3. April 2020

Pizzaschachteln krachen auf den Weg

„Shatterhand“ – der neue James Bond für alle, die es nicht erwarten können

Lesezeit: 4 min.

In den letzten Tagen (ich sitze heute, am 22. des Lenzmondes, an meinem Schreibtisch und tipse, tapse und klappere munter auf der Tastatur herum) fällt der eine oder andere Termin aus: das Heaven-Shall-Burn-Konzert, das Kräftemessen auf dem Bundesligarasen, der festliche Einkauf am verkaufsoffenen Sonntag – perdu! Nicht untersagt ist dagegen der sonntägliche Spaziergang durch Wind, Wald und pinguineske Schlotterkälte – Gerechtigkeit, wo ist dein Stachel?

Besonders, ja, überaus ärgerlich ist die Postponierung des Starts unseres verdienten Doppelnullagenten in sein neues Abenteuer: Keine Zeit zu sterben, Arbeitstitel: „Shatterhand“. Ich kenne den Trailer und weiß, man hat sich einiges einfallen lassen: Es gibt Verfolgungsjagden mit dem Auto (silbergrau), eine schicke Sonnenbrille für den Helden, Begegnungen in gekachelten Korridoren, einen vereisten See, Schusswechsel, Faustkämpfe, Sprünge in den Abgrund, Frauen, Q. Dazu balladiert eine Künstlerin namens Billie Eilish Pirate Beard O´Connell einen Song. Man wird fragen: Billie Eilish Pirate Beard O´Connell – echt jetzt? O´Connell mit Doppel-N, Doppel-L und Doppel-O? Was – frage ich zurück – denn sonst, wenn es um einen Doppel-Null-Film geht? Billie Eilish (was so viel heißt wie Wilhelmine Elisabeth) verdankt ihre Existenz einer In-Vitro-Fertilisation, also: einer Befruchtung im Glase. Wie man hört, hat sie keine öffentliche Schule besucht, sondern wurde von ihrer Mama daheim beschult. Das geht.

Der Film prokrastiniert sich. Die Another Day wäre der richtige Titel, ist aber schon vergeben. Doch die Neugier nagt und plagt, und endlich habe ich einen alten Bekannten angewhatsappt, nennen wir ihn „D. C.“ (genau, wie in Washington D.C.). Er hat, ich deute das mal an, mit dem Film zu tun. Worum es denn ginge?, fragte ich ihn; grob. Ich wollte beileibe kein komplettes Drehbuch, nur den einen oder anderen Wink, einen Zipfel Dialog vielleicht.

Erst wollte er hinterm Berg halten, zierte sich, wie Schauspieler so sind: vertragliche Bedingungen sprächen dem entgegen, das Schweigegelübde der James-Bondianer und so weiter und so fort. Ich aber so: Na, komm schon, Danny Boy (so nenne ich ihn manchmal, aber nur aus Spaß). Also gut, seufzte er endlich. Und legte los.

Aus rechtlichen Gründen ist das Folgende „ohne Gewähr“; auch bat mich mein alter Bekannter, der mit dem Film zu tun hat, seinen Namen zu kürzeln, andernfalls drohe ihm eine saftige Konventionalstrafe, was ja niemand wollen kann. Der Film beginnt in Nittedal in Norwegen mit einer vehementen Verfolgungsjagd, an der mehrere Autos beteiligt sind. Wer sie steuert, bleibt zunächst unklar. Am Ende explodiert etwas; Bond steigt aus seinem silbergrauen Auto und setzt eine Sonnenbrille auf. Die Kommune Nittedal hat 24.089 Einwohner ‒ Quersumme dreiundzwanzig. Der dreiundzwanzigste James Bond-Film hieß Skyfall – kein gutes Omen, wie Bond findet. Muss er sich Sorgen machen? Schnitt.

Jamaika. Bond hat sich zur Ruhe gesetzt. Die Ruhe aber ist von gestern, will sagen: nicht von Dauer. Bond blättert in einem Buch für Vogelkundler und Bird Watcher. Er liest halblaut: Auf Jamaika gibt es dreiundzwanzig Arten von Fledertieren. Er stutzt. Was haben Fledermäuse in einem Buch für Bird Watcher zu suchen? In seinem blauen Pool schnauft eine Seekuh. „Ruhig, M.“, sagt Bond. Er lächelt. Das Leben könnte so schön sein. Schnitt.

Bond steht auf der Whitehall, in der Nähe des Reiterdenkmals von George, 2. Duke of Cambridge. „Whitehall“ beginnt mit einem „W“ – dem dreiundzwanzigsten Buchstaben des Alphabets. Zufall? Bond zweifelt. Plötzlich stürzt George, 2. Duke of Cambridge, vom Sockel; Bond rettet sich durch einen Sprung auf einen vorbeifahrenden Radfahrer. Pizzaschachteln krachen auf den Weg; Pizzen rollen trostlos über die Whitehall Richtung Downing Street. Eine verstörende Szene. Schnitt.

Nachts, innen. Bond streift rastlos durch das Ardverikie House in Kinloch Laggan in den Highlands, eine Sten Gun in der einen Hand, eine Elefantenbüchse in der anderen, eine Armbrust und eine Mistgabel quer über die Schulter gelegt. Das Haus ist weitläufig; es hat Erker, Türmchen mit spitzen Dächern, Fenster über Fenster. Im Ernstfall kaum zu verteidigen. Die Uhr schlägt eleven o´clock pm – dreiundzwanzig Uhr continental time. Von fern hört man eine Seekuh seufzen. Eine durchaus verstörende Szene. Schnitt.

Bond ist mit einer Frau in Gravina in Puglia (Süditalien). Die Frau lacht, schwenkt ihre Hüften wie eine leibhaftige Freiheitsgöttin beim Angriff auf die Barrikaden von Jericho, fasst sich, als ein Windstoß kommt, an den mühlsteingroßen Hut; Bond grinst. Sie gehen über die römische Brücke. Bond fühlt sich beobachtet – zurecht! Gestalten, die sich als Filmteam verkleidet haben, geben vor, einen Film zu drehen; Arbeitstitel: „Maria, ihm schmeckt´s nicht!“ Eine insgesamt verstörende Szene.

Das Finale findet auf der Königlichen Luftwaffenbasis Brize Norton statt. Man sieht einen einsamen Lieferwagen, stumm, mystisch, fahrerlos – was mag unter seiner Plane verborgen sein? Eine Palette Picknickkörbe mit Prinz Charlesens Lieblingsfasananpudding, Moorhuhnfrikasse und Moussaka? Wohl kaum. Kicker. Kurzum: eine Massenpanik bricht aus. Hunderte von Menschen werden evakuiert. Bond schmunzelt und summt vor sich hin: „I let it burn / You’re no longer my concern“. Abspann, Zimmer-Musik und Schluss.

Wer es also nicht erwarten kann, den neuen Bond zu sehen, kann ihn jetzt zuhause schon einmal vorspielen – mit Handpuppen, zum Beispiel. Oder er oder sie kann ein lebendes Bild seiner Lieblingsszene nachstellen. So wird die Zeit des Wartens nicht gar zu lang.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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