17. April 2024

Klimawandel, Fantasy-Klassik und die Jugendjahre eines Serienkillers

Phantastik-Comic-Neuheiten im April

Lesezeit: 4 min.

Eine Anthologie will zu mehr Klimaaktivismus bewegen, Elizabeth Pich hat den lustigsten Comic seit Jahren vorgelegt, und Derf Backderf rekonstruiert seine Schulzeit mit Jeffrey Dahmer.

 

Der wichtigste Comic der Welt

„Die beste Jacke der Welt“ – mit solchen Superlativen haben sie schon Homer Simpson gekriegt. Wenn diese Anthologie sich mit dem Klimawandel das wichtigste Thema der Welt vornimmt – im Falle der Frage, wie viel Apokalypse sich die Menschheit antun mag –, dann ist es schon in Ordnung, bei der Titelwahl den Weg der Springfieldianer auszuprobieren. „Wir werden langsam sterben“ wäre wohl zu pessimistisch gewesen, denn die Agenda des Buchs ist eindeutig: Die Storys sollen zum Aktivismus anregen, ob nun zum komplexen Engagement oder zur kleinen Veränderung im Sumpf der Wohlstandsverwahrlosung, jedenfalls weit weg von der fatalistisch-bequemen Annahme, am Weltuntergang ließe sich ohnehin nicht mehr rütteln. 360 Seiten, da ist viel Raum für kritische Analysen des Zustands der Erde, für Porträts von Aktivist*innen aus NGOs, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, flankiert von beachtlicher Prominenz aus Musik, Film und Literatur, die sich als Comicautor*innen versuchen. Inhaltlich changiert das an den äußersten Polen zwischen optimistischer Kapitalismuskritik, die auch Ross und Reiter nennt, und nicht minder wohlstandsverwahrlostem Furor, der für Ursachen und Verursacher ökonomischer Ausbeutung nicht zugänglich ist und die Menschheit ganz vulgär zum kollektiven Täter erklärt. Aber letzteres kommt nicht oft vor, und eine Anthologie dieses Ausmaßes ist ohne Qualitätsschwankungen unmöglich. Insgesamt wird man behutsam eingeführt, wo überall die Scheiße am Dampfen ist und was sich dagegen noch unternehmen lässt.

Der wichtigste Comic der Welt – Geschichten zur Rettung des Planeten • Panini, Stuttgart 2024 • 360 Seiten • Hardcover • € 39,00

 

Elizabeth Pich: Fungirl

„Fungirl“ ist die Solo-Arbeit der „War and Peas“-Co-Zeichnerin Elizabeth Pich und der lustigste Comic mindestens seit Simon Hanselmann. Mit dessen „Hexe total“ teilt „Fungirl“ auch die Leck-mich-Attitüde, die Punk-Vibes, die Kompromisslosigkeit des Humors, der sich egalitär gegen alles richtet, was vor allem der deutschen Humorschule heilig ist. Es gibt Mut zum Nonsens, moralisch ist hier nichts erbaulich, Tabus eignen sich nur als Fettnäpfchenparkett der Hauptfigur und der Zwang zur Pointe wird suspendiert, sobald es genügt, dass eine Situation zum Grotesken oder Bizarren neigt. So säuft und masturbiert sich Fungirl durch die Settings, die meist in ihrer 2er-WG (plus Freund der Mitbewohnerin und Ex-Freundin) den Anfang nehmen. Die (Pop-)Kultur-Zitate sind erschlagend: Fungirl auf Snoopys Hundehütte, Fungirl in Dalis „Beständigkeit der Erinnerung“, Fungirl am Kreuz („Inme“), Fungirl als „Wayne’s World“-Dude. Und das sind nur die Bilder zum Durchatmen für die nächste Story. Man spürt, dass hier ein ganz originäres Humorprogramm durchgezogen wird, bei dem das Publikum eben mitzieht oder es bleiben lässt. Exzellente Humorkunst.

Elizabeth Pich: Fungirl • Edition Moderne, Zürich 2024 • 256 Seiten • Klappenbroschur • € 26,00

 

Derf Backderf: Mein Freund Dahmer

Zehn Jahre vor dem Hype um Jeffrey Dahmer, den die Netflix-Serie „Dahmer“ 2022 ausgelöst hat, zeichnete der US-Künstler Derf Backderf diese Coming-of-Age-Sachcomic-Autobiografie, in der er von seiner Schulzeit mit dem späteren Serienkiller erzählt. Mit einer exploitativen True-Crime-Horror-Show hat dieses sensible Porträt eines Außenseiters nichts gemein. Im am US-Underground geschulten Stil blickt Backderf zurück auf die gemeinsamen Highschool-Jahre im Dorf Richfield der 70er – ein trister Nicht-Ort, in dem die Jugendlichen vornehmlich sich selbst überlassen sind, weil die Erwachsenen mit ihren eigenen Neurosen zu kämpfen haben (welcherart, hat uns Ang Lee als Generationenporträt in „Der Eissturm“ gezeigt). Backderff rekonstruiert einen Schulalltag, wie er heute noch so manche Psyche derangieren wird: eine Abfolge aus Spott, Destruktion und Gewalt, Ziellosigkeit, postpubertärem Überschuss, Selbstverleugnung und Isolation, dazu allerlei Selbsterfahrungsversuche, aus denen die Hoffnung spricht, irgendwie diesen Lebensabschnitt durchzustehen. Backderf schont sich selbst dabei nicht im Geringsten, schöpft daraus aber keine So-was-kommt-von-so-was-Psychologisierungen. Vielmehr entblättert er die Konturen und Bedingungen des sozialen Raums, in dem Dahmer sich bewegte oder besser gesagt: dem er ausgesetzt war, und stellt sie zur Disposition, dies auch im Einklang mit dem Forschungsstand, wie sich mithilfe des 24-seitigen Anmerkungsapparats nachvollziehen lässt.

Derf Backderf: Mein Freund Dahmer • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 224 Seiten • Hardcover • € 29,80

 

Richard Corben: DEN Band 1

Vom Fantasy-Satiriker und Horror-Liebhaber Richard Corben finden sich beim Splitter Verlag bereits einige edle Sammelbände. Mit „DEN“ startet nun Corbens Fantasy-Reihe, die gemeinhin als sein Opus magnum gehandelt wird. Gestartet im SF-Magazin „Métal hurlant“, 1977 kurz darauf auch im US-amerikanischen Ableger „Heavy Metal“ und als Figur bereits 1968 für den Animationskurzfilm „Neverwhere“ entwickelt, sollte ihn die Den-Figur bis in die 90er Jahre begleiten. Die komplizierte Farbtechnik im Stil der couleur directe und der auf Lovecraft und Burroughs schielende Plot, in dem der Mensch David Ellis Norman unverhofft als nackter Muskelprotz Den in einer archaischen, ziemlich skurrilen Gesetzen folgenden Welt landet und beim Staunen über Echsenmenschen und ebenfalls nackten Amazonen langsam sein Gedächtnis wiederfindet, führen außergewöhnliches Handwerk und augenzwinkernde Genre-Liebe zusammen. Das tut dem heiligen Ernst der Inspirationsquellen ziemlich gut und wird von einer Bildergalerie sowie Vor- und Nachworten von José Villarrubia, Patton Oswalt, Fritz Leiber und Bruce Jones angemessen gerahmt.

Richard Corben: DEN Band 1 • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 128 Seiten • Hardcover • € 29,80

Abb. ganz oben aus „Den“, Splitter

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