28. März 2014 1 Likes

Groschenheft-Offenbarungen

„Das Imperium des Atoms“ – Cordwainer Smiths Leben als Comic

Lesezeit: 2 min.

Einerseits nervt er bekanntermaßen ein wenig, der Terminus „Graphic Novel“ als Label-artiges Synonym für einen vermeintlich frischen und nie zuvor für möglich gehaltenen Qualitäts- und Seriositätsschub der Kunstform Comic. Andererseits ist die schiere Existenz eines wundersamen Werkes wie „Das Imperium des Atoms“ von Thierry Smolderen und Alexandre Clérisse nicht anders zu erklären als durch den tatsächlich erst in jüngerer Vergangenheit erreichten Durchbruch des Mediums zu einem stofflich und formal prinzipiell unerschöpflichen Ausschöpfens seiner Möglichkeiten.

Eine freie Comic-Adaption von Leben und Schaffen des Politikprofessors, CIA-Mitarbeiters, Kennedy-Beraters, Psychologen und seinerseits Couch-Patienten Paul Linebarger (1913-1966), der unter dem Pseudonym Cordwainer Smith mit seinem ausufernden Geschichtenzyklus über die „Instrumentalität der Menschheit“ (im Shop) einen der eigenwilligsten und empathischsten je erdachten Science-Fiction-Großentwürfe schuf? In munterer Nicht-Linearität erzählt, ganz gemäß der (nicht nur) chronologisch unkonventionellen Poetik seines Gegenstandes, ohne je ins leichtfertig Episodische abzudriften? Vergangenen Zukunfts-Zauber der sowohl literarisch-imaginären als auch technikfortschritts-lebensweltgestalterischen Art zu einer vielstimmigen Grafik modulierend, in der pralle, luftige, schwungvolle und farbsprühende Reminiszenzen an Art decó, Joan Miró, klassische Cartoons, Pulp-Magazin-Illustrationen und Nachkriegs-Werbedesign zu etwas völlig Eigenem verschmolzen werden, ohne ins Sentimental-Nostalgische zu kippen? Zusammengehalten durch das von Comics und Linebarger/Smith geteilte Vertrauen in die Fortschrittsfähigkeit des Vereinens von wachem historischen Bewusstsein und (visueller) Fantasie, das Vertrauen darauf, dass sich, wie es auf Seite 44 heißt, „in Groschenheften die Zukunft der Menschheit offenbarte…?“

Seinem Psychotherapeuten kann die Hauptfigur Paul dies nicht ohne Schwierigkeiten beibiegen – wir, die wir „Das Imperium des Atoms“ lesen, glauben sofort, was wir sehen und hören. Es schadet der Lektüre keineswegs, sich mit dem Werk Cordwainer Smiths auszukennen (und mit Uli Pröfrock zeichnet einer für die hervorragende Übersetzung verantwortlich, auf den das zutrifft), aber das Album leuchtet und strahlt auch unmittelbar für sich. Derart schmuckvolle Verbeugungen, Erinnerungen, Ehrerweisungen und Liebesbekundungen sollten schließlich nicht abschrecken, sondern anstecken.

Thierry Smolderen/Alexandre Clérisse: Das Imperium des Atoms · Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock · Carlsen Verlag, Hamburg 2014 · 144 Seiten · € 22,90

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