29. November 2018

Die Rache des Konstrukts

Mit „Tool“ beendet Paolo Bacigalupi seine großartige „Schiffsdiebe“-Trilogie

Lesezeit: 3 min.

Es ist schon ein paar Jahre her, da schenkte uns Biopunk-Spezialist Paolo Bacigalupi („Biokrieg“, 2011; im Shop) mit „Schiffsdiebe“ (2012; im Shop) einen weiteren postapokalyptischen Roman. Auf die „Schiffsdiebe“ folgte „Versunkene Städte“ (2012; im Shop). Doch damit war die Geschichte aus dem untergegangenen Amerika noch nicht zu Ende erzählt. Für viele Fans überraschend veröffentlichte Bacigalupi letztes Jahr „Tool of War“. Nun liegt die deutsche Übersetzung vor. Und wie der Name schon verrät, handelt „Tool“ (im Shop) von einer der zentralen Figuren der Trilogie: dem monströsen, genetisch manipulierten Soldaten Tool.

Die Geschichte von „Tool“ beginnt einige Jahre nach dem Ende von „Versunkene Städte“. Immer noch ist das Gebiet um Washington D.C. hart umkämpft. Tool, zwei einhalb Meter groß, halb Mensch, halb Tier, ist längst kein einfacher Soldat, kein einfaches Konstrukt mehr. Und er ist erst recht kein Kriegswerkzeug mehr, das auf die Befehle eines Menschen wartet. Inzwischen befehligt er eine ganze Armee aus Kindersoldaten, die die Region befrieden soll. Doch der Moment des größten Triumphs verwandelt sich in eine verheerende Niederlage. Als Tool und seine Untergebenen den Sieg über den letzten feindlichen Warlord feiern, werden sie Opfer eines Drohnenangriffs von General Caroa. Tools ehemaliger menschlicher Weggefährte hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Doch Tool ist zäh. Während seine Freunde und Soldaten sterben, überlebt er schwer verletzt und schafft es an Bord des Segelschiffs „Raker“, das Tools noch verbliebenem Rudelmitglied Mahlia unterstellt ist. Tool beschließt, seinen Göttern einen Besuch abzustatten und sich an ihnen zu rächen.

Tools und Mahlias Geschichte bilden jedoch nur einen Teil des Plots. In 6000 m Höhe kreist die „Annapurna“, ein beeindruckendes Kriegsschiff der Mercier Corporation. Von dort hat General Caroa den Angriff auf Tool beschlossen. Ohne die Vorarbeit der Junioranalystin Arial Jones wäre dies nicht möglich gewesen. Jones kämpft nicht nur mit ihrem Gewissen und Wissen, unschuldige Kinder getötet und sie als Kollateralschäden klassifiziert zu haben. Sie stört sich auch an Caroas Obsession, Tool zur Strecke zu bringen. So viel Aufwand für einen einzigen Halbmenschen? Die neugierige, intelligente junge Frau beginnt die Verbindung zwischen Tool, Caroa, und Mercier Corporation zu recherchieren.


Paolo Bacigalupi
Foto © JT Thomas Photography

Fans können aufatmen: „Tool“ ist ein „echter Bacigalupi“! Der US-Amerikaner nimmt seine Leser mit in eine von Klimawandel, Zerstörung, Genmanipulation und Hightech-Produkten gezeichnete Welt, in der der Mensch seine naturgegebenen Grenzen längst überschritten hat. Wie bereits „Versunkene Städte“ ist „Tool“ ein Roman, der sich an ältere Teenager und (junge) Erwachsene richtet. Für deutsche Verhältnisse ist „Young Adult“ jedoch ein zweifelhaftes Label für die Trilogie, denn Bagicalupi geizt nicht mit den unschönen, grausamen Seiten der Zukunft. Er zeigt die Welt wie sie sein könnte (und mancherorts auch heute ist): dreckig, brutal, blutig, erbarmungslos, vom Menschen geformt und an den Abgrund gebracht. Um sich halbwegs die Macht über den Planeten zu sichern, hat der Mensch Wesen wie Tool oder die Aufziehmädchen aus „Biokrieg“ erschaffen. Bei den Monstrositäten, die die neuen Global Players erschaffen haben, stellt sich mehr als einmal die Frage, wer hier das wahre Monster ist: der Mensch oder seine frankenstein‘sche Schöpfung? Zumindest kommt für Tool sein Rachefeldzug einer Auflehnung gegen Gottheiten gleich. Er, die Waffe, will den Schmied töten. Kein neues Motiv in der Phantastik, dafür aber gut in Szene gesetzt.

Mit „Tool“ hat Bacigalupi mal wieder bewiesen, warum er der König des Biopunks ist und keiner in dem Genre an ihm vorbei kommt. „Tool“ ist mitreißend, fantastisch, voller guter Momente, toller Helden und verachtungswürdiger Schurken – und mit einem Weltenbau, der fasziniert, ängstigt und doch auf ganzer Linie überzeugt. Wer „Schiffsdiebe“ und „Versunkene Städte“ gelesen hat, darf sich mit „Tool“ auf einen gelungenen Abschlussband freuen. Alles an diesem Roman wirkt vertraut, und es ist eine wahre Freude, bekannte Gesichter aus den Vorgängern wieder zu sehen und mit ihnen mitzufiebern. Wer noch keine Geschichte aus der Feder des Hugo-Gewinners Bacigalupi gelesen hat, kann „Tool“ auch als eigenständigen Roman lesen. Bacigalupi ist das seltene Kunststück gelungen, eine Trilogie zu schreiben, bei der jeder Teil für sich als Einzelband funktioniert und fesselt. Doch erst zusammengenommen entfalten sie ihre ganze erzählerische Kraft. Ein wahres Lesefest!

Paolo Bacigalupi: Tool • Aus dem Amerikanischen von Norbert Stöbe • Heyne Verlag, München 2018 • 384 Seiten • 9,99 € (im Shop) • Leseprobe? Hier entlang!

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