16. Dezember 2022

Revoltierende Hoftiere, Howards Conan und abgesetzte Streaming-Stars

Phantastik-Comic-Neuheiten im Dezember

Lesezeit: 5 min.

Grendel erhält eine zweite Chance, der Generationenkonflikt findet in einem Techno-Turm statt, ein Jahressieger wird fortgesetzt und die Schlümpfe feiern Jubiläum.

 

Vincent Perriot: Negalyod 2

2019 kürte die Tagesspiegel-Jury den ersten Band des SF-Western „Negalyod“ zum besten Comic des Jahres. Man kann das verstehen: Vincent Perriot Lang-Comic-Debüt mäandert in Jean-Giraud-Grafik durchs Genre-Tal und schüttelt jedem politisch relevanten Thema der Gegenwart die Hand. Ressourcenmangel, digitale Überwachung, Defätismus und Autoritätshörigkeit, das letzte Zucken der Demokratie, die brandgefährliche Ökonomie des Kapitalismus, das Ende der ökologischen Vernunft und der dazugehörige Leugnungsfaschismus – alles ist berücksichtigt und tritt sich vielleicht auch ein wenig auf die Füße. Aber das könnte nun der vorliegende zweite Band sortieren.

Vincent Perriot: Negalyod Band 2 - Das letzte Wort • Carlsen, Hamburg 2022 • 200 Seiten • Hardcover • € 28,00

 

Matt Wagner u. a.: Best of Grendel - Das Handwerk des Teufels

Seit 1982 arbeitet der US-amerikanische Comicautor Matt Wagner seinen Kosmos um den New Yorker Verbrecherkönig Grendel aus. Die Anzahl der Zeichner*innen, die Wagners Figur (auch erzählerisch) variantenreich Gestalt verleihen, ist mittlerweile enorm. 40 Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen, sind natürlich ein zu großes ökonomisches Risiko für eine lückenlose Edition. Darum versucht sich der Cross Cult Verlag zum Auftakt der deutschen Ausgabe an einem Best of, das einsteigerfreundlich hauptsächlich der Genese Grendels nachspürt. Dabei setzt man offensichtlich auf einen Marketing-Schub durch die angekündigte Netflix-Serie. Dort hat man im Spätsommer selbige zwar wieder abbestellt, was aber nicht die Freude darüber trübt, dass „Grendel“ nach einem kurzen Lauf bei Speed Ende der 90er hierzulande eine zweite Chance erhält.

Matt Wagner u. a.: Best of Grendel Band 1: Das Handwerk des Teufels • Cross Cult, Ludwigsburg 2022 • 250 Seiten • Hardcover • € 30,00

 

Christophe Bec, Stevan Subic: Conan - Der wandelnde Schatten

Kaum waren Robert E. Howards Werke in Europa gemeinfrei, startete das französische Verlagshaus Glénat eine Konzeptalbenreihe zu Conan, die vom Splitter Verlag zeitnah ins Deutsche übertragen wird. Konzeptreihe meint, dass verschiedene Zeichner*innen und Autor*innen gleichzeitig an ihren Adaptionen arbeiten, sodass bestenfalls ein konstanter Veröffentlichungsrhythmus gewährleistet ist. Das korrespondiert gewissermaßen mit dem Zeitdruck, unter dem Howard seine Conan-Storys für Weird Tales schreiben musste. Die Resultate ergeben in Summe eine ziemlich abwechslungsreiche Überraschungstüte mit Höhen und Tiefen und gewinnen schon dadurch an Reiz, dass einstmals geringgeschätzter Pulp heute im bibliophilen Antlitz wiederauferstehen darf. „Der wandelnde Schatten“, der aktuelle 13. Band der Comic-Remakes, zählt nicht zu Howards besten Arbeiten, das muss auch der Fantasy-Experte Patrice Louinet im historisierenden Nachwort eingestehen. Dass der französische omnipräsente Comicszenarist Christophe Bec sich erwartungsgemäß wie ein Blockbusterästhetik-Buchhalter an der Vorlage abarbeitet, nimmt nicht wunder, aber Zeichner Stevan Subic gibt sein Bestes, um ihn zu retten. Dieser Band empfiehlt sich für den Komplettierungsimpuls.

Christophe Bec, Stevan Subic: Conan – Der wandelnde Schatten • Splitter Verlag, Bielefeld 2022 • 72 Seiten • Hardcover • € 17,00

 

Omar Ladgham, Jan Kounen, Mr Fab: Der Turm 1

Der Einstieg in die neue frankobelgische SF-Serie „Der Turm“ führt ins postapokalyptische Brüssel im Jahr 2072. Die (vermeintlich?) letzten überlebenden Menschen, rund 3000 an der Zahl, verschanzen sich seit Jahrzehnten in einem gigantischen, technologisch hochgezüchteten Turm, der von einer starken KI verwaltet wird. Das Leben draußen ist unmöglich, da tobt ein tödliches Virus. Das Leben drinnen wird unerträglich, da drohen Vorräte- und Platzmangel, und im immer aggressiveren Generationenkonflikt werden die Fragen nach den Bedingungen eines guten Lebens in dieser toten Welt immer lauter. Das könnte interessant werden, weil sie anscheinend nicht mit den üblichen Mutanten und Mad-Max-Dysto-Punks der formstarren Marktkonkurrenz links und rechts daneben abgeblockt werden. Der zweite Band wird den thematischen Fokus klarer konturieren.

Omar Ladgham, Jan Kounen, Mr Fab: Der Turm Band 1 • Splitter Verlag, Bielefeld 2022 • 64 Seiten • Hardcover • € 17,00

 

Xavier Dorison, Félix Delep: Das Schloss der Tiere 3

Man reibt sich weiterhin ungläubig die Augen ob der zeichnerischen Finesse, die Comic-Debütant Félix Delep bei seiner von Orwells „Animal Farm“ inspirierten Fabel „Das Schloss der Tiere“ an den Tag legt. Mit dem Autor Xavier Dorison hat er einen erfahrenen Veteranen an seiner Seite, der den Plot um den geknechteten Tierhof, der kollektiv gegen einen machthabenden Stier und dessen Hunde-Handlanger aufbegehrt, souverän zur Allegorie auf die Grenzen und Möglichkeiten des politischen Kampfs gegen ein von Ausbeutung am Leben gehaltenes System verdichtet. Mehr als bei Orwell steht hier die Taktik im Zentrum, die Identifikation demagogischer Methoden, weniger das Wesen der Macht – die Homestory einer Revolte. Wie beiden Vorgänger ist auch dieser vorletzte Band als überformatige, limitierte XXL-Ausgabe erhältlich.

Xavier Dorison, Félix Delep: Das Schloss der Tiere Band 3 - Die Nacht der Gerechten • Splitter Verlag, Bielefeld 2022 • 64 Seiten • Hardcover • € 17,00

 

Zep: Was wir sind

Neben „Asterix“ zählt Zeps Funny-Reihe „Titeuf“ zu den erfolgreichsten französischen Comics. Parallel präsentiert der Schweizer Comiczeichner seit ein paar Jahren auch ernste Sujets als abgeschlossene Oneshots, die oft das Gebiet der Science Fiction streifen. Das nahm mit der Öko-Erzählung „Paris 2119“, die das Verhältnis von Mensch und Umwelt untersucht, seinen Anfang und gerät immer dann riskant, wenn das Pathos aus dem erregten Mahner hervorbricht. Auch Zeps neue Dystopie „Was wir sind“ kommt nicht ohne kulturpessimistische Töne aus und skizziert eine Zukunft, in der die Menschen jedwedes Bedürfnis in Chipform als permanentes Spielerlebnis befriedigen, so ist’s schließlich am sichersten. Das ist manchmal gehörig unterkomplex, dann wieder poetisch fatalistisch, man muss die Reibung eben aushalten.

Zep: Was wir sind • Schreiber & Leser, Hamburg 2022 • 88 Seiten • Hardcover • € 24,80

 

Emmanuel Guibert, Mathieu Sapin, Joann Sfar: Alldine & die Weltraumpiraten

Ein französisches Star-Projekt: Alle Beteiligten sind preisgesegnete Besteller-Autoren und liefern mit „Alldine“ eine Kinder-SF-Reihe ab, die es in Frankreich zudem auf 52 TV-Episoden gebracht hat. Darin kämpft die titelgebende Weltraumpiratin Alldine mit ihrer Crew gegen den Weltraumdiktator Supermuskelprotz, der alle Kinder in folgsame Wesen verwandeln will. Klingt nach trister „Momo“-Klage, ist aber vollumfänglich dem Geiste der anarchischen 70er-Pädagogik entsprungen, auch von der vierten Wand hält man wenig. Der Schaltzeit Verlag veröffentlicht zum Start der Reihe die ersten beiden Bände.

Emmanuel Guibert, Mathieu Sapin, Joann Sfar: Alldine & die Weltraumpiraten Band 1 & 2 • Schaltzeit, Berlin 2022 • Je 128 Seiten • Softcover • Je € 14,00

 

Alain Jost, Thierry Culliford, Miguel Diaz Vizoso: Die Schlümpfe und die verlorenen Kinder

Jubiläum im Schlumpfdorf, denn mit „Die Schlümpfe und die verlorenen Kinder“ erscheint das 40. Album der blauen Zwerge, die seit Peyos Tod 1992 kongenial mit festem Zeichnerstamm fortgesetzt werden. Hin und wieder kollidiert ihre mit Fantasy-Elementen angereicherte Welt mit dem mittelalterlichen Leben der Menschen, denen oftmals kein gutes Zeugnis ausgestellt wird. So auch im neuesten Abenteuer, in dem die Schlümpfe herausfinden, dass ihre einst geheime Salzmine zum Schauplatz von Kinderarbeit und Schmuggel geworden ist. Treffendster Dialog: „Salz teuer bezahlen … Ich finde, alle sollten frei darüber verfügen können, wie über Wasser und Luft.“ „Ja, aber bei den Menschen wird alles gekauft und verkauft.“ So lässt man sich gerne auch die nächsten 40 Alben gefallen.

Alain Jost, Thierry Culliford, Miguel Diaz Vizoso: Die Schlümpfe und die verlorenen Kinder • Toonfish, Bielefeld 2022 • 48 Seiten • Hardcover • € 13,95

 

Große Abb. ganz oben: „Negalyod“, Carlsen

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.