11. August 2022

„Stray“: Ein unvergesslicher Katzentrip

Das Adventure von Blue Twelve Studio im Test

Lesezeit: 4 min.

Aufblende, ein kleiner, schemenhafter Katzenkopf wird sichtbar, umringt von drei weiteren Artgenossen in einem Kanal. Friedlich geht es zu, während wir die Steuerung unseres samtpfotigen Protagonisten erlernen, uns an unsere Freunde anschmiegen, unsere Krallen wetzen oder uns zu einem Schläfchen zusammenrollen. Doch Futter steht nicht einfach so herum und so begeben wir uns mit unserer Katzengang auf die Jagd und entdecken die Umgebung. Die ist geprägt von rostigen Rohren und viel Beton, allerdings längst von der Natur zurückerobert und eingegrünt. Schon mit einfachen Tastenfolgen rennen, hüpfen, klettern und maunzen wir elegant durch die menschenverlassene Gegend und fühlen uns frei.

Doch es liegt in der Natur eines Videospiels uns nicht allzu lange in diesem utopischen Zustand zu belassen und so sorgt ein tragischer Zufall dafür, dass wir von unserer Gruppe getrennt werden und allein auf uns gestellt sind. Das Szenario wird schnell ein anderes, denn nun sind wir in einer ausgestorbenen, sehr japanisch anmutenden Stadt voller Neonleuchten, Kabeln und Dreck unterwegs. Doch auch hier zeichnet sich unser Held durch eine Eleganz in seinen Bewegungen aus, die sofort zu fesseln vermag. Die Steuerung, man muss das wirklich betonen, geht kinderleicht wie intuitiv von der Hand, und motiviert stets dazu, flink von einem Vorsprung zum nächsten zu huschen, um herauszufinden, wo wir uns nun eigentlich genau befinden und was die Story für uns bereithält.

Denn so ganz allein sind wir dann doch nicht. Irgendwer scheint uns mit in die Umgebung eingeleuchteten Botschaften zu leiten und uns begegnen irgendwann auch seltsame kleine Wesen (Zurks genannt), die zwar wie niedliche einäugige Schweinchen aussehen, es aber in ihrer unermesslichen Masse fresstechnisch auf uns abgesehen haben, sodass wir nur die Flucht per gehaltener Renntaste antreten können. Nach gut einer Stunde machen wir dann in einer Wohnung Bekanntschaft mit der kleinen Drohneneinheit B-12, die uns freundlich gesonnen ist und uns in den folgenden Kapiteln des rund 6-7 Stunden langen Abenteuers begleiten wird.

B-12, fast schon in Star Wars-Manier, kommuniziert, wie alle Bewohner dieser Welt, durch eine piepsige Sprache, die sich uns dank (wahlweise auch guter deutscher) Bildschirmtexte erschließt, wobei unser Katzenheld bis auf sein Maunzen stumm bleibt. Zusammen mit B-12 geht es nun weiter durch verschiedene Gebiete wie die Kanalisation, eine frei erkundbare Slumgegend, einen moderneren Stadtkern inklusive Bars, Geschäften und einer Fabrik, ein Hochhaus oder ein altes Gefängnis, aus dem wir ausbrechen. Dabei müssen wir nicht nur unser Geschick beim Überwinden von Abgründen (ohne herunterfallen!) und Hindernissen beweisen, sondern auch Rätsel lösen, indem wir beispielsweise bestimmte Gegenstände organisieren, um sie für andere Objekte einzutauschen oder damit Figuren abzulenken.

Auch richtige Action ist manchmal gefragt, wenn uns beispielsweise die Zurks auf den Leib rücken und wir sie mithilfe einer leider nur kurzzeitig einsetzbaren Waffe ausschalten, gleichzeitig aber auch aktiv vor ihnen fliehen müssen. Im späteren Verlauf werden wir ebenfalls von Drohnen mit Lasern verfolgt, allerdings geht es hier eher darum, an den Feinden vorbeizuschleichen oder sie sogar in Räumen einzusperren. Bei alldem ist uns B-12 auf Knopfdruck eine wichtige Hilfe, da er uns Tipps gibt, Hacks vornimmt oder unsere eingesammelten Items analysiert. Wer will, kann neben der Kernstory auch kleinere Zusatzgegenstände sammeln. Wirklich notwendig ist das jedoch nicht und der Kern des Geschehens ist eindeutig an der dichten Atmosphäre dieser dystopischen Zukunftswelt ausgerichtet.

Zu der tragen neben den oft sehr düsteren Gegenden speziell die letzten Bewohner bei, die als eine Art Maschinenmenschen anzusehen sind. „Echte“ Menschen hat die Welt von Stray nicht mehr zu bieten, was aber eben auch schon ein Hinweis darauf ist, warum die Welt so ist wie sie ist. Dennoch geht es im Verlauf der Handlung immer sehr menschlich zu, da die Robomenschen alle Facetten menschlichen Handeln und Empfindens abdecken und für viele kuriose, aber auch traurige bis warmherzige Momente sorgen.

Besonders hervorzuheben ist bei Stray in Sachen Gameplay vor allem die Abwechslung. Jedes Kapitel spielt sich doch etwas anders und die Macher haben sehr viel Wert daraufgelegt, ruhige Passagen voller Entdeckung mit actionreicheren oder rätsellastigeren aufeinanderfolgen zu lassen. Richtig schwierig fällt kein Kapitel aus, sodass selbst ungeübtere Katzenfans den sehr stimmigen Abschluss des Adventures erreichen müssten. Ein zweiter Durchgang bietet sich nach einigen Monaten sicher wieder an; zu sehr bleibt die melancholisch dystopische Welt von Stray mit ihrer dezenten Symbolik in Erinnerung. Man muss allerdings darauf gefasst sein, keine fröhliche Geschichte zu erleben und auch die Technik erweist sich bei genauerer Betrachtung als leicht angestaubt, obwohl das fantastische Design dies bestmöglich kaschiert. Der meist dezente Elektrosound passt im Übrigen ebenfalls sehr gut zum Rest des Geschehens.

Es macht einfach Freude, wie gut es den Entwicklern insgesamt gelungen ist, einen glaubhaften Protagonisten zu erschaffen, der jedes Tierfanherz im Sturm erobert. Ob wir einfach nur an Teppichen kratzen (inklusive sichtbarer Schäden), elegant herumhopsen oder uns auf dem Bauch einer Figur zu einem Katzschläfchen einfinden – es sind diese vielen kleinen Details, die Stray neben seinem Artdesign und seiner Abwechslung strahlen lassen. Wer eine Sonykonsole oder PC hat, sollte sich daher dieses außergewöhnliche Spiel digital für aktuell 30 Euro gönnen. Man vergisst es definitiv nicht so schnell wie manch anderen Genrekollegen – versprochen.

Fazit

Dystopisches, leider etwas zu kurzes Katzen-Abenteuer, das besonders mit viel Liebe zum Detail, famosem Design und sehr eingängiger Spielbarkeit überzeugt.

Stray • Blue Twelve Studio • Adventure • PS5/PS4/PC

Abb. © Annapurna Interactive

 

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