5. Juli 2022 3 Likes

Hunde, Kinder und der „King of Cloning“

Jens Lubbadeh schreibt über einen berühmt-berüchtigten Stammzellforscher und dessen Rolle in seinem Science-Thriller „Der Klon“

Lesezeit: 6 min.

Es ist ein beliebtes Spiel bei vielen Lesern, reale Vorbilder für die Figuren eines Romans zu identifizieren. Häufig sind es mehrere Personen, die Eingang in einen Charakter finden, manchmal aber auch nur eine. Bei meinem neuen Roman „Der Klon“ (im Shop) ist die Sache diesmal recht eindeutig.

Jens Lubbadeh: Der KlonSo benötigt man nicht viel Fantasie, um für die Roman-Bösewichte Bernd Sörensen und Alina Schalk die AfD-Größen Björn Höcke und Alice Weidel als Vorlagen auszumachen. Möglicherweise nicht ganz so offensichtlich ist das Vorbild des südkoreanischen Klon-Wissenschaftlers Moon Dong-soo, der in meinem Buch nicht nur Hunde, sondern auch tote Kinder klont. Seine Entsprechung in der realen Welt ist der vermutlich eher Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten geläufige Stammzellforscher Hwang Woo-suk.

Hwang sorgte Anfang dieses Jahrtausends für Schlagzeilen, zunächst mit spektakulären Ergebnissen in der damals boomenden (und überhypten) Stammzellforschung. Hwang avancierte zum Superstar der Szene und zu Südkoreas Nationalheld. Sein Konterfei schaffte es sogar auf Briefmarken. 2004 hatte Hwang behauptet, als Erster einen menschlichen Embryo geklont und aus ihm Stammzellen gewonnen zu haben. In diese Alleskönner-Zellen setzte man damals große Hoffnungen. Sie galten (und gelten noch heute) als der Schlüssel für eine neuartige regenerative Medizin, mit der es in Zukunft möglich sein soll, altes oder krankes Gewebe einfach zu erneuern. Hwang schien diesem Jungbrunnen einen Riesenschritt näher gekommen zu sein.

Dann aber kam der tiefe Fall, und die Schlagzeilen änderten sich. Es kam heraus, dass Hwang Daten manipuliert und Ergebnisse gefälscht hatte. Zudem hatte er wohl seine Mitarbeiterinnen gedrängt, ihre Eizellen für seine Experimente herzugeben. Er wurde angeklagt, verurteilt und von der Wissenschafts-Community verstoßen. Forschungslizenzen und -förderungen wurden ihm entzogen. Hwang schien erledigt, denn nichts ist für einen Wissenschaftler schädlicher als der Verlust seiner Reputation.

Unbestritten jedoch war Hwangs handwerkliches Können auf dem Gebiet des Klonens. Er war der Erste, der 2005 erfolgreich einen Hund klonte. Nun gut, mag man denken, das war sieben Jahre nach Klonschaf Dolly. Dazu muss man wissen, dass jede Tierart unterschiedlich schwer zu klonen ist. Was beim Schaf klappt, muss beim Hund noch lange nicht genauso gut funktionieren. Tatsächlich stellten sich Hunde (und später auch Affen) als besonders schwierig zu klonen heraus. Dem erfahrenen Veterinärmediziner Hwang jedoch gelang das Kunststück, und in den Jahren darauf entwickelte er aus diesem Nebenschauplatz seiner Forschung ein erfolgreiches Businessmodell: Der „King of Cloning“, wie er bisweilen genannt wurde, begann, kommerziell tote Hunde zu klonen.

Wer das nötige Kleingeld mitbringt kann bei Hwang seinen verstorbenen Vierbeiner wiederauferstehen lassen. Einzige Bedingung: aus der Leiche des toten Hundes muss eine Gewebeprobe entnommen und gekühlt (nicht gefroren!) binnen einer Woche nach Seoul transportiert werden. 100.000 Dollar kostet ein Hundeklon. Sollten noch überzählige Kopien dabei entstehen, was öfters der Fall ist, kann man diese für wenige tausend Dollar noch zusätzlich erwerben – was viele Kunden tun, haben sie doch in der Regel mehrere Wohnsitze und möchten in jedem bequemerweise eine Kopie ihres geliebten Hundes haben. Zu Hwangs Auftraggebern gehören Prominente, vorwiegend aus den USA, Superreiche, aber auch Polizei, Zoll und Militär lassen bei Hwang gerne gleich im Dutzend ihre besten Spürhunde vervielfältigen. Mit dem Geld, das er durch sein Hundeklon-Business einnimmt, finanziert Hwang seine Forschung, unter anderem an den geliebten Stammzellen.

Hwang Woo-suk – eine Figur, wie man sie sich kaum besser ausdenken könnte. Hybris und Genie, Größenwahn und Skrupellosigkeit, gepaart mit dem unbedingten Wille zur Grenzüberschreitung. Mir war schnell klar, dass ich ihn unbedingt treffen wollte. Ich musste ihm einmal in die Augen gesehen haben. Zudem fand ich es einfach nur aberwitzig und faszinierend, dass Leute bereit waren, 100 000 Dollar zu bezahlen, um einen toten Hund quasi wieder zum Leben zu erwecken. Wie ticken diese Menschen? Was treibt sie an? Glauben sie, den Tod besiegen zu können? Das war die Keimzelle der Idee für den Roman „Der Klon“. Und vom Hund zum Menschen war es für mich nur ein kleiner Schritt.

Jens Lubbadeh (Copyright Penguin Random House/Christina Körte)
Jens Lubbadeh
© Penguin Random House / Christina Körte

Ich bin selbst gerade Vater einer kleinen Tochter geworden. Ich mag mir nicht im Entferntesten ausmalen, wie es sich anfühlen muss, das geliebte Kind zu verlieren. Welcher Schmerz muss in betroffenen Eltern toben! Wer würde es ihnen verdenken, wenn sie nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihnen bietet, um das Schicksal vermeintlich rückgängig zu machen? Hwangs Hundeklon-Klinik ist für mich die Blaupause für eine mögliche Zukunft, auf die wir zusteuern. Die Frage ist nur: Ist es eine Dystopie oder nicht?

2019 besuchte ich Hwang in Seoul und schrieb eine Reportage darüber. Hwang war so, wie ich es im Buch beschrieben habe. Er schien irgendwie entrückt, teilnahmslos, verbittert. Die Hundeklone schienen ihm nicht viel zu bedeuten. Ja, ich hatte sogar den Eindruck, dass er Hunde nicht mal besonders mochte. Er wollte sich partout nicht mit einem seiner Geschöpfe auf dem Arm fotografieren lassen. Die Klonerei, so schien es, war für ihn einfach ein Geschäft. Hunde hatte er sich deswegen ausgesucht, weil sie die beliebtesten Haustiere sind. Mit Katzen, die man beispielsweise in China klonen lassen kann, gibt er sich gar nicht erst ab. Hwangs Leidenschaft gilt der Forschung.

An einer der Flurwände in seiner unspektakulären Klonklinik hingen, irgendwie verloren, die gesammelten Fotos und Schreiben seiner Kunden. Es waren teils rührende Briefe, aus ihnen sprach große Dankbarkeit und Erleichterung. Einer der Briefe stammte von Simone und Sven J. – Kunden aus Deutschland. Ich besuchte sie – und war erstaunt: ihr geklonter Hund Marlon II war für Simone und Sven die nahtlose Fortführung von Marlon I, der durch einen Behandlungsfehler des Tierarztes starb. Sie erzählten mir, wie betroffen, wie geschockt sie vom plötzlichen Tod ihres Tieres waren. Sie hätten sich nicht von Marlon verabschieden können. Er sei wie eines ihrer Kinder gewesen, versichern sie mir. Ein Familienmitglied. Währenddessen schnüffelte Marlons Klon an meinen Beinen. Nur zwei Meter entfernt stand die Urne mit der Asche seines „Originals“ im Schrank. Für Simone und Sven war das alles kein Problem. Bereitwillig ließen sie sich mit Marlon II auf dem Arm vor der Urne fotografieren. Immer wieder beteuerten sie mir: Marlon II ist Marlon. Es ist der gleiche Hund.

„Ein Klon ist ein Zwilling, der aus der Zeit gefallen ist“, so formuliert es Hwang Woo-suk. Wer tatsächlich glaubt, dass der Klon seines toten Hundes die Wiederauferstehung des Tieres bedeutet, der wird das auch bei einem toten Kind so sehen. Die Frage, die sich für mich stellt, lautet: Ist das Ganze nun eine Dystopie oder eine Utopie? Denn die Dystopie von heute kann die Realität von morgen sein.

Das Klonen von Menschen erscheint uns heute als totales Tabu, als Alptraum. Aber wer weiß? Die Dinge sind im Fluss. Technologien sowieso, aber vor allem auch ihre ethische Bewertung. Erinnern wir uns an das Beispiel der künstlichen Befruchtung. Als Ende der 1970er-Jahre die ersten Kinder zur Welt kamen, die außerhalb vom menschlichen Körper gezeugt worden waren, war die Empörung gewaltig, nicht nur bei Kirchenvertretern. Die Presse betitelte diese Kinder abfällig als „Retorten-“ und „Franken-Babies“. Heute ist künstliche Befruchtung – zum Teil zumindest – eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Viele der immer später familiengründenden Männer und Frauen verdanken dieser Technologie die Chance, überhaupt Kinder bekommen zu können.

Wird es mit dem Klonen auch einmal so sein? Was glauben Sie?
 

Jens Lubbadeh ist ist freier Journalist und hat bereits für viele Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert-Quandt-Medien-Preis ausgezeichnet. Seine Science-Thriller haben Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Seinen neuesten Roman „Der Klon“ finden Sie hier, und seine Gastbeiträge können Sie hier nachlesen.

Titelbild © Penguin Random House / Christina Körte

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