21. Juni 2019 1 Likes

Black Horses

Amerika, du hast es besser – sagt „Sorry to Bother You“ nicht

Lesezeit: 4 min.

Trotz all der gefühlten Nähe zu unserem amerikanischen Freund, dem transatlantischen Partner, dem großen kulturellen Trendsetter in der westlichen Welt des späten 20. Jahrhunderts, können wir es uns hierzulande nur schwer vorstellen, wie es sein muss, in den USA zu leben. Und zwar nicht erst, seitdem Onkel Donald das Land in ein einziges ideologisches Kriegsgebiet verwandelt hat. Der Orangefarbene und seine lustige Truppe scheinen die der US-Gesellschaft eingeschriebenen Oppositionen lediglich völlig entfesselt zu haben: arm/reich, schwarz/weiß, religiös/erkenntnisorientiert, konservativ/innovativ, defätistisch/utopistisch. Der Kampf der Gesinnungen wird mittlerweile offen auf der Straße ausgetragen, im Schlagschatten des absurden Polit-Theaters sucht ein ganzes Land nach Orientierung.

Cassius Green sucht zunächst mal einen Job. Der Afroamerikaner lebt in Oakland, Kalifornien, und braucht dringend Geld, um seine Schulden zu bezahlen – und vielleicht auch endlich mal aus der Garage seines Onkels auszuziehen, in der er sich mit seiner Freundin Detroit ein längst nicht mehr provisorisches Zuhause eingerichtet hat. Also bewirbt er sich bei der Telefon-Marketing-Firma Regal/View als Verkäufer – und wird trotz gefälschter Qualifikationen eingestellt. Mit seinen Kundengesprächen hat er jedoch nicht besonders viel Erfolg, bis ihm ein schwarzer Kollege rät, am Telefon seine „weiße Stimme“ zu benutzen. Und siehe da: Nachdem er sich als gut gelaunter, selbstbewusster und dominanter „Caucasian“ gibt, geht’s bald steil die Karriereleiter nach oben. Und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf …

Cassius Green ist der Protagonist im Kinodebüt des afroamerikanischen Hip-Hop-Musikers Boots Riley – geboren 1971 als Sohn sozial engagierter Eltern in Chicago, Enkel einer jüdischen Großmutter aus Königsberg und Zeit seines Lebens (u.a. mit The Coup und Street Sweeper Social Club) als politischer Aktivist im Spannungsfeld zwischen Kunst und Agitation unterwegs. Klar, dass sein erster Kinofilm so aussieht, wie „Sorry to Bother You“ eben so aussieht.


Tessa Thompson (rechts) und LaKeith Stanfield in „Sorry to Bother You“

Die Prämisse – ein Schwarzer wird von Weißen nur ernst genommen, wenn er selbst zum Weißen wird (ein Topos, den in der amerikanischen Black Community durchaus umstrittene Figuren wie Will Smith oder der frühe Bill Cosby verkörpern) – ist nur der Beginn einer ganzen Reihe von surrealistischen Ideen; Riley lässt seine Darsteller in diesen Momenten tatsächlich von weißen Kollegen synchronisieren. Damit betont er jedoch nicht nur die Absurdität des Konzepts an sich, sondern setzt den Ton für eine jederzeit kurz vor dem Implodieren stehende Satire auf nichts weniger als die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 3 nach Trump. Ihm geht es buchstäblich um alles: Turbokapitalismus und Arbeitskampf, YouTube-Phänomene, kollabierende Sozialsysteme, Performance-Kunst, mediale Saturierung, Gentechnik. Und Filmtechnik, denn für seine völlig entfesselte Story (bei der man zu keiner Sekunde weiß, welchen Haken sie in der nächsten schlagen wird) macht er sich ein ganzes Arsenal filmischer Ausdrucksmöglichkeiten zunutze, das in seiner Überdrehtheit der Fülle des Stoffs durchaus gerecht wird.

Dabei bleibt er jederzeit schön analog: Von klassischen Kameratricks wie Hitchcocks „Vertigo“-Zoom bis hin zu den spinnerten Pappkarton-Basteleien eines Michel Gondry wirft Riley hier alles in den Ring, was sich mit relativ wenig Budget, großer Kenntnis des Handwerks und vor allem überbordendem künstlerischen Eifer realisieren lässt. Tatsächlich ist das manchmal ein bisschen viel – spätestens, wenn 2,30 Meter große gentechnisch manipulierte Pferdemenschen ins Spiel kommen und Armie Hammer als durchgeknallter Sklaventreiber des 21. Jahrhunderts der ganzen Geschichte die x-te Wendung gibt, lechzt man nach einer kurzen Pause von all dem schrägen Zeug.


Armie Hammer (rechts) und LaKeith Stanfield in „Sorry to Bother You“

Da hilft es, dass Riley in Lakeith Stanfield (Get Out, Atlanta) einen Hauptdarsteller gefunden hat, der mit ständig leicht bekiffter Attitüde als Held wider Willen durch das kunterbunte Chaos schlurft. Eine feine Identifikationsfigur mit klassischer Rise-Fall-Redemption-Kurve – innerhalb dieses filmischen Wirbelwinds tut das wirklich gut. Und Tessa Thompson (Creed, Men in Black: International) als Cassius‘ Künstler-Freundin ist immer wieder toll. Auch der Rest des Ensembles zeigt sehr deutlich, dass Riley nicht nur als findiger Visionär, sondern auch als Schauspieler-Regisseur jede Menge draufhat – vor allem in den absurden Dialogen, die direkt aus der „Chappelle’s Show“ stammen könnten, legen alle Beteiligten ein prima Gespür für Timing und alles was dazugehört an den Tag.

Untermalt von ziemlich weirdem Hip-Hop (teilweise ebenfalls c/o Boots Riley) ist „Sorry to Bother You“ das absolut sehenswerte Kinodebüt eines politisch engagierten afroamerikanischen Filmemachers in Trumps Amerika. Definitiv nichts für nebenbei, in jeder Hinsicht extrem ambitioniert und dadurch naturgemäß ganz schön anstrengend – ob der Film funktioniert, hängt also in erster Linie davon ab, ob man auf so was Bock hat. Aber in Zeiten, in denen lauwarme Horror-Ware wie „Wir“ von Jordan Peele als die Offenbarung des modernen, selbstbewussten schwarzen Kinos gilt, ist es schön, wenn es jemand mal wirklich krachen lässt.

„Sorry to Bother You“ ist auf diversen Streamingseiten verfügbar. Auf Scheibe nur als Import.

Sorry to Bother You • USA 2018 • Regie: Boots Riley • Lakeith Stanfield, Tessa Thompson, Armie Hammer, Steven Yeun, Danny Glover

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