23. Februar 2023

SF bei der Berlinale

Zwischen Schwarm, Mind-Fuck und Güte

Lesezeit: 4 min.

Über die Frage, warum Genre und Anspruch sich scheinbar ausschließen, könnte man lange streiten. Im Lauf der Filmgeschichte hat sich aber bei den meisten Beteiligten – von Filmemachern, übers Publikum, bis zu Kritikern – das Gefühl festgesetzt, dass Genre, dass Komödien, Science-Fiction- oder Horrorfilme, irgendwie nicht wirklich künstlerisch wertvoll sein können, weswegen sie bei den wichtigen Filmpreisen, von den Oscars bis nach Cannes oder der Berlinale meist leer ausgehen bzw. gar nicht erst vertreten sind. So verwundert es nicht, dass auch bei der 73. Ausgabe der Berlinale, Genrefilme eher rar sind und sich meist in Nebensektionen finden.

Eine Art Dystopie hat jedoch den Weg in den Wettbewerb gefunden: „The Survival of Kindness“, ein praktisch stummes Drama des australischen Regisseurs Rolf de Heer. Er erzählt von einer Aborigine-Frau, die anfangs in einen Käfig gesperrt in der Wüste ausgesetzt wird. Dank ihrer Cleverness kann sich die Frau befreien und streift fortan durch eine dystopische Welt, in der eine Plage gewütet zu haben scheint, jegliche Form der Kommunikation ausgeschaltet ist und die überlebenden Weißen Jagd auf alle People of Color machen. Doch auch die Frau – auch im Abspann heißt sie nur Black Woman – agiert nicht immer moralisch, wie könnte sie auch: In dieser Welt könnte sie ansonsten nicht überleben, hier gilt das recht des Stärkeren. Ein allegorischer, bildgewaltiger Film, der zeigt, was Genre kann.


„Survival of Kindness“, Triptych Pictures


„Der Schwarm“,  Schwarm TV Production GmbH & Co. KG

Seit ein paar Jahren werden auf der Berlinale auch Serien gezeigt und wenig überraschend finden sich genau hier oft auch Genre-Werke. In diesem Jahr zum Beispiel „The Ark“, eine Serie an der der Roland Emmerich Spezi Dean Devlin mitgewirkt hat, die allerdings weitestgehend überraschungsfrei abläuft und – wie der Titel schon sagt – die Legende der Arche variiert, diesmal, allerdings auch nicht unbedingt originell, im Weltraum. Dort strauchelt ein Raumschiff mit diverser Besatzung herum, es heißt tatsächlich Ark One, das Essen wird knapp (wie hat eigentlich Noah all die Tiere auf der Arche gefüttert?), Konflikte brechen aus, das Übliche also.

Zumindest im Ansatz origineller ist da eine Miniserie, basierend auf dem Weltbestseller aus Deutschland: Das war Frank Schätzings Wissenschaftsthriller „Der Schwarm“, der sich weltweit gut sechs Millionen Mal verkaufte – und heute zeitgemäßer denn je sein sollte. Doch auch wenn das ZDF und viele Partner laut Selbstauskunft 40 Millionen Euro in die Serie steckten: Zumindest die ersten beiden Folgen bleiben dürftig. Sehr viele Figuren werden eingeführt, von einer deutschen Wissenschaftlerin auf den Shetlandinseln, über einen kanadischen Walforscher bis zu einem isländischen Biologen, die sich alle fragen, was es mit den seltsamen Ereignissen auf sich hat, die Wale ans Land spülen, Mikroben scheinbar zu aggressivem Verhalten anleitet und Hummer vergiftet. Dass wir, die Menschen, Raubbau an der Natur und gerade auch den Meeren betreiben, ist heute, gut zwanzig Jahre nach erscheinen von Schätzings Roman immer mehr Menschen bewusst. Daraus eine phantastische Serie zu spinnen, die den Meerestieren eine Art kollektives Bewusstsein zuschreibt, müsste den Zeitgeist treffen, doch die ersten zwei Folgen von „Der Schwarm“ bleiben träges, stilistisch banales Fernsehen. Vielleicht zieht die Serie noch an, zumindest thematisch hätte sie es verdient.


„Infinity Pool“, NEON and Topic Studios


„Shen Hai“, 2023 Beijing October Media

Er trägt einen großen Namen: Brandon Cronenberg, der notgedrungenerweise mit den Erinnerungen an seinen Vater David kämpft. Würde er romantische Komödien drehen, würde er einem Vergleich ausweichen, doch Brandon macht genau die Art von Mind-Fuck-Kino, für das auch sein legendärer Vater bekannt ist. Insofern passt sein dritter Film „Infinity Pool“ genau in die Familie, ist durchgedreht und explizit bis an die Grenzen des amerikanischen R-Ratings, wirft aber immer wieder die Frage auf, ob das jetzt nur Provokation ist oder einen Sinn ergibt. Auf eine Insel verschlägt es den Autor James Foster (Alexander Skarsgård), die Spielplatz für die Reichen ist: Begeht man ein schweres Verbrechen, kann man sich einfach klonen lassen, muss allerdings ansehen, wie der Klon hingerichtet wird. Hat man das nötige Kleingeld, kann man diese Spiel unendlich fortsetzen und sich in alle Exzesse und Abgründe stürzen, die belieben. Den Preis zahlt immer nur der Klon. Oder? Wäre es so einfach, gäbe es nichts zu erzählen, doch was Cronenberg Jr. in „Infinity Pool“ erzählt, bleibt etwas zu generisch, um mehr zu sein, als eine übliche Kritik an Leben und Wirken der Reichen.

Der spektakulärste Genre-Film der diesjährigen Berlinale lief jedoch in der Sektion Generation 14+: „Shen Hai/ Deep Sea“ ein wahnwitziger 3D-Animationsfilm von Tian Xiaopeng, eine Art Hayao Miyazaki auf LSD. Etwas wirr und banal ist die Geschichte eines Kindes, das seine Mutter vermisst und in eine Unterwasserwelt gerät (don’t ask …), dort aber Dinge erlebt, die so unfassbar spektakulär aussehen, das Worte nicht ausreichen. Als wären van Gogh- Bilder zum Leben erweckt, als würden Farben zerfließen und in sich in endlosen Strömen auflösen, so wirken diese Bilder. Viel zu viel ist das meist, aber in den besten Momenten so visionär, wie auch Kino im 21. Jahrhundert sein kann.

Große Abb. ganz oben: „Shen Hai“, 2023 Beijing October Media

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