzanzug, im Boden ein Abfluss, daneben ein Gummischlauch zur Dekontamination. In der Ecke stand noch ein Armeerucksack. Ein blauer Hörer hing an der Wand, wie bei einer Telefonzelle.

Artjom stieg in den Anzug – dieser war geräumig, wie der eines Fremden. Er holte die Atemschutzmaske aus der Tasche. Zog den Gummi lang, stülpte sie sich über, blinzelte, während er sich an die Sicht durch die runden, nebligen Sichtfenster gewöhnte. Nahm den Hörer ab.

»Bereit.«

Ein schweres Knarren ertönte, und die stählerne Wand – keine Wand, sondern ein hermetisches Tor – begann nach oben zu kriechen. Von außen wehte ein kalter, feuchter Atem herein. Fröstelnd schulterte Artjom den Rucksack, der sich schwer anfühlte, als hätte sich ein Mensch rittlings obendrauf gesetzt.

Die abgenutzten, rutschigen Stufen der Rolltreppe führten steil hinauf. Die Metrostation WDNCh lag sechzig Meter unter der Erde. Gerade tief genug, dass die Wirkung von Fliegerbomben nicht mehr zu spüren war. Natürlich, hätte ein Atomsprengkopf Moskau getroffen, gäbe es hier nichts als eine riesige Grube, gefüllt mit Glas. Doch die Sprengköpfe waren alle von der Raketenabwehr hoch über der Stadt abgefangen worden. Nur ihre Splitter waren auf die Erde herabgeregnet – strahlend, aber nicht mehr explosionsfähig. Nur aus diesem Grund stand Moskau noch immer fast unbeschädigt da, ähnelte seinem früheren Selbst wie eine Mumie dem lebenden Pharao. Arme und Beine befanden sich noch immer, wo sie hingehörten, ein Lächeln lag auf seinen Lippen …

Andere Städte hingegen hatten kein Raketenabwehrsystem besessen.

Ächzend rückte Artjom den Rucksack zurecht, bekreuzigte sich verstohlen, schob die Daumen unter die lockeren Riemen, um sie zu spannen, und begann mit dem Aufstieg.

 

 

Dmitry Glukhovsky: „Metro 2035“ ∙ Roman ∙ Aus dem Russischen von David M. Drevs ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 ∙ 784 Seiten ∙ E-Book-Preis: € 11,99 ∙ ab dem 11.4.2016 in unserem Shop

 

Dmitry Glukhovsky und sein Übersetzer David M. Drevs sind Ende April auf Lesereise in Deutschland. Alle Termine und Infos hierzu finden Sie im Magazin. Mehr Informationen zum faszinierenden Metro-Universum (im Shop) erhalten Sie in unserem Metro-2033-Themen-Special.

 

 

 

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