28. September 2023 1 Likes

Science-Fiction auf dem Fantasy Filmfest 2023

Böse Menschen, liebe Zombies, süße Roboter, knuffige Hunde und mehr …

Lesezeit: 8 min.

Keine große Vorrede nötig: Das diesjährige Programm war sehr ausgewogen, neben dem üblichen Splattergedöns fand sich zum Beispiel auch ein zauberhafter, unendlich süßer Animationsfilm über die Freundschaft zwischen einem Roboter und einem Hund … aber der Reihe nach:

 


We Are Zombies. © Kinology

1. We are Zombies (Kanada/Frankreich 2023)

Worum geht’s? Die Toten sind zurück! Doch sie haben es nicht wie üblich auf Fleisch, Gedärm und Gehirn abgesehen: Sie wollen einfach nur friedlich unter den Lebenden existieren. Eine Herausforderung, müssen die „Beeinträchtigten“ („Living Impaired“), wie Zombies nun politisch korrekt genannt werden, doch in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden. Auch die explodierende Überbevölkerung ist ein Talkshow-Thema, ihr strenger Geruch sowieso. Immerhin lassen sich mit ihnen hervorragend (halbseidene) Geschäfte machen. Und ein omnipräsenter Megakonzern nutzt die Chance für heimliche, zombieverachtende Experimente.

Lohnt sich? Schon. So richtig umgehauen hat mich der dritte Spielfilm des fraglos talentierten kanadischen Filmemacher-Trios RKSS, bekannt durch „Summer of 84“ und vor allem durch den famosen Erstling „Turbo Kid“ allerdings nicht. „We Are Zombies“ besticht natürlich erstmal dadurch, dass die Grundidee so noch nicht da war und das will gerade in diesem Genre echt was heißen. Und natürlich ist das ein flotter, mit einer Laufzeit von gerade mal 80 Minuten schön knackiger Spaß, der alles mitbringt, was RKSS bisher so mitbrachten: Sympathische, nerdige Charaktere, gute Musik (wie üblich von Le Matos), beachtliche Effekte und viel Humor. Aber irgendwie wird aus der ungewöhnlichen Idee nicht so richtig viel gemacht, nach einer Weile verläuft alles in relativ konventionelle Bahnen. Und dem Film hätten ein paar ruhigere, ernstere Momente gut getan. „We Are Zombies“ hat anders als „Turbo Kid“ keine so rechte Balance, verliert sich zu sehr in reine Albernheiten. Und ja, das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau, aber ein bisschen wirkt das neuste RKSS-Baby schon, als ob sich es RKSS gemütlich gemacht haben.

 


The Animal Kingdom. © STUDIOCANAL

2. The Animal Kingdom (Frankreich 2023)

Worum geht’s? Émile und sein Vater sind auf dem Weg ins Krankenhaus, wo sie Émiles Mutter besuchen wollen und werden Zeuge eines seltsamen Vorfalls: Sanitäter zerren einen Mann, der an der Stelle eines Armes einen riesigen Flügel hat, in eine Ambulanz. Verzweifelt schlägt dieser um sich und stößt vogelartige Laute aus, die durch Mark und Bein dringen, bevor er überwältigt wird. Auch Émiles Mutter ist von einer neuen „Krankheit” befallen, die die Menschen schrittweise in Tiere verwandelt. Die Ursachen sind ungeklärt, der Umgang mit den Betroffenen heikel und die Stimmung in der Gesellschaft angespannt – denn es kann jeden jederzeit treffen. Während eines Krankentransports kommt es zu einem Unfall, bei dem einige der „Kreaturen” in den dichten Wald fliehen. François sucht mit der Hilfe einer örtlichen Polizistin nach seiner Frau, Émile dagegen dringt auf eigene Faust immer tiefer in das Königreich der Tiere, mit dem er doch mehr gemeinsam hat, als er glaubte.

Lohnt sich? Was wäre, wenn eine Transformation die letzte Möglichkeit darstellt, die Welt zu retten? Der Mensch wird sich einfach nicht mehr ändern – auch hier setzen typische Mechanismen ein: Alles Fremde muss sofort eingesperrt und mit Pillen vollgestopft, „normalisiert“ oder gleich mit brutaler Gewalt ausgerottet werden. Dass die verwandelten Menschen in diesem Film nicht unter ihrer neuer Existenzform leiden, sondern eine nie gekannte Freiheit und einen damit einhergehenden inneren Frieden verspüren, ist eine reizvolle Idee, die am Ende aber leider nur angedeutet wird. Bis dahin erleben wir eine relativ klassische Coming-of-Age-Geschichte, die mit Horrormotiven gekoppelt wurde, sich aber dank eines unverbrauchten, natürlich wirkenden Hauptdarstellers, hervorragender Handmade-Effektarbeit und starken, naturalistischen Bildern besonders authentisch anfühlt. Lediglich schwache, mit CGI realisierte Flugszenen und die Überlänge (130 Minuten) trüben den guten Eindruck.

 


Mars Express. © capelight pictures

3. Mars Express (Frankreich 2023)

Worum geht’s? Was steckt hinter dem Verschwinden einer Robotik-Studentin? Die Ermittlungen führen die Privatdetektive Aline und ihren nach seinem Tod zum Roboter umgewandelten Partner Carlos in die Mars-Stadt Noctis, in der Seltsames vor sich geht: Immer mehr Androiden überwinden ihre Programmierung und wenden sich gegen ihre Besitzer …

Lohnt sich? Und erneut: Jau! Der in fünfjähriger Produktionszeit entstandene Animationsfilm ist fantastisch inszeniert und wird vor allem Fans französischer Comic-Altmeister wie Moebius feuchte Hosen verschaffen. Die im angemessen ruhigen Tempo erzählte und mit einem pulsierenden Elektro-Soundtrack unterlegte Geschichte kreist um die Gefahren der KI, um die unperfekte Menschlichkeit hinter einer perfekten, hocheffizienten Welt und punktet mit dreidimensionalen Figuren und einem überaus interessantem Finale. Einzig und allein die Referenzen zu Videospielen, Computerspielentwicklern, Filmen und mehr sind etwas zuviel und lenken vom Geschehen ab. Etwas weniger nerdiger wäre mehr gewesen.

 


The Moon. © capelight pictures

4. The Moon (Südkorea 2023)

Worum geht’s? 30.000 Kilometer vom Mond entfernt. Ein Sonnenwind zerstört Teile des Raumschiffs, mit dem die koreanische Raumfahrtbehörde als weltweit zweite Nation Menschen auf den Erdtrabanten bringen wollte. Doch das ist nicht alles: Zweidrittel der Besatzung ist tot und der junge Astronaut Hwang Sun-woo auf sich allein gestellt. Die Atemluft wird knapp, die Temperatur sinkt ins Unerträgliche und immer wieder bricht das Signal zur Bodenstation ab. Dort setzt Flugleiter Dr. Kim Jae-gook alles daran, Hwang zu retten …

Lohnt sich? Njein. Wie ich an dieser Stelle einst erläutert hatte: Es ist ein wenig schade, dass die Koreaner so sehr auf US-Blockbusterkino machen statt sich auf was wirklich Eigenes konzentrieren. Beim mittlerweile erreichten technischen Level wäre das durchaus reizvoll. Aber ok. Wobei man wieder sagen muss, dass „The Moon“ das Big-Budget-Kino regelrecht transzendiert. Alles in diesem Film ist nicht nur groß, sonder über-übergroß. Das ist aber kein Wunder, denn Sun-woo wird gespielt von Do Kyeung-soo, Mitglied der überirdisch erfolgreichen Boyband Exo (die nach einem Business-Seminar an der Stanfort-Universität gegründet wurde!), deren Konzerte schon mal nach nur 1,47 Sekunden (!) ausverkauft waren. Dementsprechend ist Sun-woo natürlich der Teufelskerl aller Teufelskerle: Super-hübsch, Ex-Seal, hyper-tough, tackert sich seine Wunden selbst zusammen, und jemand, der x-mal ganz, ganz, ganz knapp der alleralleraussichtlosesten Situation entkommt. Der „alte Hase“ Kim Jae-guk hat natürlich ein schweres Trauma und ein dunkles Geheimnis, ist aber natürlich trotzdem der absolut Allerbeste auf seinem Gebiet, dem in der allerallerausichtslosesten Situation noch etwas einfällt, was er in Richtung der zahlreichen Monitore der Kommandozentrale kläffen kann. Aus den Boxen dröhnt stets ein mächtiger Score, zwischen maximalem Dramatik-Orchester und Himmels-Chören, der befiehlt, wann genau was zu fühlen ist und wer sich dem verweigert, ist spätestens im letzten Drittel fällig: Denn da wird tatsächlich mal deutlich, dass man in einer koreanischen Produktion sitzt. Es wird nämlich geweint. Viel geweint. Richtig viel geweint. Genauer gesagt fließt hier bei fast jedem Mal ordentlich Wasser aus den Augen. Irgendwann weint man dann ebenfalls. Man kann einfach nicht anders. Aber die Macher kennen keine Gnade und fahren zum Schluss noch ganz schweres Geschütz auf. Kinder. Eine ganze Horde. Man ist mit weinen noch gar nicht ganz fertig und denkt schon: „Och sind die süüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüßßßßß!“.

Kann man jedenfalls saudoof finden oder einfach aufgeben und sich mitziehen lassen (Taschentücher bereit legen) – das Tempo ist über weite Teil immerhin hoch und die Bilder machen mächtig Eindruck. Eins muss man nämlich definitiv attestieren: In Sachen Effektarbeit lassen die Koreaner die Amerikaner mittlerweile links liegen. So sehen Big-Budget-Filme aus, bei denen das Geld auf der Leinwand ausgegeben wird.

 


Robot Dreams. © Plaion Pictures

5. Robot Dreams (Spanien, Frankreich 2023)

Worum geht’s? Die Abende alleine vor dem Fernseher gehören der Vergangenheit an, als sich Hund einen Roboter aus dem Internet bestellt. Rollschuhfahren im Central Park, Rudern auf dem See, oder faul am Strand liegen, alles machen die Freunde von nun an gemeinsam. Das ist definitiv seit Langem der beste Sommer im Leben von Hund. Doch ein Schicksalsschlag reißt die beiden auseinander …

Lohnt sich? JA! JA! Und nochmals: JA! Ich war innerhalb von wenigen Minuten schwer verliebt in diese absolut wunderbare, warmherzige, süße Verfilmung des gleichnamigen Comic von Sara Varon (bei uns unter „Robo und Hund: Wahre Freundschaft rostet nicht.“ erhältlich). Natürlich, „Robot Dreams“ hangelt sich an bekannten Versatzstücken entlang, die etwas episodenhaft anmutende Story verläuft in nicht allzu überraschende Bahnen und es wird ein allseits bekanntes Ansichtskarten-New-York aufgefächert (Musiker in der U-Bahn, ellenlange Staus, Spiel, Spaß und Heiterkeit im Central Park etc.). Aber die super-sympathischen Protagonisten, die kleinen Gags am Rande und die Art wie „Robot Dreams“ auf emotionale, aber nie kitschige Weise nebenher was vom Wert, aber ebenso von der Zerbrechlich- und Vergänglichkeit von Beziehungen und von Einsamkeit erzählt, lassen diesen kleinen, stillen, wahrhaftigen Film ziemlich groß werden. Ganz groß.

 


The Survival Of Kindness. © Fandango Sales

6. The Survival of Kindness (Australien 2023)

Worum geht’s? BlackWoman sitzt in einem Käfig fest. Weiße Menschen mit Gasmasken haben sie dort eingesperrt und in der flirrenden Hitze der Wüste zum Sterben zurückgelassen. Dies ist der Anfang einer bizarren Odyssee, die BlackWoman durch eine von Verfall und Krankheit dominierten Welt voller Sprachlosigkeit wandern lässt, in der einzig das Recht des Stärkeren gilt und die letzten Ressourcen klar verteilt sind.

Lohnt sich? Sollte sich eigentlich lohnen, gerade derzeit ist ein Rassismus-Allegorie wahrlich nicht verkehrt. Doch Regisseur Rolf de Heer findet zwar – vor allem am Anfang – beeindruckende Bilder, hält seinen Film allerdings zu abstrakt und zu verkopft und gleichzeitig zu simpel um eine tiefergehende Resonanz zu erzeugen. Nach einem viel versprechenden Start werden klassische Stationen einer Dystopie abgeklappert, wobei vieles, wie etwa die Grausamkeiten in einer fabrikartigen Festung, theaterhaft wirken. Und Leerstellen in einer Geschichte sind zwar grundsätzlich begrüßenswert, es muss nun wirklich nicht alles auserklärt werden, aber dem Zuschauer sollte immer die Möglichkeit gegeben werden, die Leerstellen zu füllen, ansonsten werden aus Leerstellen Beliebigkeiten. Und de Heer hält vieles hier derart offen, dass man schon bald das Interesse verliert. Wieso tragen die Weißen Gasmasken? Wieso benötigt BlackWoman nach mehreren Tagen im Käfig kein Essen? Warum suchen BlackWoman und die beiden Kids, mit denen sie sich anfreundet, die Festung der Gasmasken-Menschen eigentlich auf? Wieso ist BlackWomen beeindruckend fitt im Free Climbing? Dazu kommt, dass die Zukunftsvision ohne erkennbaren Zusammenhang Subtexte auftürmt: Es gibt historische Bezüge zur südafrikanischen Apartheid, der Sklaverei in der in den US-amerikanischen Südstaaten, Verweise zur Pandemie oder zu Bedrohungen durch den Klimawandel.

„The Survival of Kindness“ wirkt als ob hier jemand alles Mögliche an die Wand geklatscht hat, aber eigentlich nur sagen will, dass die Welt am Arsch ist. Aber für diese Erkenntnis kann man auch einfach Nachrichten gucken.

Abb. ganz oben aus „Robot Dreams“ © Plaion Pictures.

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