4. Juli 2020 2 Likes

Aufstand im Schloss der Tiere

Orwell lässt grüßen: Der neue Comic von Dorison & Delep

Lesezeit: 2 min.

Fabeln mit tierischen Protagonisten, die im gut getarnten Fell beziehungsweise Federkleid der Kunst voller Spott und Biss ganz reale soziale und politische Missstände anprangern, haben eine lange Tradition. Die reicht bis in die Antike und die Zeit der französischen Revolution zurück – und natürlich ist auch „Farm der Tiere“, neben dem dystopischen Überwerk „1984“ George Orwells anderer großer Klassiker der Weltliteratur und der Fantastik, Teil dieser fabelhaften Historie. Vor „Farm der Tiere“ aus dem Jahr 1945 verbeugen sich nun die Comic-Macher Xavier Dorison und Félix Delep im ersten Band ihrer neuen Panel-Serie „Schloss der Tiere“ bei Splitter, sicher einem der am schönsten gezeichneten Titel der sommerlichen Comic-Saison – und das von einem Newcomer wie Delep! Dorison hat da weit mehr Erfahrung, verfasste als Vielschreiber bereits Science-Fiction („Prophet“), Piraten-Fantasy („Long John Silver“) und Agenten-Action („Red Skin“).

Gemeinsam erzählen Dorison und Delep die Geschichte eines abseits im Wald gelegenen Schlosses, das die Menschen samt Bauernhof dem lieben Vieh überließen. Doch natürlich platzt der Traum von Freiheit und Gleichheit und Gerechtigkeit, auf dem diese Republik der Tiere begründet wurde. Hühner, Schafe, Gänse, Ziegen, Kaninchen, Esel und andere werden nämlich inzwischen vom massigen, in Saus und Braus lebenden Stier Präsident Silvio und dessen brutaler Hundemiliz tyrannisiert und ausgebeutet. Wer nicht spurt, wer bockt, wer schnattert, wer faucht, wer zetert oder wer zu wenig Leistung und Ertrag bringt, der hungert bestenfalls oder wird schlechtestenfalls öffentlichkeitswirksam von den Hunden hingerichtet. Eine echt fiese Diktatur. Als die von Gandhis Geist beseelte Idee des gewaltlosen Widerstands ins Schloss kommt, ist die verwitwete Katzendame Miss Bengalore als völlig erschöpfte Mutter und Steineschlepperin trotz des Risikos bereit, zusammen mit Hasen-Gigolo Cäsar den Kampf gegen das vorherrschende System aufzunehmen …

Die Zu- und Missstände im Schloss der Tiere haben Delep und seine Mitkoloristin Jessica Bodard – wie schon erwähnt – wunderschön visualisiert. Im Hardcover-Album ist der Stoff genau richtig aufgehoben (und macht die noch größere und teurere, limitierte Diamant-Luxusausgabe bei Splitter allemal attraktiv – in Frankreich erschienen einst einige Promoseiten im Zeitungsformat, das war definitiv beeindruckend anzuschauen). Man sieht den Animationsfilmklassiker quasi schon vor Augen, auch dank Dorisons eingängig liebenswerter und schurkischer anthropomorphisierter Figuren, die innerhalb der Comic-Fabel freilich klare, einfache und zeitlose Rollenmodelle erfüllen. Die Story ist unterdessen nicht mehr und nicht weniger als eine ordentliche Orwell-Hommage. Dabei will man, bei aller Zeitlosigkeit der Figuren und Botschaften, in diesen unruhigen, düsteren Tagen nur zu gern an die Hoffnung auf Veränderung im Angesicht von Dystopie und Diktatur glauben. Es ist sozusagen tierisch verlockend, speziell heute, in dieser Gegenwart, in dieser Welt, an die Macht von Ideen, Kunst und Symbolen zu glauben – und daran, dass es durch Widerstand und Aufbegehren ohne Gewalt besser werden könnte.

Abbildungen: Copyright © CASTERMAN 2019

Xavier Dorison & Félix Delep: Schloss der Tiere Bd. 1: Miss Bengalore • Splitter, Bielefeld 2020 • 72 Seiten • Hardcover: 17,00 Euro

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