24. Oktober 2022

„Scorn“: Schöne grausige H. R. Giger-Welt

Der ungewöhnliche Genremix macht leider nicht alles richtig

Lesezeit: 4 min.

Eigentlich könnte es mit Scorn so einfach sein. Dessen Design ist nämlich eine grandiose Hommage an das bizarre Alienwerk des Schweizer Künstlers H. R. Giger und verströmt über weite Strecken bei Setting wie Figuren genau den Charme der berühmten Filmvorlage, ohne in Sachen Story Teil dieses Universums zu sein. Vielmehr beschreitet Scorn (seit Mitte Oktober für rund 40 Euro auf Xbox Series X und PC erschienen) über das Design hinaus eigene Wege und präsentiert sich als Mix aus Rätsel-Adventure und Ego-Shooter, bei dem bis zum Schluss viele Fragen offenbleiben und man selbst dazu aufgerufen ist, sich die sehr groben Handlungsfragmente irgendwie zusammen zu puzzeln.

Das beginnt bereits mit der „Geburt“ unseres Charakters, der sich aus einem Ei perlen darf, ehe er sich durch eine von Blut, Sehnen, Skeletten und Gedärm geprägten Welt seinen Weg bahnt. Wie bei Alien wirken die dunklen Gänge und deren Biomechaniken wie ein einziger Organismus, der nur darauf wartet, uns mit seinen Gefahren das Adrenalin durch den Blutkreislauf zu pumpen. Doch Scorn verweigert sich einer plumpen Horrordramaturgie und setzt vielmehr darauf, verstörende Momente (Stichwort weitere Lebewesen) und dezente Gameplayeffekte auf uns wirken zu lassen. Wenn wir beispielsweise einen Hebel bedienen, der mit seinen Adern mit unserer Hand zu verschmelzen scheint, sorgt dies sicher bei vielen SpielerInnen für ein (angenehmes?) Schaudern.

Im Kern ist Scorn somit passenderweise auf Exploration ausgelegt und es ist dabei nicht immer leicht zu durchschauen, wie wir Hindernisse auf unserem insgesamt doch recht geradlinigen Pfad überwinden. So erwarten uns zwar einige genretypische Verschiebe- und Schaltermechaniken, um Brücken zu erzeugen oder Tore zu öffnen, doch immer wieder bringen die Macher ebenso Kopfnüsse mit ein, die nur mit einem echten Einlassen auf die innere Verfasstheit der Welt zu klären sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es kann schon einmal notwendig sein, sich buchstäblich irgendwo einen Arm zu borgen. So präsentiert sich uns eine Architektur, die teils wunderschöne, größtenteils aber unfassbar eklige Aspekte in sich birgt, was uns stets die Ambivalenz dieses Spielerlebnis intensiv spüren lässt.

Was die reine Storykampagne innerhalb ihrer gut 8 Stunden Spielzeit allerdings maßgeblich erschwert, ist das zunehmend sehr ähnliche Aussehen der Gebiete und Gänge, sodass man sich oft genug mangels weiterer Hilfestellungen fragen muss, ob man hier nicht gerade eben schon war und wo es eigentlich weitergeht. Dieser Mangel an Unterstützung betrifft ebenso alle weiteren Elemente des Spiels, was sicher zur Steigerung der ohnehin dichten Atmosphäre beiträgt, jedoch oft genug einfach nur nervt. Dies ist sicher ein Manko, das SpielerInnen ganz klar im Hinterkopf haben sollten, wenn sie sich an Scorn heranwagen. Geholfen oder geführt wird hier gar nicht.

Damit kämen wir zum nächsten Problem. Denn wer sich nun fragt, wie Scorn seine Shooter-Elemente einbaut, dem sei gleich entgegnet: sehr ernüchternd. Erst nach Stunden erhalten wir eine Art Luftdruckpistole, deren Handhabung sich mehr als schwierig, unpräzise und uneffektiv, wenn auch für Setting und Situation irgendwie als passend herausstellt. Gegen Ende reichen uns die Macher dann sogar eine „richtige“ Wumme, deren lange Nachladezeit aber im Ansturm vieler Feinde so frustrierend ausfällt, dass man diesen Genreaspekt am liebsten in die Tonne treten will. Zu allem Übel glänzen die Rücksetzpunkte nicht mit großer Fairness und als wäre das nicht unnötig genug können bereits laufende Cutscenes nicht übersprungen werden (Warum, liebe Macher, warum?).

Technisch kann man dem serbischen Studio Ebb hingegen wiederum kaum bis keinen Vorwurf machen. Auf PC zeigt sich Scorn in all seinen widerlichen, gut programmierten Details konstant flüssig und gerade die Nebeleffekte wissen zu überzeugen. Soundtechnisch herrscht dazu ein gepflegter Minimalismus vor, der sich dem Geschehen wunderbar anpasst und die angespannte Stimmung prickelnd untermalt.

Letztlich muss man diesen Titel wohl mehr als interaktives Artworkerlebnis denn als gut funktionierendes Spiel begreifen. Die kryptische Story, die im Übrigen ohne Dialoge oder Texte auskommt, fesselt mithilfe der Spielwelt sicher all jene, die sich für Gigers Werk begeistern (obwohl speziell das Gegnerdesign in Scorn ebenfalls abwechslungsreicher gestaltet sein hätte können), während SpielerInnen, auf die dies nicht zutrifft und die einfach nur einen guten Horrormix aus Adventure und Shooter erwarten eher enttäuscht sein dürften.

Fazit

Grandioses Design, eine in sich konsequente Inszenierung und eine äußerst kryptische Story auf der einen, ein spielerisch zähes und zuweilen unnötig frustrierendes Erlebnis auf der anderen Seite. Da war mehr drin.

Scorn • Ebb Studio • Ego-Shooter/Adventure • Xbox Series X/PC

Abb. © Kepler Interactive

 

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