10. März 2024 1 Likes

„Sultanas Traum“ – Prachtvoll animierte Sinnsuche

Indische Utopie von 1905 als zeitloser Sehnsuchtsort

Lesezeit: 3 min.

Ein Blick in die tiefe Vergangenheit offenbart die Tristesse der Gegenwart: Wie man im Laufe von „Sultanas Traum“ erfährt, wurde Barbieland bereits 1905 herbeigesehnt. Die 1880 geborene und 1932 verstorbene feministische Autorin, Sozialarbeiterin und politische Aktivistin Rokeya Sakhawat Hossain aus Britisch-Indien, bis heute in Bangladesh mit einem Feiertag geehrt, fächerte in diesem Jahr mit der titelgebenden, auf englisch geschriebenen Novelle die ideale Zukunftswelt für Frauen auf und die heißt Ladyland.


„Sultanas Traum“ von Rokeya Sakhawat Hossain ist beim Verlag The Grüne Kraft erhältlich

Im Ladyland haben die Frauen die Hosen an und die Männer dürften – anders als in Greta Gerswings pinkenem Blockbuster-Konsens vom letzten Jahr – nicht mal mehr als hübschen Blickfang herhalten, sondern werden komplett weggesperrt. Die Frauen haben die männerfreie Gesellschaft genutzt, um sich so richtig zu entfalten: So muss dank hochentwickelter Technik nicht mehr als zwei Stunden am Tag gearbeitet werden, die Autos fliegen, zudem können weibliche Wissenschaftlerinnen sogar das Wetter kontrollieren, ebenso wurde die Solarenergie erfunden. Natürlich gibt’s auch keine Verbrechen, da Männer komplett für alles Unbill dieser Welt verantwortlich waren.

Ladyland ist ebenso Sehnsuchtsort für Inés, eine junge spanische Künstlerin und Alter Ego für Regisseurin Isabel Herguera, die in einem Buchladen in Indien auf Hossains Roman stößt, gerne mehr über das Leben der progressiven Autorin erfahren möchte und sich auf eine Reise durch Indien begibt, die ebenso viel mit ihr selbst zu tun hat.

„Sultanas Traum“ ist inhaltlich wie visuell äußerst voll gepackt: Hergueras Film erzählt von Inés Sinnsuche, gibt einen Einblick in Hossains Leben und fächert die Utopie ihrer Geschichte auf und das auf künstlerisch verschiedene Weise: Die Rahmenhandlung wurde mit einem speziellen Aquarellstil realisiert, der sich durch Hintergründe auszeichnet, die nur in Umrissen zu erkennen sind. Für die Szenen, die vom Leben der feministischen Vordenkerin erzählen, kam eine an Lotte Reiniger erinnernde Schattenschnitttechnik zum Einsatz, für die Hintergründe auf Seidenpapier gemalt und von hinten beleuchtet wurden, das an Ornamenten reiche „Ladyland“ entstand mittels Henna-Zeichnungen.

Während der wunderschön anzuschauenden, aber mäandernden Odyssee hallt die über 100 Jahre zurückliegende Vergangenheit unangenehm in der Gegenwart nach: Dank Frauen wie Hossain wurde sicherlich das ein oder andere erreicht, es wurde aber ebenso bereits damals „Gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung“ gefordert, was bei uns erst letztes Jahr erneut großes Thema war und wenn in einem Abschnitt zur Geschichte des Ladylands sarkastisch erläutert wird, dass das „Wort Krieg unsere Männer in einen Freudentaumel versetzte“ und diese „ohne vorher zweimal oder wenigstens einmal zu überlegen“ sofort losstürmen, um sich die Köpfe einzuhauen und alle um sich herum mit in einen Abgrund der Gewalt zu reißen … da muss man sich nur mal die aktuellen Konfliktherde anschauen. Spoiler: Es sind keine Frauen, die sich durch ausgeprägte Kriegslüsternheit auszeichnen, sondern ausschließlich Männer.

Aber natürlich ist da auch deren Alltagsgewalt, die weder an Inés noch an einer indischen Bekanntschaft vorüberging, so trifft die Künstlerin folgende Feststellung: „Einen Ort, wo Frauen sicher sind, gibt es nirgendwo. Weder für Dich, für mich oder irgendeine Frau.“

Herguera hat nicht unbedingt einen subtilen Film gedreht, die feministische Agenda kommt klar zum Ausdruck, er ist aber ebenso wenig einfach ein plumpes Postulat, er hat keine Antworten, fordert nicht, er trifft lediglich die bittere Schlussfolgerung, dass Frauen auf dieser Welt vor allem eins können sollten, vielleicht können müssen: träumen.

Sultanas Traum • Deutschland/Spanien 2023 • Regie: Isabel Herguera • Jetzt im Kino

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