15. April 2019 1 Likes

Wenn der Toaster streikt

Eine erste Leseprobe von Cory Doctorows Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“

Lesezeit: 5 min.

Wir alle benutzen unsere Haushaltsgeräte jeden Tag, ohne darüber nachzudenken. Doch was, wenn die großen Konzerne, die diese Geräte herstellen, uns auf einmal diktieren können, welches Brot wir zu essen und welche Apps wir auf unserem Smarthone herunterzuladen haben? Genau diese Fragen hat sich Cory Doctorow in seiner Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“ (im Shop) zum Thema gemacht. Letzte Woche hatten wir Ihnen das Buch schon ausführlich vorgestellt, und für alle Neugierigen gibt es hier eine erste Leseprobe.

 

So fand Salima heraus, dass Boulangism pleite war: Ihr Toaster akzeptierte das Brot nicht mehr. Sie hielt die Scheibe davor und wartete darauf, dass ihr der Bildschirm das Emoji mit dem Daumen nach oben zeigte, doch stattdessen erschien das Symbol, das sich am Kopf kratzte. Gleichzeitig war ein leises Brrt zu hören. Noch einmal wedelte sie mit der Scheibe Brot. Brrt.

»Nun mach schon.« Brrt. Sie schaltete den Toaster aus und wieder ein. Dann zog sie den Stecker, zählte bis zehn und schloss das Gerät erneut an. Schließlich arbeitete sie sich durch die Menüs, bis sie den Punkt »Auf Werkseinstellungen zurücksetzen« gefunden hatte. Sie wartete drei Minuten und gab das WLAN-Passwort neu ein.

Brrt.

Schon lange bevor sie diese Phase erreichte, wuchs die Gewissheit, dass es vergebliche Liebesmüh war. Aber so machte man es eben, wenn ein elektronischer Apparat nicht mehr funktionierte, damit man anschließend die 800er-Nummer anrufen und sagen konnte: »Ich habe das Gerät aus- und wieder eingeschaltet, ich habe den Stecker gezogen und alles auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt …«

Der Touchscreen des Toasters riet ihr, den Support zu kontaktieren, aber der entsprechende Menüpunkt funktionierte nicht. Deshalb suchte sie die Nummer am Kühlschrankdisplay heraus und wählte. Es läutete siebzehnmal, dann wurde die Verbindung getrennt. Sie seufzte schwer. Schon wieder ein Gerät im Eimer.

Der Toaster war nicht das erste Küchengerät, das den Geist aufgegeben hatte – diese Ehre gebührte dem Geschirrspüler, der eine Woche vorher, als Disher insolvent geworden war, aufgehört hatte, das Geschirr von Drittherstellern zu akzeptieren. Aber das hier brachte das Fass zum Überlaufen. Abwaschen konnte sie zur Not von Hand, aber wie zum Teufel sollte sie sich jetzt einen Toast zubereiten? Über einer Kerze vielleicht?

Um ganz sicherzugehen, fragte sie den Kühlschrank nach Schlagzeilen über Boulangism, und dann kam es. Buchstäblich über Nacht war die Blase geplatzt. In den sozialen Netzwerken meldeten sich unzählige wütende Betroffene wegen ihres Frühstückstoasts. Sie tippte auf eine Schlagzeile und erfuhr, dass Boulangism schon seit mindestens sechs Monaten als Geisterschiff galt. So lange versuchten die Sicherheitsforscher bereits, die Firma zu erreichen und den Verantwortlichen zu erklären, dass alle Nutzerdaten – Passwörter, Log-ins, Bestell- und Rechnungsdaten – ohne jegliche Sicherung oder Verschlüsselung im Internet frei zugänglich waren. In der Datenbank fanden sich sogar Lösegeldforderungen – von den Hackern eingefügte Datensätze, in denen sie Zahlungen in Kryptowährung verlangten, wenn sie das schmutzige Geheimnis, wie schlampig Boulangism mit den Daten umging, für sich behalten sollten. Die Firma war praktisch abgetaucht.

Im Laufe des letzten Jahres war der Aktienkurs von Boulangism um achtundneunzig Prozent gefallen. Vielleicht existierte das Unternehmen überhaupt nicht mehr. Unter dem Firmennamen hatte sich Salima immer die französische Bäckerei vorgestellt, die auf dem Bildschirmschoner des Toasters zu sehen war. Überall Mehlstaub, klobige Holztische mit dicht an dicht liegenden knusprigen Brotlaiben. Sie hatte an eine knarrende Treppe gedacht, die von der Bäckerei nach oben zu den beengten Büros führte, aus denen man das Kopfsteinpflaster der Straße sah. Und die Gaslaternen.

Der Artikel enthielt eine Straßenansicht des Hauptsitzes von Boulangism. Es war ein vierstöckiges Bürogebäude in Pune in der Nähe von Mumbai, hinter einer Mauer gelegen und mit einem unbesetzten Wachhäuschen am Eingang.

Die Boulangism-Blase war geplatzt, und das bedeutete, dass niemand mehr antwortete, wenn Salimas Toaster sich erkundigte, ob das Brot, das die Besitzerin rösten wollte, von einem autorisierten Boulangism-Bäcker stammte, was in diesem Fall sogar zutraf. Da keine Antwort kam, ging der paranoide kleine Apparat davon aus, dass Salima zu den ruchlosen Betrügern zählte, die einen Boulangism-Toaster mit Preisnachlass gekauft hatten und dann ihren Teil der Abmachung nicht einhielten und unautorisiertes Brot hineinschoben. Die Konsequenzen dieser Tat reichten von schlechten Toastergebnissen bis zu einem Brand in der Küche. Boulangism war fähig, den Toastvorgang in Echtzeit anzupassen und dabei die Luftfeuchtigkeit in der Küche oder das Alter des Brots zu berücksichtigen. Natürlich weigerte sich das Gerät zum Wohl der Benutzer, Brot zu toasten, das über die Maßen altbacken war; von der Gewinneinbuße für die Firma und die Anteilseigner mal ganz zu schweigen. Ohne Profit gab es keine überschüssigen Mittel, die man in Forschung und Entwicklung stecken konnte, um unablässig Verbesserungen zu ersinnen. Kaum ein Tag verging, an dem Salima und Millionen andere Boulangism-Berechtigte (sie waren keineswegs einfach nur »Kunden«) aufwachten, ohne eine aufregende neue Firmware für die geliebten Toaster zu bekommen.

Und die Bäckereipartner von Boulangism? Sie hatten das Richtige getan, indem sie eine Boulangism-Lizenz beantragt und ihre Herstellungsprozesse den Inspektionen und der Qualitätssicherung unterworfen hatten, die dafür sorgten, dass ihr Brot genau die nötige Zusammensetzung hatte, damit es in den Präzisionsgeräten von Boulangism perfekt getoastet werden konnte. Röstung und Saugfähigkeit waren exakt ausgewogen, damit das Brot die Butter und andere Aufstriche aufnehmen konnte. Die geschätzten Partnerunternehmen hatten es verdient, dass ihr Streben nach höchster Qualität honoriert wurde. Das alles durfte nicht durch Schnäppchenjäger und Spitzbuben gefährdet werden, die niederträchtigerweise irgendein hergelaufenes altes Brot toasten wollten.

Salima kannte diese Argumente. Es wäre nicht nötig gewesen, dass ihr dummer Toaster nach drei erfolglosen Brotautorisierungsversuchen auch noch ein Video abspielte, um ihr das alles darzulegen. Es gab keinen Pausenknopf und keine Stummschaltung – anscheinend eine Kombination aus Strafe und Umerziehungsmaßnahme.

Am Kühlschrank suchte sie nach »Boulangism Hacks« und »Boulangism Entsperrcodes«, doch die Geräte hielten zusammen. Die Netzwerkfilter von KitchenAid fingen ihre Suchanfragen ab und behaupteten höhnisch, es gäbe »keine Ergebnisse«, obwohl Salima ganz genau wusste, dass sich eine ganze Untergrundökonomie mit unautorisiertem Brot befasste.

In einer halben Stunde musste sie zur Arbeit, und sie hatte noch nicht einmal geduscht, aber verdammt, erst der Geschirrspüler und jetzt der Toaster. Sie holte den Laptop, den sie gebraucht gekauft hatte und der inzwischen kaum noch funktionierte. Der Akku war längst kaputt, und sie musste die Zahnbürste abklemmen, um an ein freies Ladekabel zu kommen. Nachdem sie gebootet und das Gerät ein Dutzend Softwareupdates geladen hatte, konnte sie endlich den Darknetbrowser starten, den sie dort installiert hatte, und sich gründlich umsehen.

An diesem Tag kam sie fünfundvierzig Minuten zu spät zur Arbeit, aber zum Frühstück hatte es Toast gegeben. Verdammt auch.

 

Cory Doctorow: „Wie man einen Toaster überlistet“ ∙ Novelle ∙ Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 ∙ 176 Seiten ∙ Preis des E-Books € 9,99 (im Shop)

 

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