6. August 2023

„Ebola Syndrome“ - Virenhorror mit Punk-Attitüde

Deftiger Bad-Taste-Klassiker, jetzt im Heimkino

Lesezeit: 5 min.

Der gewalttätige Kai wird von seinem Boss in flagranti mit dessen Frau erwischt. Er tötet beide auf brutale Weise und flieht Hals über Kopf nach Südafrika, wo er als Restaurantgehilfe untertaucht. Doch bei einem Eingeborenenstamm in der Savanne infiziert er sich mit Ebola. Kai hat allerdings Glück, er ist gegen das Virus immun – als er nach Hongkong zurückkehrt, löst er eine Katastrophe aus …

Zum Teil ist „Ebola Syndrome“ Hongkongs Antwort auf Wolfgang Petersens Virenthriller „Outbreak“ von 1995, der 2020 im Zuge der Covid-19-Pandemie zu neuen, gruseligen Ehren gelangte. Zum Teil ist er eine Art Abschiedsgeschenk, denn da die Kronkolonie Hongkong ein Jahr später an China zurückgegeben wurde, befürchtete man völlig zu Recht ein Ende der zwar nicht unbegrenzten, aber doch recht großen künstlerischen Freiheit. Wie groß die war, wurde 1993 besonders deutlich, als Regisseur Herman Yau und Darsteller Anthony Chau-Sang Wong (im Westen kurz Anthony Wong), beide privat seit frühen Jahren eng befreundet, 1993 „The Untold Story“ veröffentlichten. In etwa Hongkongs Antwort auf den 1991 mit „Das Schweigen der Lämmer“ ins Rollen gebrachte Serienkiller-Hype, aber um einiges skrupelloser: Das brachiale Finale, in dem Wong in der Rolle des Serienkillers Wong Chi-hang eine komplette Großfamilie niedermetzelt, hinterlässt noch heute ein äußerst ungutes Gefühl in der Magengegend. Der Film wurde aber dennoch – in Hongkong tickten die Uhren zu dieser Zeit wirklich sehr, sehr anders – zum Kassenhit und Wong mit dem Hong Kong Film Award, den Äquivalent zum Oscar, ausgezeichnet. Im Westen dagegen bekamen ausschließlich Splatterfans feuchte Hosen und gaben Unsummen für eine Videoveröffentlichung aus.

Für „Ebola Syndrome“ fanden Regisseur und Darsteller erneut zusammen und das Cover der Veröffentlichung der Busch Media Group plärrt einem entsprechend Kritikerzitate wie „Die Mutter aller Hongkong-Schocker“ (Blödsinn, da der Film zum Ende der, wenn man so will, „Schocker-Ära“ herauskam), „Legt die Messlatte in Punkto Ekelhaftigkeit noch mal höher“ oder „Ein greller Reigen der Widerwärtigkeiten“ entgegen, was allerdings Erwartungen schürt, die der Film nicht so wirklich erfüllt. Bereits in „The Untold Story“ wurden die harten Gewaltszenen mit einzelnen Momenten von grellem Humor kontrastiert (für das Hongkong-Kino eher normal, für westliche Zuschauer meist sehr irritierend), „Ebola Syndrome“, in dem Plot-Elemente von „The Untold Story“ recycelt wurden, wirkt nun wie ein super-wüster „Itchy & Scratchy“-Cartoon, was vor allem auf das Duo Yau und Wong (in der Rolle von Kai) zurückzuführen ist. Denn die fanden das ursprüngliche Skript, eine konventionelle Horror-/Sexstory, eher scheiße, erfuhren dann aber, dass Produzent Wong Jing keine Zeit hatte, das Projekt zu überwachen und beschlossen kurzerhand noch mal so richtig die anarchistische Wildsau rauszulassen und dem Ganzen einen – laut Wong – „Anti-Regierungsvibe“ zu geben. Das hatte allerdings nicht unbedingt nur was mit einem Schielen auf den Ticketverkauf zu tun, sondern durchaus mit ehrlicher Haltung. Beide sind Metal- und Punkfans, Wong war darüber hinaus als Sänger einer Punk-Band aktiv und ist generell bekannt als der „wilde Mann des Hongkong-Kinos“, der nicht nur mit Kritik an seiner eigenen Branche spart, sondern einer der wenigen Schauspieler ist, die sich nach der Übergabe an China auf die Seite der Pro-Demokratie-Bewegung schlug, dafür auf der schwarzen Liste der chinesischen Behörde landete und sechs Jahre auf ein Einkommen verzichten musste.

Klar, „Ebola Syndrome“ ist nicht unbedingt was für Empfindliche, es gibt zwar – abgesehen von einer etwas zu lang ausgespielten Autopsieszene – keine echten Splatterszenen (im Hongkong-Kino ohnehin nur selten), aber Gewalt ist hier ohnehin nicht das Ausschlaggebende: Es kommen zwar auf selten gesehene Art Tische zum Einsatz, um Genicke zu brechen, es werden Schädel eingeschlagen und ja, hier wird ebenso wenig vor Kindern halt gemacht und es werden wieder Menschen zu leckeren Häppchen verarbeitet, aber Wong und Yau lassen auch abseits davon keine Gelegenheit aus, genussvoll über die Strenge zu schlagen: Eines der Highlights dürfte sicherlich eine Szene sein, in der Kai in der Restaurantküche seinen Boss beim Sex belauscht, währenddessen in ein Stück Fleisch onaniert und das dann am nächsten Tag einen Gast serviert.

„Ebola Syndrome“ hat aber nicht nur den Tabubruch im Sinn, sondern spielte eine Idee konsequent durch, die etwa „The Sadness“ zweieinhalb Jahrzehnte später trotz viel, sehr viel mehr Blut nur halbherzig anging: So durch und durch verkommen und abartig Kai ist: Er ist nicht „der Böse“, sondern das Symptom einer aus den Fugen geratenen Welt, in der die Politik völlig versagt hat, einer Welt, die von Menschen bevölkert ist, die sich gegenseitig auf irgendeine Weise ausbeuten oder fertig machen. Beispielsweise pflegt Kais Boss den vom Virus befallenen Kai nur gesund, weil es nicht leicht ist jemanden zu finden, der für so wenig Geld arbeitet – seine Frau würde ihn am liebsten gleich irgendwo entsorgen. Egal welche Hautfarbe, egal welche Nationalität, der Film teilt nach allen Seiten aus, wirft einen boshaften, wenn man ehrlich ist, irgendwie nicht so ganz unrealistischen Blick auf die Menschheit und deutet an, dass diese an ihrem selbst erschaffenen Monster wahrscheinlich zu Grunde gehen wird, gerät dabei aber nie zur finsteren Grummelnummer, denn das Ganze ist durchtränkt von bizarrem Humor.

Und dann wäre da natürlich noch der immer absolut großartige Anthony Wong, der mittlerweile als renommierter, „ernsthafter“ Charakterdarsteller gilt, aber natürlich schon immer sensationell war. Wong tobt hier völlig entfesselt durch die Szenen und bläst seinem beängstigenden realistisch dargestellten Killer aus „The Untold Story“ mit spürbarer Freude und mit Tendenz zum Overacting zum fast schon comichaften Über-Scheusal auf, dessen Faszination man sich kaum entziehen kann. Spätestens wenn Kai im herrlich meschuggenen Finale EBOLA! EBOOOLA! EBOOOLAAAAAAA!“ brüllend durch Hongkongs Häuserschluchten rennt und die Seuchenschutzanzüge tragenden (natürlich als völlig inkompetent porträtierten) Beamten durch Spukattacken (!) auf Abstand hält, sollte es wohl auch empfindsameren Gemütern dämmern, dass das ein Stoff ist, über den sich die Simpsons-Kinder vor Lachen beömmeln würden. „Ebola Syndrome“ ging in den Hongkonger Kinos unter, mauserte sich aber über die Jahre zu einem kleinen, deftigen Bad-Taste-Klassiker und das völlig zu Recht.

(Achtung! Die deutsche Synchronisation ist unterirdisch, die Untertitelspur voller Fehler und Bonusmaterial gibt’s keins. Wer nicht zwingend auf eine deutsche Übersetzung angewiesen ist, sollte sich entweder die VÖ aus Großbritannien oder aus den USA zulegen).

Ebola Syndrome Hongkong 1996 • Regie: Herman Yau • Darsteller: Anthony Chau-Sang Wong, Fui-On Shing, Chui Ling, Miu-Ying Chan, Meng Lo, Lu Cheung • von Bush Media Group auf Blu-ray und als Mediabook (Blu-ray & DVD) erhältlich.

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