24. April 2021 2 Likes

Die Evolution von Michael Crichtons „Andromeda“

Kampf gegen ein außerirdisches Virus – auch im neuen Sequel von Daniel H. Wilson

Lesezeit: 4 min.

1969 veröffentlichte der amerikanische Bestsellerautor und Filmemacher Michael Crichton („Jurassic Park“, „Westworld“) seinen Roman Andromeda“ (im Shop), der Crichtons Durchbruch war und zu einem Boom des Techno-Thrillers führte. Das Buch dreht sich um eine Gruppe Wissenschaftler, die im Auftrag der US-Regierung die Verbreitung eines außerirdischen Virus auf der Erde stoppen sollen. Nun hat Daniel H. Wilson („Robocalypse“) mit Andromeda – Die Evolution“ (im Shop) ein offizielles Roman-Sequel verfasst, in dem das Virus aus dem All ein weiteres Mal mutiert. Bei Heyne sind beide Bücher, die einem in Zeiten von Corona wie das definitive Bunker-Bibliotheksmaterial vorkommen, gerade als Paperback und E-Book erschienen. Das verlangt nicht bloß nach einem Schnelltest, sondern nach einer genaueren Untersuchung.


Michael Crichton im Jahr 2002. Foto: Jon Chase photo/Harvard News Office

Im Jahr 1969 betrat die Menschheit erstmals den Mond. Richard Nixon wurde als Präsident der USA vereidigt und Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt. Die Morde der Manson-Family, der Protest gegen den Vietnamkrieg, das Woodstock-Festival und der letzte Auftritt der Beatles sorgten für Schlagzeilen. Die erste Boeing 747 und ein Prototyp der Concorde hoben ab, obendrein wurde der erste in Deutschland entwickelte Satellit ins All geschossen. In den hiesigen Kinos liefen „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Easy Rider“ an. Led Zeppelin und Elton John veröffentlichten ihr jeweils erstes Album, und bei den Hugo Awards wurden John Brunner (für seinen Roman „Morgenwelt“ – im Shop) und Harlan Ellison (für seine Kurzgeschichte „Die Bestie, die im Herzen der Welt ihre Liebe hinausschrie“ – in dieser Storysammlung im Shop) ausgezeichnet. Und der Amerikaner Michael Crichton (im Shop), damals 27 Jahre alt, publizierte seinen Roman „The Andromeda Strain alias „Andromeda“. Noch vor seinem Film „Westworld“ (1973), seinem folgenschweren originalen „Jurassic Park“-Roman (1990) sowie der ersten Folge der von ihm erschaffenen Fernsehserie „Emergency Room“ (1994) etablierte Crichton damit das Genre des modernen Techno- bzw. Wissenschafts-Thrillers.

In „Andromeda“ stürzt ein Forschungssatellit des amerikanischen Militärs, das im Weltraum nach neuen Kampfstoffen gesucht hat, in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Arizona ab. Das fremdartige Virus, das der Satellit mit auf die Erde bringt, tötet fast alle Einwohner des abgelegenen Örtchens. Beim Militär setzt umgehend eine festgesetzte Routine für ein solches Szenario ein. Das strenggeheime Wildfire-Team, eine von Dr. Jeremy Stone angeführte Gruppe Wissenschaftler und Experten, soll die Situation untersuchen und folglich die Ausbreitung des Virus verhindern. Allerdings mutiert das Virus zyklisch und macht es immer schwerer, die Andromeda-Mikroben etwa in einem Labor einzusperren. Was zum nächsten Problem wird, da die Forschungsstätte des Wildfire-Teams für den Fall einer Kontaminierung eine nukleare Selbstzerstörungsfunktion hat …

Der 1942 geborene Michael Crichton griff während seiner Recherchen auf viele wissenschaftliche und militärische Quellen zu, um den fünftägigen Ablauf seines fiktiven Ausnahmefalls von Anfang bis Ende so realistisch wie möglich zu schildern. Bereits im Vorwort verwischen bei ihm Fakten und Fiktion, während er im Roman Protokolle, Ausdrucke, Sachbücher, Formeln und Grafiken auffährt, um die Wirkung des Fundierten und Authentischen zu verstärken. Der Erzählton schwankt zwischen reißerischem Filmdrehbuch und ruhigem Fachbuch, hinten gibt es ausführliche Quellenangaben. Mehr Science und Fiction im Verbund geht im Thriller-Mainstream nicht. Crichton hatte den Finger für „Andromeda“, „Jurassic Park“ und Co. immer am Puls der Zeit und den aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen, das hat seine Werke ausgezeichnet, seine Leser begeistert. Aber natürlich sind seit 1969 eine Menge Dinge geschehen und anders, was man „Andromeda“ durchaus anmerkt. Es ist wie mit den James Bond-Romanen von Ian Fleming: oft ungebrochen unterhaltsam und spannend, obwohl vieles aus heutiger Sicht historisch und antiquiert wirkt. Dennoch präsentiert Crichtons „Andromeda“ in Zeiten von Corona einige geradezu erschütternd aktuelle Momente bzw. treffende Ansichten zu Wissenschaftlern im Kampf gegen ein Virus, die gerade noch mehr Plausibilität und Durchschlagskraft haben dürften als 1969.

„Andromeda“ wurde seinerzeit äußerst wohlwollend aufgenommen, war ein Bestseller und machte Mr. Crichton zum Superstar und Aushängeschild der internationalen Thriller-Szene, der weltweit insgesamt über 200 Millionen Bücher verkauft hat. Da überrascht es kaum, dass Regisseur Robert Wise schon anno 1971 eine Verfilmung von „Andromeda“ mit Arthur Hill, James Olson, Kate Reid und David Wayne in den Hauptrollen inszenierte, die für zwei Oscars nominiert war und aus einem Wissenschaftler des Buches eine Wissenschaftlerin machte. 2008 taten sich Regisseur Robert Schenkkan, Drehbuchautor Mikael Salomon und Produzent Ridley Scott zusammen, um den Roman als zweiteilige TV-Miniserie mit Benjamin Bratt, Eric McCormack und Christa Miller ein weiteres Mal zu adaptieren, wobei man dem Stoff ein Update fürs 21. Jahrhundert verpasste.

Ein Update des „Andromeda“-Franchise stellt fraglos auch das neue Roman-Sequel „Andromeda – Die Evolution“ dar, das US-Autor Daniel H. Wilson mit Segen und Input der Familie des 2008 verstorbenen Michael Crichton umgesetzt hat. Wilson nutzt in seiner literarischen Fortsetzung von Beginn an Hightech-Drohnen, 3D-Drucker und anderes, um die Andromeda-Legende sofort ins Hier und Jetzt zu holen. Das Virus, an das außerhalb einer kleinen Abteilung zur Überwachung lange niemand mehr gedacht hat, entwickelt sich im Amazonasregenwald abermals dramatisch weiter und wird erneut zu einer gewaltigen Bedrohung. Der 1978 geborene Wilson, der 2011 den Science-Fiction-Bestseller „Robocalypse“ vorgelegt hat, schreibt nicht ganz so drehbuchartig wie Crichton, beinahe ein bisschen geschmeidiger, und zitiert den Techno-Thriller-König sogar durchgehend zu Beginn jedes Kapitels. „Andromeda – Die Evolution“ besteht als respektvolle Hommage, als Sequel und als zeitgemäßes Update. Das hätte Michael Crichton, dem einflussreichen Herrn der Film-Dinos, Roboter-Cowboys und Alien-Viren in unserer Popkultur, sicher gefallen.

Michael Crichton: Andromeda • Übersetzung: Norbert Wölfl • Wilhelm Heyne Verlag • 320 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)


Michael Crichton, Daniel H. Wilson: Andromeda – Die Evolution • Übersetzung: Kristof Kurz und Stefanie Adam • Wilhelm Heyne Verlag • 384 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

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