17. Juni 2013 1 Likes

Zombies am Rande des Blickfelds

„Nach dem Ende“ von Alden Bell

Lesezeit: 4 min.

Noch ein Zombie-Roman? Ja und nein. Ja, weil eine Welt geschildert wird, in der die Toten zurückkehren und die Lebenden bedrohen, dumpf und zerstörerisch und dumm, wie man es von Zombies halt aus all den Filmen kennt, die sich mehr oder weniger bloß durch Details in ihren Titeln und durch die Anzahl der gefressenen und gebissenen Menschen unterscheiden.

Nein, weil die Zombies nur am Rande interessieren – sie sind lediglich die Katastrophe, an der die Hauptfigur des Romans wachsen oder zerbrechen muss wie in allen guten Katastrophenromanen.

In Alden Bells »Nach dem Ende« (im Shop ansehen) ist die Heldin ein fünfzehn- oder sechzehnjähriges Mädchen namens Temple, das keine andere Welt mehr kennt als eine, in der die Toten aus den Gräbern steigen und sich am Fleisch der Lebenden laben wollen, wenn diese gerade nicht aufpassen. Temple nennt die Un­toten »Fleischsäcke« oder »Schaben«, und ihr sind zahlreiche Möglichkeiten geläufig, sie endgültig zu töten. Außerdem weiß sie, wie man verhindern kann, dass ein Verstorbener »wiederkommt«: Man muss sein Gehirn zerstören (was man ebenfalls auf unterschiedlichste Weise erledigen kann, wie der Heldin klar ist). Überhaupt erweist sich Temples Weltanschauung überraschenderweise als denkbar pragmatisch: »Die Welt behandelt dich einigermaßen freundlich, solange du nicht dagegen ankämpfst.« Angesichts der überall herumwimmelnden Zombies ist das eine erstaunlich gottesfürchtige Sicht der Dinge.

Irgendwelche Erklärungen zum Ursprung der Seuche und zur Genesis dieser Welt gibt es nicht. Wie in Post-Doomsday-Romanen üblich, wird das Vorher der Katastrophe nicht weiter the­matisiert, und auch die Nachkatastrophen-Gesellschaft selbst ist alles andere als originell: Versprengte Häuflein versuchen hier und da, so etwas wie Zivilisation aufrechtzuerhalten. Oder das, was sie dafür halten. In dieser Hinsicht hat sich in der SF-Literatur in den letzten Jahrzehnten nicht viel getan; »Hieros Reise« von Sterling E. Lanier ist auch schon fast vierzig Jahre alt.

Alden Bell (hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Englischlehrer Joshua Alden Gaylord) kümmern diese Themen allerdings wenig; ihn interessiert die Seele von Temple, die mit ihrer fürchterlichen Umwelt nur oberflächlich gut fertig wird. Nach und nach kommen nämlich ihre eigenen Dämonen an die Oberfläche; die Schuld am Tod ihres kleinen Bruders Malcolm beispielsweise, den sie mehr oder weniger aus Versehen an die Fleischsäcke verloren hat – die gescheiterte Fürsorge für ihn setzt sie einfach an einem Ersatz-Individuum fort, als sie den geistig zurückgebliebenen Maury aufliest. Fortan kümmert sie sich um den Schwachsinnigen, den sie netterweise »Dussel« nennt. Zwar erkennt sie bei einem Einbruch in ein Kunstmuseum, dass an Maury mehr dran sein muss, als sie denkt, aber von Autismus hat sie noch nie gehört. Von Schuldgefühlen schon.

In ihren Erinnerungen an Malcolm tauchen einige der vielen bemerkenswerten Sätze auf, die en passant eingestreut dafür sorgen, dass »Nach dem Ende« mehr ist als ein weiterer Wir-reisen-durch-das-untergegangene-Amerika-Roman. Zum Beispiel Temples Definition vom Ziel des Fortschritts: »Solang du in Bewegung bist, is es egal, wo du hinkommst oder was dir nachjagt. Deswegen nennen sie es Fortschritt.«

Andere Dämonen Temples sind einfacher gestrickt: etwa ihre Besessenheit von der Idee, einmal im Leben die Niagarafälle zu erblicken – das eine Schöne, das man im Leben gesehen haben muss. Oder der Mann, der sie tatsächlich verfolgt: Als sie in einer Stadt einen Häuserblock findet, in dem die alte Zivilisation – scheinbar – weiterexistiert, bringt sie einen Mann um, der sie zu vergewaltigen versucht. Dessen Bruder Moses Todd versucht den Rest des Buches über, den Tod seines Bruders zu rächen. Dabei bedenken weder Temple noch Moses den Umstand, dass die auf vier Hochhäuser beschränkte »Zivilisation« gar keine war, sondern nur eine etwas anders geartete, mit den Umgangsformen der untergegangenen Welt oberflächlich kaschierte Barbarei. Einer anderen Version desselben Missverständnisses begegnet Temple später im Buch, als sie auf eine Familie trifft, die sich die Essenz der Zombies injiziert, um die angebliche Überlegenheit ihrer eigenen Art mit der Unverwüstlichkeit der Untoten zu verschmelzen; ein galliger Kommentar zum Thema Übermensch.

Moses und Temple liefern sich fast den ganzen Roman lang eine Verfolgungsjagd quer durch das Land, das einmal die Vereinigten Staaten waren, und werden dabei einander immer ähnlicher. Am Schluss erreicht die Handlung des Romans tatsächlich die Nia­garafälle … aber auf ganz andere Weise als gedacht. Und natürlich ist es kein Zombie, der für das Ende sorgt.

Wie es einem Buch, in dem Zombies auftreten, angemessen ist, kommt es zu einigen ekligen Szenen und zu verschiedensten Konfrontationen mit den Untoten; aber Temple bleibt immer im Vordergrund. Alles ist im Präsens gehalten, als geschehe es genau jetzt. Temples Gedanken verharren stets im Verborgenen, finden niemals direkt Eingang in den Text. Und weil es keinerlei An­führungszeichen für die direkte Rede gibt, muss man sich selbst zusammenreimen, was wer gerade sagt … So droht der Leser der Illusion zu erliegen, er habe Teil an Temples Gedanken, während er tatsächlich nur ihren Worten lauscht. Dieser Kniff hebt das Buch ein Stück weit vom bloßen Splatter ab, reicht es doch etwas tiefer als eine reine Überlebenskampf-Geschichte.

Alden Bell: Nach dem Ende • Roman · Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader · Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 · 318 Seiten · € 7,99 (im Shop ansehen)

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