3. Juli 2023 2 Likes

„Nimona“ – Zwei schwule Ritter, eine Gestaltenwandlerin und der Traum von Freiheit

Animationsfilmhighlight nach einem grandiosen Comic-Debüt

Lesezeit: 4 min.

Der Plot von Nimona“ macht erstmal nicht unbedingt übermäßig viel Hoffnung, zu vertraut klingt das alles. In einer mittelalterlichten Welt, die allerdings komplett auf Si-Fi-Tech wie Hoverboards und Laserkanonen setzt, wird Ballister Boldheart als erster aus dem einfachen Volk zum Ritter ernannt, doch die große Freude währt nur kurz, denn Königin Valerin, die diesen Bruch mit der bisherigen Tradition ermöglicht hat, fällt einem Anschlag zum Opfer. Einem Anschlag, der so geschickt ausgeführt wurde, dass jetzt Ballister als Schurke dasteht und sich verstecken muss.


„Nimona“ - die Comic-Vorlage

Doch eines Tages klopft die großmäulige, aufdringliche und zur Gewalt neigende Gestaltenwanderin Nimona in Form eines Teenagers mit pinken Haaren und Piercings an die Tür und will sein Sidekick werden. Ballister zaudert erst, lässt sich dann aber doch auf das seltsame Wesen ein und versucht mit ihr zusammen seine Unschuld zu beweisen. Gemeinsam sorgen die beiden für ordentlich Wirbel im Königreich und vor allem für jede Menge Unruhe im Institut für Strafverfolgung und Heldentum, denn deren Direktorin hat was zu verbergen und will das Duo aus diesem Grund schnellstmöglich aus dem Verkehr ziehen. Behilflich dabei ist ihr Ambrosius Goldenloin, die große Ex-Liebe von Ballister, die ihm einst den Arm abgesäbelt hat …

Um sich „Nimona“ zu nähern ist es unumgänglich einen kurzen Blick auf die Vita des Künstlers zu werfen. Der kam 1991 als Noelle Diana Stevenson in einem religiös-konservativen Haushalt zur Welt, ideale Vorraussetzungen natürlich für einen übermächtigen Drang nach Freiheit. Und dem gab Stevenson 2020 mit einer geschlechtsangleichenden Operation (was im Webcomic „The Wight of Them“ thematisiert wurde) und einem Coming-out als nichtbinäre Person nach. Zudem verkündete Stevenson im März 2021, bigender und transmaskulin zu sein und bestätigte im Oktober in einem Webcomic den Wechsel seines Vornamens in ND. Er gab im Juni 2022 aber zu Protokoll im privaten Rahmen den Namen Nate und die maskulinen Pronomen he/him („er/ihm“) zu nutzen, sich aber weiterhin als nichtbinär zu identifizieren. Als Hommage an seine Geschlechtsidentität und die Namen seiner Geschwister, werde er aber weiter seinen zweiten weiblichen Vornamen Diana tragen.

Das klingt jetzt wahrscheinlich etwas verwirrend, ist aber nicht der Punkt. „Nimona“, seit 2016 in Deutschland beim Splitter-Verlag zu haben, ist zwar eng mit Stevensons Biografie und vor allem seiner Selbstfindung verknüpft, wird aber in keinem Augenblick zur didaktischen Selbstbespieglung, sondern nutzt bekannte Genremotive für eine Geschichte mit universalistischen Anspruch, der sich gerade in der Titelfigur manifestiert. Die macht als vergnüglich-sardonische, zuweilen ein wenig an Batmans Joker erinnernde, magische Punk-Rebellin mit zartem Kern vor allem einfach Spaß, ist aber natürlich gleichzeitig Symbolfigur mit maximaler Anschlussfähigkeit: Unerfülltes Verlangen nach Ausbruch, nach einem aus-der-Haut-schlüpfen, und sei es nur ein bisschen, dürfte wohl den meisten nicht fremd sein. Aber sowohl in der Realität wie in „Nimona“ wartet, frei nach Sartre, die Hölle der Anderen, die das Andere gerne auf einen anderen Planeten schießen möchten.

Um einiges konkreter wird die queere Stoßrichtung der Geschichte bei der Konstellation Ballister/Ambrosius, der eine im Schurken-Schwarz, der andere im Helden-Weiß gekleidet, obwohl es eigentlich Ambrosius ist, der wieder auf den rechten Weg zurückgebracht werden muss. Es ist vorbildlich, wie hier nebenbei völlig unaufgeregt ein schwules Liebesdrama aufgefächert wird, man kann sich so richtig schön die aschfahlen Gesichter der Geldbündelzähler bei Disney vorstellen, als die die noch nicht ganz fertig gestellte Verfilmung 2019 in Augenschein nahmen, welche ursprünglich von 20th Century Fox und deren Tochterfirma Blue Sky Studios entwickelt wurde, Fox wurde dann aber vom Mäusekonzern geschluckt. Der verschob das Projekt immer weiter nach hinten und stampfte im Februar 2021 schließlich Blue Sky und damit natürlich auch „Nimona“ ein. Annapurna und Netflix übernahmen ein Jahr später und lupften das Projekt angstfrei – also mit dem zarten Kuss zweier Zeichentrickmänner – über die Ziellinie.

Auf die Unterschiede zwischen Buch und Film einzugehen, ist müßig, man erhält praktisch zwei Versionen, der Film kommt allein schon um einiges komprimierter daher, spielt an ein paar Tagen, während die Geschichte der Vorlage sich über Monate erstreckt. Des Weiteren gibt’s ein paar deutliche inhaltliche Änderungen, die vermutlich den Zzeck hatten, den Stoff noch etwas zugänglicher zu machen, was aber okay ist, da nicht ohne Reiz.

Am vielleicht Schönsten ist aber, dass die Trickfilm-Adaption nicht dem allgegenwärtigen Zwang der Ereignishektik erliegt: Es gibt sicherlich ein paar rasante, wilde, laute Momente, aber das Herz der Geschichte besteht aus den drei Hauptfiguren und das wird vor allem im Finale spürbar, das alle Voraussetzungen zu einem in der amerikanischen Filmproduktion der Moderne so geliebten Endlos-Enden gehabt hätte, aber auch hier durch eine kluge, eng an die Charaktere gekoppelte Dramaturgie erfreut.

Jedenfalls: Ein toller Comic, eine sehenswerte, äußerst unterhaltsame und erfreulich progressive Verfilmung.

War wohl nicht das Schlechteste, das Disney das Projekt aufgegeben hat.

Danke, liebe Maus!

„Nimona“ ist ab dem 30.06.2023 bei Netflix im Programm

Nimona (USA 2023) • Regie: Nick Bruno, Troy Quane • Sprecher im Original: Chloë Grace Moretz, Riz Ahmed, Eugene Lee Yang, Frances Conroy, Lorraine Toussaint, Frances Conroy

Noelle Stevenson: Nimona • Graphic Novel • Aus dem Englischen von Gerline Althoff • Splitter, Bielefeld 2016 • 272 Seiten • Erhältlich als Softcover • Preis: € 19,95

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