6. August 2019 2 Likes

„Ich ziehe noch immer die Großstadt vor.“

Im Gespräch mit Seth Fried, Autor von „Der Metropolist“

Lesezeit: 6 min.

Der Amerikaner Seth Fried (im Shop) ist ein Autor und Humorist, dessen witzige Texte unter anderem im „New Yorker“ und in „Vice“ erscheinen. In seinem Science-Fiction-Romandebüt „Der Metropolist“ geht es um die Stadt von Morgen. Im Buch arbeitet der regelversessene, ordnungsliebende Vorzeigebürokrat Henry Thompson im Bundesamt für kommunale Infrastruktur, das Städte reguliert und optimiert. Zusammen mit der exzentrischen künstlichen Intelligenz OWEN, die durch ein fortschrittliches Interface in die Wirklichkeit projiziert wird und mit dieser interagiert, spürt Henry einer Verchwörung nach, die nicht nur das BKI bedroht, sondern auch Metropolis, die fantastischste und modernste Stadt der USA. Im Interview spricht Seth Fried über seinen Roman, schlanke Bücher, Drohnen, künstliche Intelligenz und das Leben in der Großstadt.

 


Seth Fried. Foto © Julia Mehoke

Hallo Seth. Was hat dich zum Schreiben von „Der Metropolist“ inspiriert?

Ich zog nach New York, nachdem ich den Großteil meines Lebens in Ohio gelebt hatte, einem weit weniger dicht besiedeltem Staat im Mittleren Westen der USA. Die Stadt Metropolis beruht also darauf, wie New York meine Vorstellungsgraft gefangen genommen hat, als ich hierher kam. Ich hatte die Idee, Henry zu einem leidenschaftlichen Außenseiter zu machen, weil ich mich in Relation zu New York selbst so sehe, auch nach den acht Jahren, die ich hier lebe. Meine prägenden Jahre verbrachte ich an einem Ort, der völlig anders ist, sodass ich mich an den meisten Tage mehr wie ein Student der Stadt fühle, und weniger wie ein unbefangener Teilnehmer.

Sind Beamte die unbesungenen Helden und die Rädchen, die unsere Welt am Laufen halten, oder eher der zurecht viel gescholtene Sand im Getriebe?

In einer Ich-Erzählung nimmt man die Welt durch die Augen des Charakters wahr, sowie anhand seiner Überzeugungen und Ansichten. Wegen Henrys Trauma, das der Verlust seiner Eltern mit sich brachte, verlässt er sich für einen gewissen Grad an Normalität und Kontinuität auf Institutionen. Henry, speziell zu Beginn des Buches, hätte an dieser Stelle also eine äußerst leidenschaftliche Meinung. Meine persönliche Meinung stimmt eher mit dem überein, was das Buch gegen Ende sagt. Ich denke, dass selbst dann, wenn du deinen Job mit den besten aller Absichten verrichtest, deine Bemühungen, Gutes zu tun, verdreht und für das Böse eingesetzt werden können, wenn das System, in dem du operierst, systembedingte Ungleichheiten und Ungerechtigkeit enthält.

Hast du selbst schon mal klischeehaftes Beamtenverhalten erlebt?

Definitiv. Ein Teil dessen, was mich zu Henry als Figur hingezogen hat, ist sein Glaube an die Bürokratie als das ultimative Gute in der Welt. Das war für mich unglaublich interessant, weil die meisten von uns Bürokratie immer nur in einem negativen Sinn erlebt haben.

Dein Roman ist für heutige Verhältnisse ungewöhnlich leicht und schlank. Das erinnert durchaus an die Bücher des Goldenen Zeitalters der Science-Fiction …

Dieses Ära und diese Art Bücher inspirieren mich sehr. Heutzutage scheinen dicke Bücher mit vielen Abschweifungen die meiste Aufmerksamkeit zu bekommen. Und es gibt ein paar Bücher, an denen diese Eigenschaften wundervoll sind. Aber es frustriert mich, wenn Leute die Wichtigkeit von Büchern alleine daran festmachen, ob sie dick und schwer sind, was oftmals nur ein Zeichen dafür ist, dass sie nicht ausreichend lektoriert wurden. Wenn „Der große Gatsby“ heute eingereicht werden würde, hege ich in meiner Vorstellung keinen Zweifel daran, das Agenten und Lektoren Fitzgerald bedrängen würden, weitere 40.000 Wörter hinzuzufügen, um das Buch marktfähiger zu machen. An einem gewissen Punkt entwickelten wir eine Abneigung gegenüber schlanken, knackigen Büchern, deren Stärke teilweise darin liegt, dass sie nur so lange sind, wie sie sein müssen.

Ein Konzept, das mir viel bedeutet, ist der Gedanke der Leichtigkeit der Literatur, wie sie Italo Calvino in seinem Buch „Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend“ beschreibt. Calvino stellt heraus, dass viele zwar Leichtigkeit mit Frivolität assoziieren, es jedoch trotzdem eine Leichtigkeit der Substanz gibt. Dieser Gedanke hat meine Wertesetzung als Autor wirklich angeregt. Ich möchte, dass meine Bücher durch gedankenvolle Leichtigkeit definiert werden. Mit „Der Metropolist“ habe ich all meine äußerst ernsthaften Gedanken, Hoffnungen und Sorgen hinsichtlich moderner Städte in ein flottes Abenteuer gepackt, von dem ich hoffe, dass es ebenso unterhaltsam wie bedeutungsvoll ist.

Du schreibst nicht nur Romane und Kurzgeschichten, sondern auch humorvolle Non-Fiction-Texte. Macht das beim Schreiben einen Unterschied?

Meines Erachtens nach kommt es beim Schreiben einfach auf deine Intention an. Bei humorvollen Texten geht es um die Witze, die den Leser lachen lassen, und das ist am Wichtigsten. Bei purer Fiktion versuchst du, etwas zu schreiben, das wahrhaftig und wichtig erscheint ungeachtet der Tatsache, das es buchstäblich nicht wahr ist – in einer Geschichte möchte man, dass der Fluss der Ereignisse deine Figur auf eine Weise herausfordert, die sich bedeutungsvoll anfühlt. In „Der Metropolist“ habe ich versucht, beide Intentionen zu vereinen.

Im Roman ist es nur eine kurze Szene, aber das Bild der Drohnenflotte, die vom Himmel regnet, ist wahnsinnig markant. Denkst du, dass wir das in der Zukunft wirklich erleben werden?

Es scheint ein trauriger aber verlässlicher Aspekt der menschlichen Natur zu sein, dass wir, egal womit wir uns beschäftigen, es schlussendlich zu weit treiben. Allein die Tatsache, dass Drohnen existieren, sagt mir, das sie eine schreckliche Belästigung und Gefahr werden. Doch glücklicherweise sind menschliche Wesen zugleich großartiger Dinge fähig, und damit vielleicht auch Drohnen. Drohnen werden bereits eingesetzt, um medizinische Güter in Gebiete zu bringen, die ansonsten schwer zu erreichen wären. Außerdem nutzt man Drohnen zum Schutz der Umwelt durch Vermessung und Überwachung aus der Luft. Kurz gesagt, wie die Elektrizität oder das Telefon oder Fernsehen oder das Internet, werden Drohnen eine Manifestation sowohl des Besten als auch des Schlimmsten in uns sein.

Die künstliche Intelligenz OWEN ist ein Handlungsträger von „Der Metropolist“. Nutzt du in deinem Alltag persönliche Assistenten mit beachtlicher KI?

Ich schätze, ich bin in gewisser Weise ein Heuchler, da ich über diesen KI-Charakter schrieb, im echten Leben aber noch keinen dieser kleinen Helfer adoptierte. Ich habe sie allerdings auch nicht vorsätzlich gemieden. Ich bin bloß langsam in der Aufnahme.

Wie hoch müsste eine KI entwickelt sein, um dich abzuschrecken?

Der natürliche Verlauf für eine Entität mit künstlicher Intelligenz sollte sein, so viel Intelligenz und freien Willen zu haben wie ein Mensch. Sobald wir dieses Level erreichen, wäre dieses Wesen für mich wie jede andere Person auf dem Planeten. Mein Wohlbefinden oder dessen Ausbleiben würde daher wohl genauso von der Persönlichkeit der KI abhängen wie bei jeder anderen Person. Aber wenn wir über künstliche Intelligenzen als Produkte für Konsumenten reden, würde ich mich nicht wohl fühlen damit, eine Entität zu besitzen, die genauso komplex ist und ihre Freiheit genauso verdient wie ein menschliches Wesen.

Wenn du wählen könntest, wo du 20 Jahre in der Zukunft leben könntest – wo würdest du wohnen? In einer abgelegenen Kleinstadt, in den Suburbs oder in einer Großstadt?

Ich ziehe noch immer die Großstadt vor. Es ist meiner Meinung nach kein Zufall, dass Menschen mit eher offener Gesinnung dazu tendieren, sich in Städten anzusammeln. Da liegt meiner Meinung nach an einer ursprünglichen Offenheit, die dich hierher bringt. Die Stadt nährt diesen Impuls weiter, indem sie dich in die Nähe von Menschen bringt, die anders sind als du. Diese Nähe und diese Art von Aufdringlichkeit helfen dir, als Person zu wachsen und die gedanklichen Fallen zu vermeiden, wie Panikmache zu folgen oder in Anderen Sündenböcke zu suchen. Es macht dich weniger empfänglich gegenüber jenen Personen, die versuchen, die Abtrennung zwischen dir und deinem Nachbarn zu nutzen. Ich werde also mein Bestes geben, weiter in der Großstadt zu wohnen, denn ich denke, dass es als Mensch und als Autor meine Pflicht ist, zu wachsen und mich zu verändern, für ein besseres Verständnis meiner Mitmenschen.

Seth Fried: Der Metropolist • Aus dem Englischen von Astrid Finke • Heyne, München 2019 • 318 Seiten • E-Book: 9,99 Euro (im Shop)

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