26. November 2019 1 Likes

„Game of Thrones“ zwischen den Sternen

Eine erste Leseprobe aus Arkady Martines Debütroman „Im Herzen des Imperiums“

Lesezeit: 12 min.

Hauptberuflich lehrt und forscht Arkady Martine über Byzantinische Geschichte. Wenn also jemand etwas von untergegangenen bzw. im Untergehen begriffen seienden Weltreichen versteht, dann sie. Und das merkt man ihrem Science-Fiction-Debüt „Im Herzen des Imperiums“ (im Shop) auch an. Ihre Hauptfigur Mahit Dzmare muss mit äußerster Vorsicht am Hof eines gewaltigen Sternenimperiums einen Mordfall aufklären – scheitert sie, steht das Schicksal ihrer gesamten Heimat auf dem Spiel. „Im Herzen des Imperiums“ ist nicht nur reich an Intrigen und diplomatischen Verwicklungen, sondern auch ein ebenso bild- wie sprachgewaltiges Science-Fiction-Epos.

 

1

In einem Beiboot, kaum mehr als eine kleine Blase, die gerade ausreichte, um sie und ihr Gepäck aufzunehmen, schoss Mahit aus der Seite des imperialen Kreuzers Rote Frucht des Aufstiegs heraus und sank zur Stadt hinunter, zum Zentralplaneten und dem Hauptort des Teixcalaanischen Imperiums. Beim Sinkflug hinab zum Planeten loderte die Atmosphäre, was ihr die Sicht versperrte. Als sie die Stadt zum ersten Mal mit eigenen Augen und nicht auf einem Infofiche, als Holografie oder als Imago-Erinnerung sah, war alles von weißem Feuer überlagert und strahlte wie ein unendliches, schimmerndes Meer. Ein ganzer, völlig urbanisierter Planetenpalast und eine Wirtschaftsmetropole. Selbst die eingepferchten Überreste von Seen und die dunkleren Stellen, an denen sich alte Städte befunden hatten, die verfielen und noch nicht von Metall überwuchert waren, wirkten dicht bevölkert. Nur die Meere blieben unberührt. Auch sie schimmerten, der Farbton schwankte zwischen Blau und Türkis.

Die Stadt war sehr schön und sehr groß. Mahit hatte schon eine ganze Reihe von Planeten besucht, die nicht weit von der Lsel-Station entfernt und für Menschen nicht völlig lebensfeindlich waren. Dennoch war sie nun von Ehrfurcht erfüllt. Ihr Herz schlug schneller, und die Hände, mit denen sie die Gurte gepackt hatte, wurden feucht. Die Stadt war genauso, wie sie in den teixcalaanischen Dokumenten und Liedern beschrieben wurde: Das Juwel im Herzen des Imperiums. Sogar die Atmosphäre glühte.

<Genau das sollst du auch denken, wenn du sie betrachtest>, sagte ihre Imago. Er war wie ein leichter, aber hartnäckiger Geschmack ganz hinten auf der Zunge, ein rasches Aufscheinen von grünen Augen und sonnengebräunter Haut am Rande des Gesichtsfeldes. Eine Stimme im Hinterkopf, die nicht ihre eigene war. Ungefähr in ihrem Alter, aber männlich, aalglatt, selbstgefällig und genauso aufgeregt wie sie, hier einzutreffen. Ihr Mund folgte der Bewegung, als er lächelte. Sein Lächeln war lebhafter und breiter, als es den Muskeln ihres Gesichts zusagte. Sie kannten einander noch nicht lange. Seine Mimik war ausdrucksvoller als die ihre.

Yskandr, verschwinde aus meinem Nervensystem, dachte sie nicht ohne einen vorwurfsvollen Unterton in seine Richtung. Eine Imago – die implantierten, integrierten Erinnerungen des Vorgängers, beherbergt zur Hälfte in ihrem Nervensystem und zur Hälfte in einer kleinen Maschine aus Keramik und Metall, die an das Stammhirn angeschlossen war – durfte das Nervensystem des Wirts nicht übernehmen, solange dieser nicht eingewilligt hatte. Zu Beginn einer Partnerschaft war der Begriff Einwilligung jedoch noch nicht klar definiert. Die Version Yskandrs, die sie in sich trug, erinnerte sich daran, einen Körper gehabt zu haben, und benutzte manchmal Mahits Körper, als wäre es sein eigener. Sie machte sich deshalb Sorgen. Zwischen ihnen war noch so viel Distanz, obwohl sie doch zu einer einzigen Person verschmelzen sollten.

Dieses Mal zog er sich sofort zurück. Es kribbelte, und er lachte elektrisierend. <Wie du willst. Zeigst du es mir, Mahit? Ich will es noch einmal sehen.>

Als sie wieder auf die Stadt hinunterschaute – sie war jetzt viel näher, der Raumhafen ragte hoch empor und empfing ihr Beiboot wie eine Blüte aus weit gespannten Netzen – , ließ sie die Imago durch ihre Augen blicken und spürte die Erregung, als wäre es ihre eigene.

Was ist dort unten?, fragte sie ihn. Was erwartet dich dort?

<Die Welt>, antwortete ihr Imago-Gast. Zu Lebzeiten, als Yskandr noch kein Bestandteil einer Reihe lebender Erinnerungen gewesen war, hatte er in der Stadt als Botschafter von Lsel gedient. Er hatte Teixcalaanli gesprochen, weil sich dabei eine Tautologie ergab: Das Wort für »Welt« und das Wort für »Stadt« waren identisch und schlossen auch die Bedeutung des Begriffs »Imperium« mit ein. Besonders im gehobenen imperialen Dialekt war es unmöglich, zwischen den Bedeutungsebenen zu unterscheiden. Es kam immer auf den Kontext an.

Yskandrs Kontext war nicht eindeutig, was Mahit allerdings nicht anders erwartet hatte. Sie fand sich damit ab. Obwohl sie die teixcalaanische Sprache und Literatur ausgiebig studiert hatte, klang es bei ihm viel geschmeidiger und flüssiger. So etwas lernte man nur, wenn man lange hier gelebt hatte.

<Die Welt>, wiederholte er, <aber auch die Grenzen der Welt.> Das Imperium, aber auch die Region, wo das Imperium nicht mehr ist.

Mahit passte sich ihm an und antwortete, da sich sonst niemand in der Landekapsel befand, laut in der teixcalaanischen Sprache: »Du hast etwas Bedeutungsloses gesagt.«

<Ja>, stimmte Yskandr zu. <Als Botschafter habe ich mir angewöhnt, alle möglichen bedeutungslosen Dinge zu äußern. Du solltest es auch mal versuchen, es ist sehr unterhaltsam.>

In der Abgeschiedenheit ihres Körpers benutzte Yskandr eine höchst vertrauliche Anrede, als wären er und Mahit Klongeschwister oder Geliebte. Mahit hatte die intime Anrede noch nie laut ausgesprochen. Auf der Lsel-Station hatte sie einen jüngeren Bruder, der ihr fast so nahe stand wie ein Klonbruder, doch er beherrschte nur die Sprache der Stationsbewohner, und ihn mit dem vertraulichen »Du« anzureden, das in der teixcalaanischen Sprache eine intime Nähe ausdrückte, wäre ebenso sinnlos wie unfreundlich gewesen. Sie hätte das Wort bei einigen Menschen benutzen können, die sie in den Sprach- und Literaturkursen kennengelernt hatte. Ihre alte Freundin Shrja Torel zum Beispiel hätte die Geste richtig verstanden, doch Mahit und Shrja hatten keinen Kontakt mehr gehabt, seit Mahit für den Botschafterposten in Teixcalaan ausgewählt worden war und die Imago des Vorgängers in sich trug. Der Grund für den kleinen Bruch zwischen ihnen war ebenso offensichtlich wie kleinlich. Mahit bedauerte es, konnte aber nichts mehr dagegen tun, es sei denn, sie schickte aus dem Zentrum des Imperiums, das sie und Shrja unbedingt hatten besuchen wollen, einen Brief mit einer Entschuldigung. Höchstwahrscheinlich würde er nichts ändern.

Die Planetenstadt kam näher, sie füllte jetzt den ganzen Horizont aus. Eine riesige Krümmung, in die Mahit hineinstürzte. An Yskandr gewandt, dachte sie: Ich bin jetzt die Botschafterin. Ich könnte etwas Bedeutungsvolles sagen, sofern ich es will.

<Du sprichst richtig>, antwortete Yskandr. Es war die Art Kompliment, mit der die Teixcalaaner ein Kleinkind bedachten.

Die Schwerkraft erfasste das Beiboot und kroch durch Mahits Oberschenkel und Unterarme bis in die Knochen. Sie hatte das Gefühl zu rotieren, und ihr wurde schwindlig. Unter ihr spannten sich die Netze des Raumhafens. Einen Moment lang fürchtete sie, sie würde stürzen und auf die Oberfläche des Planeten prallen, um als breiiger Klecks zu enden.

<So habe ich es auch empfunden>, gestand Yskandr in der Sprache der Station, die Mahits Muttersprache war. <Mahit, fürchte dich nicht. Du stürzt nicht. Es ist der Planet.>

Der Raumhafen fing sie mit einem kaum wahrnehmbaren Ruck ein.

Sie hatte Zeit, sich zu sammeln. Es dauerte eine Weile, bis ihr Beiboot in die lange Warteschlange ähnlicher Fahrzeuge eingereiht war. Sie glitten auf einem riesigen Förderband dahin, wurden identifiziert und einem Flugsteig zugeordnet. Wie eine Studentin im ersten Semester, die sich auf eine mündliche Prüfung vorbereitete, probte Mahit im Kopf, was sie den Bürgern des Imperiums sagen würde. Im Hinterkopf summte aufmerksam die Imago. Hin und wieder bewegte Yskandr ihre linke Hand und tippte mit den Fingern auf die Gurte. Die nervöse Geste einer anderen Person. Mahit wünschte, sie hätten mehr Zeit gehabt, sich aneinander zu gewöhnen.

Leider hatte sie sich bei der Implantation der Imago nicht dem üblichen Verfahren unterziehen, sich nicht unter strenger Überwachung der Psychotherapeuten auf Lsel ein ganzes Jahr oder länger mit einer Integrationstherapie vorbereiten können. Sie und Yskandr waren gerade erst drei Monate zusammen, und jetzt näherten sie sich dem Ort, an dem sie sogar zusammenarbeiten mussten – als eine einzige Person, die aus einer Erinnerungsreihe und einem neuen Wirt bestand.

Eines Tages war die Rote Frucht des Aufstiegs eingetroffen und in einen parallelen Orbit um die Sonne der Lsel-Station eingeschwenkt. Die Kommandantin hatte verlangt, einen neuen Botschafter nach Teixcalaan mitzunehmen, sich jedoch geweigert zu erklären, was mit dem letzten passiert war. Mahit war sicher, dass es im Rat von Lsel ausgiebige Diskussionen darüber gegeben hatte, was und wen man schicken und wie nachdrücklich man Aufklärung verlangen wollte. Eines jedoch wusste sie genau: Sie zählte auf der Station zu dem sehr kleinen Kreis von Menschen, die für diese Aufgabe alt genug waren, zugleich aber auch jung genug, um noch nicht einer Imago-Reihe beigetreten zu sein. Zudem hatte sie, wie nur wenige andere, die passenden Fähigkeiten erworben und die richtige Ausbildung genossen, um als Diplomatin eingesetzt zu werden. In dieser kleinen Gruppe wiederum war Mahit die Beste gewesen. Ihre Noten bei den Imperialen Prüfungen in der teixcalaanischen Sprache und Literatur konnten sich mit denen jedes Bürgers des Imperiums messen, worauf sie stolz gewesen war. Das erste halbe Jahr nach den Prüfungen hatte sie sich vorgestellt, sie würde eines Tages im mittleren Alter, wenn sie ihren Platz gefunden und genug Erfahrung gesammelt hatte, die Stadt erkunden und die Salons aufsuchen, die den Nichtbürgern in der betreffenden Saison gerade zugänglich waren, um Informationen für denjenigen zu sammeln, mit dem sie nach ihrem Tod die Erinnerungen teilen würde.

Nun kam sie früher als erwartet in die Stadt, und wichtiger als alle teixcalaanischen Prüfungen waren ihre Werte beim Imago-Eignungstest, der für diesen besonderen Einsatz grün, grün und nochmals grün gezeigt hatte. Ihre Imago sollte Yskandr Aghavn sein, der vorherige Botschafter in Teixcalaan, der jetzt irgendwie unpassend für dieses Imperium geworden war – tot, in Ungnade gefallen oder, sofern er noch lebte, in Gefangenschaft. Mahit hatte von ihrer Regierung die Anweisung bekommen, genau zu ermitteln, was mit ihm schiefgelaufen war – und als Hilfe trug sie seine Imago in sich. Er – oder wenigstens die letzte verfügbare, fünfzehn Jahre alte Version seiner Persönlichkeit – war der beste Fremdenführer am teixcalaanischen Hof, den Lsel ihr mit auf den Weg geben konnte. Nicht zum ersten Mal fragte Mahit sich, ob ein Yskandr in Fleisch und Blut auf sie wartete, wenn sie ausstieg. Sie war nicht sicher, was einfacher wäre – einem in Ungnade gefallenen Botschafter zu begegnen, einem Konkurrenten, den sie aber vielleicht noch retten konnte, oder niemanden vorzufinden, was bedeutete, dass er gestorben war, ohne einem jüngeren Menschen schenken zu können, was er im Laufe seines Lebens gelernt hatte.

Der Imago-Yskandr in ihrem Kopf war kaum älter als sie selbst. Einerseits half es dabei, Gemeinsamkeiten zu finden, andererseits war es unbehaglich. Die meisten Imagos waren ältere Menschen oder die Opfer vorzeitiger Unfälle. Die letzte Aufzeichnung von Yskandrs Wissen und Erinnerungen war allerdings entstanden, als er, nur fünf Jahre nach der Ankunft in der Stadt, seinen Posten in Teixcalaan vorübergehend verlassen und Urlaub auf Lsel gemacht hatte. Seitdem waren weitere anderthalb Jahrzehnte vergangen.

Also war er so jung wie sie, und die Vorteile, die eine Integration mit sich gebracht hätte, kamen nicht zum Tragen, weil sie erst so kurze Zeit zusammen waren. Zwischen der Ankunft des Kuriers und der Unterrichtung Mahits, dass sie die nächste Botschafterin werden sollte, waren lediglich zwei Wochen vergangen. Anschließend hatten Yskandr und sie noch einmal drei Wochen Zeit bekommen, um unter Aufsicht der Psychotherapeuten auf der Station zu lernen, in dem Körper zusammenzuleben, der früher ihr allein gehört hatte. Danach die lange, langsame Reise auf der Rote Frucht des Aufstiegs, während diese mit Unterlichtgeschwindigkeit die Distanzen zwischen den Sprungtoren durchmaß, die wie seltene Perlen im teixcalaanischen Raum verteilt waren.

Das Beiboot platzte auf wie eine reife Frucht. Mahits Gurte lösten sich. Mit beiden Händen nahm sie das Gepäck und ging zum Durchlass. Nun betrat sie endlich Teixcalaan.

Der Flugsteig des Raumhafens war ebenso großzügig wie praktisch angelegt. Abriebfester Teppich auf dem Boden, unübersehbare Wegweiser zwischen gläsernen und stählernen Wänden. Exakt mitten im Verbindungstunnel stand eine einzelne teixcalaanische Imperiumsbeamtin mit einem perfekt geschneiderten beigefarbenen Kostüm. Sie war zierlich, schmale Schultern und Hüften, und viel kleiner als Mahit. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der über dem linken Revers drapiert war. Die Trompetenärmel waren am Oberarm leuchtend orange verziert. <Die Farben des Informationsministeriums>, ließ Yskandr Mahit wissen. Die dunkelroten Ärmelaufschläge wiesen sie als offizielles Mitglied des Hofes aus. Über dem linken Auge trug sie einen Cloudhook, ein Minidisplay, auf dem unablässig die Daten des imperialen Informationsnetzwerks liefen. Ihr Gerät war elegant und anmutig wie die ganze Person. Die großen dunklen Augen, die fein gezeichneten Wangenknochen und der schmale Mund waren zierlicher, als es auf Teixcalaan Mode war, doch nach Mahits Stationsmaßstäben war die Frau interessant, wenn auch nicht wirklich hübsch. Höflich fügte die Beamtin vor der Brust die Finger zusammen und neigte vor Mahit den Kopf.

Yskandr hob Mahits Hände, um den Gruß zu erwidern. Mit einem peinlichen Knall ließ Mahit die beiden Reisetaschen auf den Boden fallen. Sie erschrak. Seit ihrer ersten gemeinsamen Woche war ihnen kein solcher Fehler unterlaufen.

Verdammt, dachte sie und hörte Yskandr im gleichen Moment sagen: <Verdammt>. Auch die Überschneidung war nicht gerade beruhigend.

Die sorgfältig eingeübte neutrale Miene der Beamtin änderte sich nicht. »Botschafterin, ich bin Drei Seegras, asekreta und Patrizierin Zweiter Klasse. Es ist mir eine Ehre, Sie auf dem Juwel der Welt zu empfangen. Auf Befehl Seiner Imperialen Majestät Sechs Vektor diene ich Ihnen als Kulturreferentin.« Es gab eine lange Pause, bis die Beamtin leise seufzte und fortfuhr: »Benötigen Sie Hilfe mit Ihren Habseligkeiten?«

»Drei Seegras« war ein altmodischer teixcalaanischer Name. Der numerische Teil war niedrig, und das Nomen war der Name einer Pflanze, auch wenn es eine war, von der Mahit noch nie in dieser Form gehört hatte. Die Eigennamen aller Teixcalaaner beruhten auf Pflanzen, Werkzeug oder unbelebten Objekten, aber die meisten Pflanzennamen bezogen sich auf Blumen. »Seegras« war bemerkenswert. Asekreta bedeutete, dass sie nicht nur dem Informationsministerium angehörte, wie schon ihr Anzug verriet, sondern auch eine ranghohe ausgebildete Agentin war. Zudem bekleidete sie den höfischen Titel einer Patrizierin Zweiter Klasse – eine Adlige, aber nicht sehr bedeutend oder wohlhabend.

Mahit beließ die Hände in der Geste, zu der Yskandr sie geformt hatte. So gehörte es sich, ganz egal, wie wütend sie über das Eingreifen ihrer Imago war. Sie verneigte sich. »Botschafterin Mahit Dzmare von der Lsel-Station. Zu Ihren Diensten und denen Seiner Majestät, möge seine Regentschaft einen strahlenden Glanz in die Leere bringen.« Da dies ihr erster offizieller Kontakt mit einer Angehörigen des teixcalaanischen Hofes war, benutzte sie den Ehrentitel, den sie zusammen mit Yskandr und der Regierung auf Lsel sorgfältig eingeübt hatte. Der »strahlende Glanz« war in Die Geschichte der Expansion, zugeschrieben Pseudo Dreizehn Fluss, der Beiname der Imperatorin Zwölf Sonneneruption. Es war der älteste Bericht über das Wirken der Imperatoren im Sektor der Stationen. Indem sie diesen Ehrentitel jetzt benutzte, bezeugte Mahit einerseits ihre umfassende Bildung und ihre Achtung vor Sechs Vektor und dessen Amt, während »die Leere« sorgsam jede Anspielung auf die Möglichkeit umging, Teixcalaan könne Anspruch auf den Raum der Stationen erheben, der ja genau genommen gar kein leerer Weltraum war.

Es war schwer zu erkennen, ob Drei Seegras die Anspielungen erfasste. Sie wartete geduldig, während Mahit ihr Gepäck aufhob, dann sagte sie: »Halten Sie die Sachen gut fest. Sie werden in der Angelegenheit des vorherigen Botschafters dringend im Justizministerium erwartet und müssen möglicherweise unterwegs viele andere Leute begrüßen.«

Schön. Mahit wusste nun, dass sie Drei Seegras’ Fähigkeit, spitze Bemerkungen zu machen, und die Klugheit der Frau nicht unterschätzen durfte. Sie nickte und folgte sofort, als sich die Kulturreferentin abrupt umdrehte und durch den Tunnel vorausging.

<Du darfst keinen von ihnen unterschätzen>, warnte Yskandr sie. <Als Kulturreferentin war sie halb so lange, wie du lebst, am Hof. Sie hat sich den Posten redlich verdient.>

Halte mir keine Vorträge, nachdem du mich gerade wie eine tölpelhafte Barbarin hast aussehen lassen.

<Soll ich mich entschuldigen?>

Tut es dir denn leid?

Mühelos konnte Mahit sich seine Miene vorstellen: hochgezogene Augenbrauen, so gelassen wie ein Teixcalaaner. Seine Impulse, gewöhnt an den üppigen Mund, den sie auf Holografien gesehen hatte, zogen ihr die Lippen hoch und öffneten sie. <Ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen wie eine Barbarin fühlst. Das wird dir hier sowieso noch oft genug passieren.>

Es tat ihm nicht leid. Möglicherweise war er ein wenig verlegen, aber falls dem so war, schlug es sich nicht in ihrem endokrinen System nieder.

 

Arkady Martine: „Im Herzen des Imperiums“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 ∙ 608 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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