24. Juni 2015 1 Likes

„For me, Dune will be the Coming of a God“

Eine spannende Dokumentation wirft neue Blicke auf die geplatzte „Wüstenplanet“-Verfilmung von Alejandro Jodorowsky

Lesezeit: 4 min.

Die Geschichte ist bekannt: Der chilenische Regieexzentriker Alejandro Jodorowsky erhält in den 1970er Jahren Gelegenheit, Frank Herberts Bestseller „Dune – Der Wüstenplanet“ zu verfilmen – und versammelt kurzerhand von Moebius über Pink Floyd bis hin zu Salvador Dalí die herausragenden Künstler seiner Zeit, um ein Ausnahmewerk sondergleichen in Angriff zu nehmen. Gut vier Jahrzehnte später belegt die auf DVD und BluRay vorgelegte Doku Jodorowsky’s Dune, wie weit das gescheiterte Projekt tatsächlich gekommen ist – und verblüfft mit spektakulären Einblicken.

Jodorowsky wollte mit Dune einen Film machen, der auf die Zuschauer die Wirkung einer halluzinogenen Droge gehabt hätte: „I want to create a prophet to change the young minds of all the world.“ Es ging um künstlerische wie persönliche Entgrenzung und damit um eine Spezialität des charismatischen Schauspielers und Regisseurs, der mit seinen teils mythischen, teils surrealistischen Arbeiten El Topo und Montana Sacra (1970 bzw. 1973; beide in Deutschland bei Bildstörung) zu einer Kultfigur des filmischen Undergrounds geworden war. Als ihm der Produzent Michel Seydoux grünes Licht für ein Projekt seiner Wahl gab, schlug Jodorowsky Dune vor – dabei kannte er das Buch zu diesem Zeitpunkt nur von einer Empfehlung her. Diese Impulsivität ist ebenso typisch für den Regisseur wie seine Neigung, nach spiritueller Bedeutung zu suchen, was ihm dann auch ein Hauptanliegen während der Niederschrift des Drehbuchs war. Bei der Suche nach weiteren Mitstreitern stieß er auf Jean „Moebius“ Giraud, den er sofort für das Vorhaben begeisterte: „That guy is my camera!“ Der Franzose entwarf nicht nur die Figuren, sondern zeichnete in atemberaubender Geschwindigkeit ein aus nicht weniger als 3.000 Einzelbildern bestehendes Storyboard. In Jodorowsky‘s Dune werden die einfachen, aber prägnanten Zeichnungen mehrfach zu kleinen Trickfilmen montiert – neben Moebius‘ detailreich ausgeführten und teilweise unbekannten Kostümbildern der visuelle Höhepunkt der Dokumentation.

Jodorowsky war auch sonst nicht aufzuhalten. Als sich Trickexperte Douglas Trumbull (2001) desinteressiert zeigte, ging Jodorowsky verärgert ins Kino, sah Dark Star – und warb spontan den für die Spezialeffekte zuständigen Dan O’Bannon an. Die Mitglieder von Pink Floyd aßen bei einer Begegnung in London zunächst lieber Hamburger, sagten dann aber doch zu, einen Beitrag zum Soundtrack abzuliefern – schließlich wurde sogar über ein eigenes Konzeptalbum zu Dune nachgedacht. Auch bei der Besetzung war Jodorowsky nicht bescheiden: Der durch die TV-Serie Kung Fu bekannt gewordene David Carradine verdrückte bei der ersten Begegnung Vitamin-E-Kapseln im Wert von sechzig Dollar, akzeptierte aber, Leto Atreides zu spielen; Orson Welles wurde für die Rolle des Wladimir Harkonnen mit dem Versprechen geködert, während der Dreharbeiten Tag für Tag von seinem Lieblingsrestaurant verköstigt zu werden. Salvador Dalí schließlich wollte unbedingt der bestbezahlteste Schauspieler aller Zeiten sein und verlangte für seinen Auftritt als Imperator 100.000 Dollar die Stunde, doch Jodorowsky überlistete ihn, indem er ihm dieselbe Summe pro Minute zusagte – allerdings lediglich für jene Momente, die Dalí auf der Leinwand zu sehen sein würde, und das wären nur wenige gewesen. Der Künstler stimmte zu und wies den Regisseur noch auf den damals weitgehend unbekannten Phantasten H. R. Giger hin, der zur Visualisierung des Harkonnen-Planeten engagiert wurde. Chris Foss, dessen außergewöhnlichen Designs Jodorowsky von Science-Fiction-Taschenbuchcovern kannte, arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits an spektakulären Raumschiffentwürfen für den Film, die zu den besten seiner Karriere zählen.

Aber während Dune zunehmend an Kontur gewann und Jodorowskys Sohn Brontis bereits seit zwei Jahren Kampfsport machte, um sich auf die Rolle des Paul Atreides vorzubereiten, versiegten plötzlich die Geldquellen. Das Vorhaben war zu ambitioniert für Hollywood; kein Studio wollte sich beteiligen, zumal Jodorowsky Kompromisse ausschloss und als wenig berechenbar galt. Der Film wurde in dem Moment gestoppt, als alle Vorarbeiten erledigt waren. Doch Dune hatte – und hat weiterhin – ein Nachleben. Die Beteiligten arbeiteten teilweise erneut miteinander; so war es Dan O’Bannon, der H. R. Giger für Ridley Scotts Meisterwerk Alien (1979) ins Spiel brachte – ein Film, für den auch Moebius Entwürfe beisteuerte. Außerdem scheinen zahlreiche spätere SF-Filme Anleihen bei den Dune-Storyboards genommen zu haben.

Jodorowsky’s Dune ist eine spannende und vielseitige Dokumentation, die zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen lässt – darunter Chris Foss und Dalís Muse Amanda Lear – und ein ebenso rundes wie faszinierendes Bild vermittelt. Kritische Töne – etwa im Hinblick auf den absurd anmutenden Ersatz eines Vollprofis wie Douglas Trumbull durch den Amateur Dan O’Bannon – unterbleiben dabei allerdings genauso wie die Frage, ob Alejandro Jodorowsky wirklich der richtige Mann für Dune gewesen wäre. Seine Filme sind bildgewaltig, visionär und provokant, leiden aber auch unter Langatmigkeit und esoterischem Unfug. So berichtet der Comiczeichner Philippe Druillet in der Doku Moebius Redux, wie er sich anlässlich einer möglichen Mitarbeit bei Dune mit Jodorowsky traf, der Regisseur ihm vor dem Gespräch jedoch zunächst das Tarot legen wollte. Druillet lehnte ab – und wurde sofort verabschiedet.

Trotzdem könnte sich Hollywood gern überlegen, ob es nicht kreativer wäre, dem Ausnahmefilm Dune nun doch eine Chance zu geben, anstatt das x-te Spiderman-Reboot abzunudeln. Bis dahin kann man sich die Doku Jodorowsky’s Dune ansehen – derzeit nur als englisch untertitelte Import-DVD, aber immerhin.

 

Jodorowsky’s Dune Regie: Frank Pavich Sony Pictures Home Entertainment 88 Min. DVD-&-BluRay-Doppelbox Englische und französische Untertitel Region A/1 (USA) 25–40 € (je nach Anbieter)

Frank Herberts Klassiker Der Wüstenplanet erscheint im Januar 2016 als Neuübersetzung.

Eine Übersicht zu den Dune-Verfilmungen gibt es hier.

Quelle Titelbild: sonyclassics.com

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