30. Oktober 2018 2 Likes

„Psycho“ trifft „Event Horizon“

George R. R. Martins Kurzroman „Nachtgleiter“ als TV-Serie – hier ist alles, was Sie über die Geschichte wissen müssen

Lesezeit: 5 min.

Ehe er sich nach Westeros begab, ja, lange bevor er die komplexe Geschichte hinter „A Song of Ice and Fire“ und der dazugehörigen TV-Serie „Game of Thrones“ entwickelte, hielt George R. R. Martin sich lange im Weltraum auf. „Die 1000 Welten“ ist sein ganz eigenes Universum, in dem er Geschichten wie die um Haviland Tuf („Planetenwanderer“, im Shop) ansiedelte. Diesem Universum entspringt auch die „Nachtgleiter“ (im Shop), ein Schiff, dessen Geschichte jetzt als TV-Serie adaptiert wurde. Die erste Version dieser Geschichte erschien 1980 als Novelle in der Zeitschrift Analog und gewann den Locus Award; ein Jahr später verlängerte Martin sie für eine Anthologie. Es folgte eine Verfilmung, die laut Martin „so herausragend war, dass der Regisseur auf seine namentliche Nennung verzichtete“. Die neue Serie startet im Dezember in den USA, in Deutschland wird sie auf Netflix zu sehen sein (allerdings gibt es bis jetzt noch keinen deutschen Starttermin), und ja, die Regisseure sind namentlich erwähnt!

Die Trailer und Teaser, die wir bisher gesehen haben (hier, hier und hier zu finden), lassen vermuten, dass sich zwar die Prämisse geändert hat, unter der die Nachtgleiter aufbricht, nicht jedoch der allem zugrunde liegende Horror. In der Serie bricht die Nachtgleiter von der Erde auf, um Kontakt mit einem Alien-Objekt aufzunehmen, das am Sonnensystem vorbei fliegt und sich als mögliche letzte Rettung für die Menschen, von ihrem zerstörten Heimatplaneten zu entkommen, erweisen könnte. Im Kurzroman hingegen chartert ein Team von Spezialisten unter Karoly d‘Branin in der fernen Zukunft das Schiff, um Kontakt zu den geheimnisvollen Volcryn aufzunehmen. Diese Wesen sind einst von einem unbekannten Planeten im Zentrum unserer Galaxis aus gestartet und seit Jahrmillionen zu ihrem Rand unterwegs. Dabei haben sie immer wieder Planetensysteme durchquert und Eingang in die Legenden der Völker gefunden, die dort leben:

»Die Fyndii nennen sie iy-wivii, was übersetzt etwa so viel heißt wie freie Horde oder auch dunkle Horde. Jede Fyndii-Horde erzählt die gleiche Geschichte, nur die Geistesstummen glauben nicht daran. Die Schiffe sollen unermesslich riesig sein, weit größer als alles, was in ihrer oder unserer Geschichtsschreibung jemals bezeugt wurde. Es heißt, sie seien Kriegsschiffe. Es wird von einer Fyndii-Horde berichtet, dreihundert Schiffe unter rala-fyn, die bei einer Begegnung mit einem Schiff der iy-wivii sämtlich zerstört wurden. Das trug sich vor vielen Tausend Jahren zu, deshalb sind die Einzelheiten natürlich verloren gegangen.

Die Damoosh erzählen etwas anderes, aber sie betrachten es nicht als Geschichte, sondern als unzweifelhafte Wahrheit – und die Damoosh sind bekanntlich die älteste Rasse, der wir bisher überhaupt begegnet sind. Meine Volcryn heißen bei ihnen die aus der Leere. Wunderbare Geschichten, Royd, wunderbar! Schiffe wie große, düstere Städte, lautlos, stumm, die einem langsameren Rhythmus folgen als das restliche Universum. Den Legenden der Damoosh zufolge sind die Volcryn Flüchtlinge eines unvorstellbaren Kriegs tief im Herzen der Galaxis, der sich zu Anbeginn aller Zeiten ereignete. Sie ließen die Welten und Sterne zurück, die sie hervorgebracht hatten, und suchten in der Leere dazwischen nach wahrem Frieden.

Bei den Gethsoiden von Aath findet sich eine ähnliche Geschichte, aber laut ihrer Legende löscht jener Krieg alles Leben in unserer Galaxis aus, und die Volcryn sind eine Art Götter, die auf den Welten, an denen sie vorüberkommen, neues Leben säen. Andere Rassen betrachten sie als göttliche Boten oder auch als Schatten, die aus der Hölle geflohen sind und uns alle vor unaussprechlichem Schrecken warnen, die bald aus dem Inneren der Galaxis hervorbrechen werden.«

»Ihre Geschichten sind widersprüchlich, Karoly.«

»Ja, ja, das sind sie natürlich, aber sie alle stimmen in den Kernpunkten überein – die Volcryn befinden sich auf dem Weg aus dieser Galaxis hinaus, treiben weit unter Lichtgeschwindigkeit in ihren uralten, unzerstörbaren Schiffen der verfänglichen Pracht unserer kurzlebigen Reiche vorbei. Darum geht es, um nichts anderes! Der Rest ist Firlefanz, Ausschmückung; bald werden wir wissen, was davon stimmt. Ich habe auch die spärlichen Daten über Völker mit einbezogen, deren Existenz nicht als gesichert gilt, deren Heimatwelten in noch weiterer Ferne liegen als die der NorT’alusch – Zivilisationen und Völker, die ihrerseits als legendär gelten –, und wo immer ich etwas fand, fand ich auch stets die Volcryn-Geschichte.«

Allerdings haben Karoly d’Branin und seine Mannschaft die Rechnung ohne den Wirt – will sagen: den Kapitän der Nachtgleiter – gemacht. Royd Eris lebt zurückgezogen in seiner Hälfte des Schiffes, seinen Passagieren erscheint er nur in Form eines Hologramms. Zu Beginn der Reise akzeptiert das Forscherteam das noch, doch je näher sie den Volcryn kommen, desto merkwürdigere Zwischenfälle passieren an Bord, bis es schließlich sogar zu Todesfällen kommt. Während die einen vermuten, dass die Volcryn, denen seltsame, übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben werden, dahinterstecken, glauben andere, dass die Erklärung sehr viel naheliegender ist – und Royd Eris Licht ins Dunkel bringen könnte. Und so wird aus einer Space Opera und der Suche nach den gottgleichen, legendären Volcryn nach und nach eine handfeste Horrorgeschichte.

Science-Fiction und Horror – geht das zusammen? Schließlich arbeiten Horrorgeschichten mit dem Unerklärbaren, während in der SF gilt, dass es für alles, und sei es noch so mysteriös, letztendlich eine rationale, wissenschaftliche Erklärung gibt. In seinem Vorwort zu „Nachtgleiter“ schreibt Martin, dass er als Kind einen Chemiebaukasten besessen hätte, und wie viele andere Kinder sich nie an die Anleitung gehalten hätte. Es sei einfach viel spannender gewesen, dies mit jenem zusammenzumischen und zu sehen, ob sich so etwas herstellen ließ, das blubberte, schäumte oder vielleicht sogar explodierte. Später habe er dasselbe mit Genres gemacht, und eines der Ergebnisse sei „Nightflyers“ gewesen. Ob das nun blubbert, schäumt oder gar explodiert, kann jeder nach der Lektüre selbst entscheiden.

George R. R. Martin: Nachtgleiter. In: Traumlieder II • Storysammlung • Aus dem Amerikanischen von Maike Hallmann • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • S. 263-403 • erhältlich als E-Book oder gedrucktes Buch • Preis des E-Books: € 11,99 • im Shop

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