5. März 2021 3 Likes 2

Im Gespräch mit Frank Böhmert

Der Übersetzer von Brian W. Aldiss und Martha Wells im Interview

Lesezeit: 7 min.

Frank Böhmert, Jahrgang 1962, ist Berliner in der vierten Generation. Er schreibt seit seinem fünfzehnten Lebensjahr selbst – am bekanntesten sind seine Beiträge für die beliebte „Perry Rhodan“-Reihe. Eine Sammlung seiner besten Kurzgeschichten aus 30 Jahren erschien 2009 unter dem Titel „Ein Abend beim Chinesen“. Für seine Story „Operation Gnadenakt“, die im Magazin „phantastisch!“ veröffentlicht wurde, erhielt er 2016 den Deutschen Science-Fiction-Preis für die beste Kurzgeschichte. Im Brotberuf arbeitet Frank Böhmert als Übersetzer und hat u. a. an den Gesamtausgaben der Science-Fiction-Legenden James Tiptree jr. und Philip K. Dick mitgearbeitet, aber auch Bücher von Mark Lawrence, Herbie Brennan, Daryl Gregory, R. A. Salvatore und David Benioff ins Deutsche übertragen. Zuletzt erhielten die von ihm übersetzte Novellensammlung „Tagebuch eines Killerbots“ sowie deren Roman-Sequel „Der Netzwerkeffekt“ von Martha Wells (im Shop) viel Aufmerksamkeit innerhalb der Szene. Gerade erschien außerdem Böhmerts Neuübersetzung des SF-Klassikers Der lange Nachmittag der Erde“ von Brian W. Aldiss (im Shop). Im Interview spricht Frank Böhmert über das Eindeutschen von aktuellen Highlights, Lieblingsbüchern und ewigen Klassikern.

 


Frank Böhmert. Foto © Ben Eltschig

Hallo Frank. Du hast mal getwittert, dass „Der lange Nachmittag der Erde“ eines deiner Lieblingsbücher ist. Wann hast du es zum ersten Mal gelesen, und wieso genießt es dieses Standing bei dir?

Das erste Mal weiß ich gar nicht mehr so genau. Es war jedenfalls als Kind. Ab meinem neunten Lebensjahr habe ich mir viel SF aus der Stadtbücherei und von zwei SF-begeisterten Onkel ausgeliehen. Das Buch kam 1964 auf Deutsch raus, ganz am Anfang der Schwarzen Reihe von Heyne. Diese Ausgabe dürfte ich als kleiner Junge gelesen haben, denn bei der nächsten Veröffentlichung mit neuem Cover Anfang der 1980er war ich bereits erwachsen und erkannte den Roman wieder.

Ich finde den „Nachmittag“ einfach großartig, weil er diese riesige Perspektive auf die Natur und das Universum eröffnet, und das nicht nur mit viel Wortwitz und Fantasie, sondern auch mit Ernst und Schwere. Oder umgekehrt. Irre Mischung!

Heute kennen wir Begriffe wie Tiefenzeit; alle haben eine Vorstellung von Ökosystemen, von Biodiversität. Damals war das alles neu. Und Aldiss ging es nicht einmal um einen Weckruf oder so, er war mit diesem Roman kein Mahner. Er hat einfach Darwin durchgespielt und gezeigt, wie groß und langlebig das Universum oder auch nur dieser blaue Planet ist und wie klein und kurzlebig die Spezies Mensch. Das hat mich schon als Junge weggefegt. Weltraumhelden fand ich auch toll, aber das? Puh, das war noch einmal ganz anderer aufregender Stoff.

Ist das „futuristische Treibhaus“ nach über 50 Jahren, im Angesicht des Klimawandels, 2021 sogar noch eindrucksvoller? Also eine Steigerung, weil Zukunftsliteratur und reale Gegenwart sich mal wieder annähern?

Wie das Buch heute wirkt, kann ich als jemand, der es über einen so langen Zeitraum hinweg immer wieder gelesen und nun auch übersetzt, also sich bis in einzelne Sätze und Wörter eingearbeitet hat, nicht beantworten. Da bin ich selber gespannt.

Der Roman geht jedenfalls über den Horizont von, sagen wir, Climate Fiction mit ihrer Frage, was wir tun können, weit hinaus: Selbst, wenn wir alles richtig machen, Utopie pur, werden immer noch irgendwann in ferner Zukunft kosmische Ereignisse das Leben auf diesem Planeten beenden.

Das ist auch das Schöne an diesem uralten Wahlwerbe-Bot, der im Roman seine für die Figuren völlig unverständlichen Parolen verschleudert: Und wenn wir uns heute konkret noch so sehr abstrampeln, vor dem Hintergrund einer Tiefenzeit ist das völlig egal.

Dieser radikale Ansatz mag heute noch mehr reinhauen. Könnte sein.

Andererseits ist es kein pessimistisches oder gar nihilistisches Buch, keine Dystopie, sondern ein Märchen und ein Abenteuerroman, voller Wildheit, voller Leben, voller krasser Geschehnisse und Ideen.

Ewiger Klassiker, Lieblingsbuch: Ist es nur Vergnügen, ein solches Buch neu zu übersetzen, oder auch schwieriger, weil man es besonders gut machen will?

Das Schwierigste war, erst einmal den Klang der alten Übersetzung loszuwerden. Ich kannte bis dahin das Original gar nicht, Walter Ernstings Übersetzung war mein eigentliches Lieblingsbuch. Als ich nun zum ersten Mal das Original las, stellte ich fest, dass das Buch nicht nur wie immer in den 1960ern gekürzt worden war, der Werbe-Bot fehlte auf Deutsch zum Beispiel völlig, sondern dass Aldiss auch ein viel breiteres Sprachregister hat. Seine Erzählerstimme ist gebildet und ein bisschen schroff, die Menschen reden und denken eher schlicht, die Dickbäuche brabbeln weich und völlig verstrahlt, der Sodale Ye doziert aufgeblasen. Bei Ernsting war praktisch alle Sprache schlicht. Und diesen „mythischen Sound“ konnte ich quasi auswendig, den musste ich erst einmal aus dem Kopf kriegen. Am Anfang fand ich alles doof, was ich machte, weil es gar nicht so klang wie mein Lieblingsbuch. Aber je weiter ich mit der eigenen Fassung kam, desto klarer wurden die Entscheidungen, wie immer eigentlich. Und desto mehr merkte ich natürlich auch, wie virtuos der Originalroman ist. Und dann willst du das, Nostalgie hin oder her, auch rüberbringen.


Das Klemmbrett für Geistesblitze

Erkennt man als Übersetzer eigentlich sofort, ob ein Text von einem Engländer oder einem Amerikaner verfasst wurde?

Ich glaube nicht, dass ich das einfach so aus einem Stück Text schließen könnte. Soziale Herkünfte dürfte ich eher erahnen als Nationalitäten.

Wie hast du die ganzen biologischen Kunstwörter für die neue Welt ausgeknobelt, adaptiert, übersetzt?

Während des täglichen Rohübersetzens habe ich einfach nur die wörtliche Übersetzung genommen und geguckt, inwieweit sie sich mit der Beschreibung der entsprechenden Art im Text deckt. Parallel dazu hatte ich ein Klemmbrett mit einem handschriftlichen Glossar auf dem Schreibtisch liegen, in das ich dann zu jeder Tag- und Nachtzeit Geistesblitze eintrug, entweder schon als Ersatz für einen rohübersetzten Begriff oder einfach auf Halde … Am Schluss hatte ich mit einer Ausnahme tatsächlich sämtliche guten Namen, die mir eingefallen waren, auch im Skript untergebracht. Das ist jetzt aber keine neue Herangehensweise, so mache ich das schon seit vielen Jahren mit Neologismen. Und sie müssen sich natürlich beim Lautvorlesen bewähren. Was ich nicht flüssig laut vorlesen kann, habe ich noch nicht gut übersetzt.

Was ist eigentlich schwieriger: Einen „grünen“ und sprachlich immer mal so gewitzten Öko-Klassiker aus einer anderen Ära neu übersetzen, oder einen Roman wie „Der Netzwerkeffekt“, am Puls des aktuellen Genres und voller Cyber-Jargon?

Definitiv der Klassiker! Ich mag die Killerbot-Geschichten und ihren Sound sehr, weil ich neben SF vor allem auch gern Krimis lese. Aber sprachlich sind sie viel leichter: Eine Ich-Perspektive, und das war’s. Die Begriffe lassen sich locker im Netz suchen, und den Wachschutz-Sound kann ich als Sprössling einer Arbeiter- und Handwerkerfamilie eh ganz gut nachahmen und weiß auch, wen ich notfalls in meinem Umfeld fragen darf. Knifflig sind die Gender-Sachen. Zum Glück ist Martha Wells da sehr dezent, es ist ja ein Unterhaltungs- und kein Avantgarderoman. Aber wie oft ich da an den Begrenzungen der deutschen Sprache herumkratze, oh je. Ich bin immer froh, wenn ich Lösungen finde, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht auffallen, denn so läuft das mit wenigen Ausnahmen ja auch im Original. Trotzdem musst du bei Killerbot im Grunde jede Personenbeschreibung oder Interaktion zwischen Figuren auf die gendertechnische Goldwaage legen. Das ist Arbeit, das ist aber natürlich auch lehrreich.

Wenn du es dir aussuchen könntest: Lieber mehr Klassiker neu übersetzen, oder lieber topaktuelle Highlights?

Das ist mir egal. Die Bücher müssen mir liegen, das ist das Wichtigste. Ich übersetze gern Texte, die ich handwerklich gelungen finde, für die ich aber auch nicht, sagen wir, über meiner Tonlage singen muss. Ich bekomme meine Aufträge nicht als ein exzellenter Anglist oder Amerikanist, ich habe nicht mal Abitur. Ich bekomme sie, weil ich schreiben kann und die deutschen erzählerischen Mittel beherrsche. Wenn mir die Übersetzung flüssig von der Hand geht, dann lässt sie sich wahrscheinlich auch flüssig lesen, und darauf kommt es an.

Martha Wells’ „Tagebuch eines Killerbots“ hat viele Fans gefunden, in deiner Stammbuchhandlung Otherland in Berlin wurde der Band 2020 sogar zum Topseller. Wie stolz ist man da als Übersetzer? Und denkst du, so was hat Einfluss auf künftige Gigs?

Ich freue mich sehr, dass die Killerbot-Geschichten hierzulande ihr Publikum finden, aber stolz bin ich eher auf eine gelungene Arbeit. Manche Bücher, bei denen ich ebenfalls denke, eine richtig gute Übersetzung vorgelegt zu haben, lagen wie Blei in den Regalen und wurden überhaupt nicht wahrgenommen, obwohl ich den Autor*innen einen Erfolg gegönnt hätte. Beim Killerbot hat es mal geklappt, das ist schön. Nun nehmen mich sicher auch ein paar Leute mehr als interessanten Übersetzer wahr. Aber andere Leute vielleicht auch nur als überschätzten Übersetzer, wer weiß das schon? Ich bin jedenfalls gespannt, wie jetzt der Aldiss laufen wird. Das ist ein ebenso knackiger wie wuchtiger, vergnüglicher wie verstörender Klassiker, und ich habe in die Übersetzung viel Liebe reingesteckt.

Brian W. Aldiss: Der lange Nachmittag der Erde Aus dem Englischen von Frank Böhmert • Heyne, 2021 • 432 Seiten • Als Taschenbuch, E-Book und Audio-Download erhältlich • Preis des E-Books: € 9,99 im Shop

Martha Wells: Der Netzwerkweffekt. Ein Killerbot-Roman • Aus dem Englischen von Frank Böhmert • Heyne, 2021 • 480 Seiten • Als Paperback, E-Book und Audio-Download erhältlich • Preis des E-Books: € 11,99 im Shop

Kommentare

Bild des Benutzers Titus

Ein tolles Interview, das Lust auf die Bücher macht und spannende Hintergrundinformationen liefert. Danke dafür, auch an Frank Böhmert für die Offenheit!

Bild des Benutzers Emswashed

Japp, kann mich Titus nur anschließen! Die Bücher sind auf meiner Wunschliste nach oben gerückt.

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