19. Juli 2023

Herr Xi und die Peking-Enten der Zukunft

In China, das ist eine Tatsache, gehen die Uhren anders

Lesezeit: 4 min.

Neulich begegnete ich einem alten Bekannten, ich will nicht sagen Freund, aber Bekannten eben doch. Er heißt Xi Jinping, ist überzeugter Chinese und macht, glaube ich, in Peking irgendwas mit Medien.

Viele sagen dies oder das zu ihm, „mein guter Freund“ oder „Jinipingi“. Ich nenne ihn meist „Herr Xi“, das klingt ebenso würdig wie höflich, und es passt ja auch.

Jedenfalls, Herr Xi hatte mir eine Pekingente mitgebracht, weil er weiß, dass ich Pekingente liebe. Das dunkle Fleisch, die knusprige Haut, die lecker Pflaumensauce. Dann erzählte er mir, wie üblich, ein Paar Shanghai-Witze. Shanghai ist, ein jeder weiß es, das Ostfriesland der Chinesen. Man könnte auch sagen, Ostfriesland ist das Shanghai Europas – man könnte, tut es aber nicht.

Er fragte mich dies und das, und ich fragte ihn dies und das. Irgendwie, ich weiß nicht wie, kamen wir auch auf Odessa zu sprechen. Odessa?, fragte er. Mir kein Begriff.

Doch, doch, sagte ich, etwas verwundert. Odessa. Diese Hafenstadt in der Nähe von Russland.

Russland?, fragte er und bewegte das Wort im Mund wie, sagen wir mal, einen Pfirsichkern, den man unverhofft in der Pflaumensauce gefunden und auf den man eben schwungvoll gebissen hat. Herr Xi hat, nebenbei, ein mächtig schönes Gebiss.

Ja, sagte ich. Russland.

Er schüttelte bedauernd den Kopf. Nein, sagte er, da klingelt bei mir nichts.

Liegt zwischen China und Polen, sagte ich, ohne belehrend klingen zu wollen. Er wird nicht gerne belehrt, und wenn manche ihn mit Winnie dem Puh-Bären vergleichen, verdrießt ihn dies sehr. Mich würde das nicht verdrießen, aber ich bin ja auch nicht Herr Xi und stecke also auch nicht in dessen Haut.

Zwischen China und Polen?, fragte er.

Exakt, sagte ich und nickte aufmunternd.

Ach, sagte er. Kann sein, kann sein nicht. Wie geht es der Gattin?

Danke der Nachfrage, sagte ich. Wir haben ein neues Fahrrad.

Fahrräder sind gut, sagte Herr Xi. In der chinesischen Nationalhymne heißt es ja auch: „There are ten million bicycles in Beijing/That´s a fact/It´s a thing we can´t deny.“

Nine, korrigierte ich, nine million, nicht ten.

Sind wieder mehr geworden, sagte Herr Xi. Vorwärts immer, Rückwärtsgang nimmer. Wir halten unsere Hymne auf dem Laufenden.

Ich sagte: Außerdem ist das gar nicht die chinesische Nationalhymne, sondern ein Hit von Katie Melua.

Ja, kann auch sein, räumte Herr Xi ein und tunkte einen Happen Entenknusperhaut in die Pflaumensauce. Was denn für ein Fahrrad?

Ein grünes, sagte ich.

Er nickte verständnisinnig. Mit Satteltasche?

Versteht sich, sagte ich. Und einer schweren, schweren Stahlkette gegen Diebe.

Diebe sind fies, sagt er. In China werden Fahrraddiebe gehängt.

Echt jetzt?, fragte ich.

Er lachte schallend und rief: reingefallen! Nein: sie werden gevierteilt, in ein Umerziehungslager geschickt und nach Tianzhu in ein Postamt versetzt, wo es keine Briefmarken gibt und keine Briefkästen. Nichts, gar nichts gibt es da, nur den durchsichtigen Himmel und hin und wieder einen Yakfurz.

Ich schüttelte missbilligend den Kopf. Man soll Menschen nicht vierteilen, nicht einmal Fahrraddiebe.

Warte, das schreibe ich auf, sagte Herr Xi. Er zog ein Notizbüchlein aus seiner Jackentasche, ein schwarzes Moleskinbüchlein, schlug es auf, hatte hastunichtgesehen einen Bleistiftstummel in der schriftführenden Hand, leckte die Spitze kurz an und notierte: „Menschen nicht vierteilen!“ Dann sagte er: Ist gebongt.

Wir plauderten noch ein wenig über die Weltlage. Alain Berset, der Bundespräsident der Schweiz? Langläufer, habe viel um die Ohren, seit die Schweiz zu einer Filiale der UBS geworden sei. Xavier Bettel, der Premierminister von Luxemburg? Seine Augen leuchteten: Mein großes Vorbild! Fachmann für See- und Kirchenrecht, mutig! Ich bewundere ihn sehr und habe sogar eine Autogrammkarte von ihm. King Charles? He is such a funny thing, radebrechte Herr Xi, und weiter: Sein königliches Herz gehört bekanntlich der Orthodoxie, Athos, die Ikonen und so weiter. Jetzt muss der arme Kerl den Obermufti der Anglikaner geben. Aber er wird sich denken: Anglikaner, Schmanglikaner – im gleißenden Licht der Gottesmutter verblassen die Konturen zwischen den Glaubensrichtungen und Denominationen.

Zum Abschied schenkte Herr Xi mir etwas: eine Maneki-Neko, eine Winkekatze aus solidem Kryptonit, verziert mit Intarsien aus Obsidian und Jade, es schimmerte wie ein Hot Wheel Automodell der 1970er-Jahre. Der linke Arm bewegte sich dank Sonnenkollektor auf und nieder. Diese Chinesen!, durchfuhr es mich.

Ich postierte die Winkekatze auf der Fensterbank. Herr Xi ging davon; sie winkte ihm noch eine ganze Weile nach. Täuschte ich mich, oder wurde ihr Grinsen breiter mit jedem Schritt, den Herr Xi ins Ungefähre der Dämmerung tat?

Fragen über Fragen.

Wird die Zukunft chinesisch sprechen? Portugiesisch mit brasilianischem Akzent? Wird sie nach Kaffee schmecken oder Safranreis mit indischem Curry?

Ich fragte Chat GPT; sie schrieb mir: „What the fuck? Who cares?“ Ganz befriedigend finde ich die Auskünfte der KI noch nicht.

Am Abend hielt, da die Sonne versunken, die Winkekatz endlich inne. Ich öffnete das Fenster und meinte, in der Ferne das Klingeln der im Sandsturm verlorenen Fahrräder Pekings zu hören, ein ganz feines Knirschen auch, den Wüstensand. In eben dieser Ferne glaubte ich, tibetanische Wimpel von himalayahohen Schnüren wehen zu sehen, die Farben verwittert. Ich stellte mir vor, wie in China auf einem Teich die Enten gründeln, während von den Bäumen reife Pflaumen tropfen, bereit, ihren Dienst in würziger Tunke zu tun. Ob die Enten diesen Zusammenhang sehen?

Ach, wer sieht schon Zusammenhänge.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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